Was jung kann, kann auch alt:Mit 80 ins WG-Leben

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In Markt Schwaben wohnen Senioren seit einem Jahr in einer Hausgemeinschaft zusammen. Die Bewohner kochen und feiern miteinander. Vom Sozialministerium gibt es dafür nun einen Preis

Von Alexandra Leuthner, Markt Schwaben

Vier Interessenten stehen auf der Warteliste. Und wer dem Ehepaar Schemmann, Karla Knabe und den anderen Senioren so zuhört, wie sie schwärmen von ihrem neuen Zuhause am Ortsrand von Markt Schwaben, wer von der Gemeinschaftswohnung aus den Blick über Pferdekoppeln und das dahinter liegende Moos schweifen lässt, könnte versucht sein, seinen Namen dazuzusetzen. Zumindest wenn er sich der magischen Grenze von 60 Jahren nähert. "Ich hätte viel früher einziehen sollen, jetzt war das schon alles anstrengend", erklärt Ernst Schemmann. Er hatte die 80 schon überschritten, als er im vorigen Sommer seine alte Wohnung mit der neuen Genossenschaftswohnung an der Loderergasse getauscht hat. "Ich kann nur jedem raten, rechtzeitig darüber nachzudenken, wie er im Alter leben will." Und so eine Wohngemeinschaft für ältere Menschen fällt ja auch nicht vom Himmel.

Aber halt, Wohngemeinschaft ist falsch. Maria Sommer korrigiert energisch. Sie gehört ebenfalls zu den Bewohnern des Hauses, das die Ebersberger Wohnungsgenossenschaft im vergangenen Jahr fertiggestellt hat. Hausgemeinschaft muss es stattdessen heißen, denn jede Partei, ob alleinstehend oder Ehepaar, hat ihre eigene Wohnung. "Wenn ich allein sein will, dann geh ich und mache die Tür hinter mir zu", erklärt die 82-jährige Karla Knabe. "Das ist eben das Schöne daran, du kannst allein sein, aber du musst nicht." Sie wohnt im Erdgeschoss, gleich neben der Gemeinschaftswohnung, in der sich die Hausbewohner zum Ratsch treffen können, oder zum Kochen. In dem 40-Quadratmeter-Appartment steht sogar eine ausziehbare Couch für Gäste. Viele der Bewohner haben Kinder oder auch Enkel, die zu Besuch kommen und hier übernachten können. Beim letzten Silvesterfest wurde am großen Tisch Mensch-ärgere-dich-nicht gespielt bis draußen die Raketen stiegen. "Früher war ich an Silvester immer um neun im Bett", erzählt Knabe vergnügt.

In der Gemeinschaftswohnung des Markt Schwabener Genossenschaftsbaus kommen die Bewohner der Senioren-WG zusammen, wenn sie etwas zu besprechen haben. (Foto: Christian Endt)

Gerade für sie kam der Umzug zur rechten Zeit. Just einen Tag nach dem Einzug im vergangenen Juli starb ihr wenige Jahre älterer Ehemann. Die Wohnung, in der das Paar zuvor gemeinsam zu Hause war, hätte sich Knabe von ihrer Rente allein nicht leisten können. Die Wohnungen an der Loderer Straße 28 aber sind sozial gefördert. Sie liegen mit 5,50 bis 7,50 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter deutlich unter dem aktuellen Marktniveau von derzeit elf bis zwölf Euro, wie Ulrich Krapf erklärt. Der Vorsitzende der Gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaft Ebersberg (GWG) hat das Projekt von Anfang an begleitet. Seinen Ausgangspunkt aber, betont er, habe es in der Initiative der Mieter gehabt. 2013, erzählt Renate Schemmann, hätten sie und ihr Mann bei einem Exerzitienwochenende die Idee geboren, die Idee von einem Alter, das sie nicht in Einsamkeit verbringen wollen, sondern gemeinsam mit Freunden. Unter dieses Motto stellten sie ihre Suche nach Gleichgesinnten - den ersten Werbeauftritt bei einer Markt Schwabener Gewerbeschau, die erste Nachfrage beim Bürgermeister, der den Initiatoren, zu denen auch Maria Sommer gehört, zunächst wenig Hoffnung machen konnte. Kein Geld habe die Stadt und auch keine Fläche. "Aber die Telefonnummer von Herrn Krapf, die hat er uns gegeben." Und weil die GWG an selber Stelle gerade einen Sozialbau aus den Fünfzigerjahren abgerissen hatte und dabei war, neu zu planen, kam eins zum anderen. Zur rechten Zeit am rechten Ort seien die Senioren gewesen, erzählte Krapf. Zwei Jahre später, und sie hätten vielleicht zu lange warten müssen auf die Erfüllung ihres Traums.

