Vaterstetten:Schaffensrausch im Kleinformat

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Bissig, ironisch, skurril: Der Verein Notturno hat für dieses Wochenende eine Ausstellung mit 321 bislang unbekannten Zeichnungen und Skizzen des verstorbenen Baldhamer Malers Martin Ritter kuratiert

Von Rita Baedeker, Vaterstetten

Das Wohnhaus des Malers Martin Ritter im Baldhamer Heideweg ist auch 14 Jahre nach seinem Tod immer noch eine unerschöpfliche Fundgrube. "Wir werden mit Sichten nicht fertig", sagt Irene Dingler von Notturno, dem Verein der Freunde und Förderer des Gesamtkunstwerks von Martin und Ulrich Ritter. Soeben haben die Mitglieder einen weiteren bisher ungehobenen Schatz von Zeichnungen, Skizzen und Aquarellen ans Tageslicht befördert: 321 kleinformatige Blätter dokumentieren im Erdgeschoss des Hauses den mehr als vierzig Jahre währenden Schaffensrausch des Malers.

Martin Ritter hat pausenlos gearbeitet, sogar bei Aufenthalten im Krankenhaus, berichtet Dingler, war kein Stück Papier vor ihm sicher, vor seinen mit Kugelschreiber, Filz- und Bleistift, Kreide und Tusche - heute würde man sagen "geposteten" - oftmals zynisch-sarkastischen Kommentaren. Alles, was ihn bewegt hat, brachte er spontan und umstandslos zu Papier.

Um einen roten Faden durchs Labyrinth von Ritters künstlerischem Kosmos zu legen, haben die Veranstalter die Zeichnungen nach Themen geordnet. Das Spektrum reicht von abstrakten Arbeiten über Mythologisches, Frauen, Karikaturen bis zu Tieren und fernöstlichen Motiven. "Lauter kleine Gemeinheiten" entdeckt der Betrachter auf Darstellungen unter dem Motto "Kunstkritik und Karikatur" sowie "Kirche und Obrigkeit". Ritter hat sich gerne mit Autoritäten angelegt und lustig gemacht - über Kunstbetrachtung, aber auch über die Rituale der Kunstszene und die Künstler selbst.

Viele seiner Bildchen hat er mit ätzenden Kommentaren und Wortspielereien versehen. So etwa bei der kleinen bösen Serie "Urteil des Paris". Der Juror mit dem Apfel steht vor den "drei Grazien" - einem gegenständlichen weiblichen Akt von ihm, Martin Ritter, und zwei der im kubistischen Stil komisch verdrehten Figuren, wie sie für das Spätwerk Picassos typisch waren, der hier allerdings "Pisscaco" und "Cacpisso" heißt. Auf einem anderen Bild ist ein Mann zu sehen. Sein Kopf hat die Form einer Kartoffel, auch die Nase ist grobknollig. Über seinem kahlen Schädel schwebt eine kleine Aureole. Und drunter steht: "Künstler halte ich für Deppen!" Dass Ritter auch Künstler mit seinem Spott nicht verschonte, zeigt die Darstellung eines dürren Malers, der mit von Eifer geschwellter Brust und gerecktem Pinsel eine gigantische Nackte malt, welche ihrerseits an einem Seestück arbeitet. "Maler malt Muse, Muse malt Meer" steht darunter in Ritters schwer zu entziffernder Handschrift. Den Kunstliebhaber, der mit Kennermiene nackte Brüste anglotzt, stellte er als feisten Lüstling dar. Der Kommentar dazu spricht für sich: "Für mich bedeutet Kunst nackte Weiber. Alles andere ist doch Nonsense!" Männer kommen nicht gut weg bei ihm. Mit beißender Ironie und ohne Illusionen holte er auch die hehre Kunst, die er so innig liebte, vom Sockel. "Kunst ist machbar" sagt der malende Affe mit Brille und Fluppe auf Ritters Skizze.

"Mir fällt immer wieder auf, dass Martin Ritter keinen einzigen schönen Mann gemalt hat", sagt Dingler. "Offenbar duldete er in seinem Haus keine Konkurrenz", fügt sie lachend hinzu. Frauen hingegen hat er hundertfach gezeichnet - jung, alt, schlank, üppig, verletzlich, nackt, erotisch, in feines Tuch gehüllt oder in Fetzen. Manche Porträts sind schmeichelhaft, huldigen der weiblichen Schönheit, häufig aber offenbaren sie auch Charakterzüge wie Misstrauen, Eitelkeit und Stolz. Ritter beherrschte die Stilmittel der Karikatur ebenso meisterhaft wie der große George Grosz. Und auch, wenn seine Gesellschaftskritik, etwa bei der Darstellung von gelangweiltem Opernpublikum, selbstherrlichen Chefärzten und bigottem Klerus, heute nicht mehr so ganz auf der Höhe der Zeit ist: Die Essenz der künstlerischen Aussage bleibt gültig, weil Ritter sich nicht bei Effekten und Klischees aufgehalten, sondern mit wenigen Strichen Charakter-, ja, Menschheitsstudien hervorgebracht hat.

Ein Menschheitsthema, das sich durch seine Arbeit zieht, ist die literarische Figur des Don Quijote, des tragisch-komischen Helden, der immer wieder scheitert. Ihn findet man in vielen Variationen, ebenso wie Jenseitsmetaphorik und Gestalten der antiken Mythologie: Der Hirtengott Pan, der versucht, eine Ziege festzuhalten, Europa, der der Stier davonläuft. Ritter liebte hintergründigen Witz, skurrilen Nonsens, den er in einigen Skizzen buchstäblich auf den Punkt brachte. Dass er ein genauer Beobachter und Ästhet war, dokumentieren seine Skizzen von Vögeln, Pferden, Katzen und Eulen.

Einmal mehr zeigt diese wunderbare Ausstellung, wie begabt, vielseitig und gebildet Martin Ritter war. Von seinem Interesse für die Kunst Ostasiens zeugen drollige Tuschezeichnungen von dicken Mönchen, Hofdamen und anderen Figuren der chinesischen Kunst. Da nun auch das Archiv fertig eingerichtet ist, kann die Schatzsuche im Ritterhaus weitergehen.

Die Ausstellung "Kleine Formate" mit Zeichnungen von Martin Ritter im Heide-, Ecke Fuchsweg in Baldham wird an diesem Samstag, 20. Juni, um 16.30 Uhr eröffnet. Geöffnet ist auch Sonntag, 21. Juni, 11 bis 18 Uhr. Oder nach Verein barung unter Telef on 08106/53 57.

© SZ vom 20.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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