Vaterstetten:Sprint durch die Musikgeschichte

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Zehn Werke in einer Stunde, das erfordert höchste Konzentration. (Foto: Christian Endt)

Der Jugend- und Kirchenchor Vaterstetten bringt das Weihnachtsoratorium "O Nacht" zur Uraufführung

Von FRIEDERIKE HUNKE, Vaterstetten

Wenn drei Generationen zusammentreffen, geht es manchmal chaotisch zu. Dass die dabei entstehende Spannung auch Potenzial bietet, zeigten am Sonntag der Jugend- und der Kirchenchor der katholischen Pfarrkirche "Zum kostbaren Blut Christi" in Vaterstetten. Bei ihrem Konzert brachten sie ein extra für sie komponiertes Stück zur Uraufführung und nahmen die Zuhörer auf eine musikalische Reise durch die Jahrhunderte mit.

Das Weihnachtsoratorium "O Nacht" hat der US-amerikanische Komponist Robert Moran im Auftrag von Chorleiterin Beatrice Menz geschrieben. Die neue Komposition, bei der auch Streicher, Bläser, Harfe, Percussion und Orgel sowie zwei Solisten mitwirken, bringt Leben in die Pfarrkirche. Besonders der erste Satz überzeugt. Der Text, den Quirinus Kuhlmann im 17. Jahrhundert schrieb, beginnt mit der Zeile "O Nacht! du große Nacht! die heller als der Tag!" und wurde von Moran monumental vertont. Kraftvoll, beinahe rockig, zieht sich der Rhythmus durch den ersten Teil.

Nach einem ruhigeren Einschnitt, den die 20 Sängerinnen des Jugendchors präsentieren, steigert sich das Oratorium im dritten und vierten Satz. Die Sopranistin Victória Real und Tenor Sebastian Schmid treiben sich gegenseitig in die Höhe, die Pauke setzt ein, die Chöre singen nun siebenstimmig, alles schwillt an und wieder ab, eine schwungvolle Linie verwebt sich mit der nächsten - am Ende ist es kaum mehr möglich, den Überblick zu behalten. Mit seinen großen Gesten, dem Wechsel zwischen Spannung und harmonischer Auflösung und den hohen Streichern erinnert "O Nacht" an Filmmusik. Das beste Stück des Abends ist es nicht - zu chaotisch der Schluss, zu sehr fehlt es an Abwechslung zwischen den Sätzen. Dennoch beeindruckt es, dass sich schon Neunjährige an zeitgenössischer Musik versuchen.

Beatrice Menz hat mit ihren Laienchören ein anspruchsvolles Werk einstudiert, das sich musikalisch nicht eindeutig einordnen lässt. Komponist Robert Moran machte in den 1960er Jahren durch "Performance Art", temporäre Ereignisse mit tausenden Mitwirkenden, auf sich aufmerksam, schrieb später Opern und vertonte Texte von John Cage. Dass er sich nicht auf einen bestimmten Stil festlegen lässt, zeigt auch seine Komposition für die Vaterstettener Chöre. Zwar lässt sich seine Musik als zeitgenössisch bezeichnen, allerdings nutzte Moran in diesem Fall tonale Harmonik, sodass sein Werk eher populär als avantgardistisch anmutet. Die Zuhörer in der übervollen Pfarrkirche bekommen bereits vor "O Nacht" ein breites Konzertprogramm geboten. Die Werke stammen überwiegend aus dem 19. Jahrhundert, allerdings wird auch das mittelalterliche "Ma fin est mon commencement" von Guillaume de Machaut aufgeführt, ebenso wie moderne Chorstücke von John Rutter. Die teilweise sehr unterschiedlichen Stile fordern das Publikum. Bei zehn Werken in etwas mehr als einer Stunde bleibt kaum Zeit, sich auf die jeweilige musikalische Stimmung einzulassen. Dafür intonieren die Chöre sauber, und bei der guten Akustik kommen selbst diejenigen Zuhörer auf ihre Kosten, die das Konzert stehend unter der Empore verfolgen müssen.

Aus dem getragenen Charakter der meisten Stücke ragen die "Variations sur un Noël" heraus, die Marcel Dupré 1922 schrieb. Die stellenweise disharmonische Orgelkomposition setzt durch ihre schnellen triolischen Passagen einen lebhaften Akzent. Besonders die letzte Variation bildet einen kraftvollen, spannenden Schluss, den Andreas Götz an der Orgel technisch ausgezeichnet meistert. Der stärkste Moment des Abends folgt unmittelbar danach: Als der Jugendchor mit "Look at the world" von Rutter auftritt, rührt der Gegensatz zwischen dem getriebenen Dupré und dem harmonischen Chorlied. Die nur von der Harfe begleiteten Mädchenstimmen wirken nun noch sanfter und zeigen, dass bei diesem Konzert gerade der Kontrast zwischen den musikgeschichtlichen Episoden den besonderen Reiz ausmacht.

© SZ vom 25.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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