So aber konnten sie aktiv werden. Einem ersten Aufruf zu einem Informationstreffen folgten so viele Leute, "da haben wir das Café Hasi gesprengt", erzählt Maria Sommer. Dann folgten regelmäßige Treffen mit ernsthaften Interessenten, alle vierzehn Tage, bis sich jene elf Parteien herauskristallisiert hatten, die heute in der Nummer 28 zu Hause sind. Die Treffen aber wurden beibehalten, die ganze Planungs- und Bauzeit über, schließlich gab es immer wieder Dinge zu entscheiden - und wenn es nur die Höhe der Steckdosen war, die in einem komplett barrierefreien Bauwerk deutlich tiefer angebracht sind als das normalerweise der Fall ist. Die Experten von der Genossenschaft sorgten dafür, dass die Anlage entsprechend der gesetzlichen Vorgaben für sozialen Wohnungsbau entstand, damit die entsprechenden Fördergelder für das drei Millionen Euro teure Projekt gesichert waren.

Die Wege zwischen den Sozialbauten an der Loderergasse treffen und kreuzen sich und sollen die Generationen miteinander verbinden. (Foto: Christian Endt)

Doch nicht nur die 60-plus-Hausgemeinschaft und ihr hübscher mit warmen Farben gestalteter Bau ist hier entstanden, sondern die Genossenschaft hat auf demselben Grundstück vier Reihenhäuser für Familien mit geringen Einkommen gebaut hat, Mehrgenerationenwohnen in unmittelbarer Nachbarschaft also. "Wir sind der Meinung, dass das besser funktionieren kann als in einem gemeinsamen Haus", erklärt Krapf, das Ruhebedürfnis sei bei älteren Menschen und Familien ja doch eher unterschiedlich. Der Kontakt zwischen den Generationen aber ist gewünscht, die Wege durch das gemeinsame Grundstück treffen sich, einer führt direkt zur Gemeinschaftswohnung der 60-plus-Gemeinschaft. "Das soll ja kein Raum sein, sich einzusperren, sondern einer der offen ist", sagt Ulrich Krapf. Zwischen den Senioren funktioniert das schon gut. Eine Dame wohne mit im Hause, erzählt Monica von Büldring, mit der sie bereits vorher im selben Wohnhaus gewohnt habe, 40 Jahre lang. "Damals haben wir uns halt gegrüßt. Jetzt sind wir die Rosi und die Moni."

Die Gesamtidee jedenfalls stieß auf große Resonanz beim bayerischen Sozialministerium, das sich die Förderung zukunftsfähiger Wohnprojekte für Senioren auf die Fahnen geschrieben hat. Am Freitag, 5. Mai, zum Auftakt der Aktionswochen "Zu Hause daheim" wird das Markt Schwabener 60-plus-Haus in Regensburg als eins von drei Projekten in Bayern mit dem gleichnamigen Innovationspreis ausgezeichnet. Das Preisgeld wollen sich die Ebersberger Genossenschaft und die Senioren teilen - weil die einen nicht ohne die anderen gekonnt hätten, die Senioren nicht ohne das Grundstück, das Geld und das Know-how der Genossenschaft und die GWG nicht ohne die Senioren. "So was fällt nicht vom Himmel", erklärt Maria Sommer. "Ich muss mich schon trauen, mit Mitte 50 an so etwas zu denken."

Im Rahmen der Aktionswoche können sich Interessierte bei einem Tag der Offenen Tür am Freitag, 12. Mai, über das Projekt informieren. Auch die Nachbarschaftshilfe Vaterstetten, Zorneding, Grasbrunn beteiligt sich an der Aktionswoche und bietet am Montag, 8. Mai, und Dienstag, 9. Mai, jeweils von 10 bis 12 Uhr Beratungssprechstunden, am Montag im Rathaus Grasbrunn und am Dienstag im Rathaus Zorneding. Dabei geht es vor allem um Angebote für Betreutes Wohnen zu Hause.

© SZ vom 05.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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