Vaterstetten:Heißes Wunderland

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Paradies- und Heimatvögel stehen diesmal im Fokus der Ateliertage der Glaswerkstatt in Weißenfeld

Von Annalena Ehrlicher, Vaterstetten

Höllisch heiß schlägt es dem neugierigen Besucher aus der Glaswerkstatt Freeform des Ehepaars Thorp am bislang wärmsten Wochenende des Jahres entgegen. "Uns friert's immer so, deshalb dachten wir, wir heizen mal ein bisschen", scherzt Nina Thorp. 1110 Grad herrschen im Schmelzofen in ihrer Werkstatt in Weißenfeld. Dagegen wirkt es im Vorgarten fast winterlich kühl. Während das Ehepaar an den "Ateliertagen" den Prozess des Glasmachens demonstriert, kann man draußen fertige Produkte bestaunen. Stolze Gockel thronen da neben Turteltauben, Pelikanen und Kakadus. Eingerahmt von Fantasievögeln auf der einen und heimischen Federtieren auf der anderen Seite. Star der Vogelschar aber ist der kleine Stieglitz, der vom Landesbund für Vogelschutz gekrönte Vogel des Jahres 2016.

Die Ateliertage erfordern, die Werkstatt umzuräumen, "sonst hätten wir keinen Platz für Zuschauer", erklärt Nina Thorp. Dass sie verschiedene Produkte an einem Tag anfertigen, ist ebenfalls eine Besonderheit. "Das ist sonst einfach zu viel Herumgeräume - wir brauchen ja für jedes Produkt andere Farben." Für den Stieglitz etwa fährt Thorp eine ganze Glaspalette auf, während ihr Mann die erste Schicht Reinglas aufnimmt. "Schauen Sie, die Konsistenz ist wie flüssiger Honig", Stephen Thorp, während er die Metallstange beständig weiterdreht. Das sei eine der wichtigsten Lektionen für Neulinge im Glasmachen: das Drehen der Stange nicht zu vergessen. Darüber gibt es sogar Witze. "Wenn man einem Glasmacher einen Besen in die Hand gibt, dann fegt er nicht, sondern dreht nur den Griff", erzählt Stephen Thorp - immer mit dem glühenden, faustgroßen Glastropfen an der Stange. Dann lacht er und tippt den Tropfen Reinglas in eines der mit gemahlenem Farbglas gefüllten Gefäße. "Das ist jetzt das Körper-Beige."

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

In ihrem Studio in Weißenfeld stellen Nina und Stephen Thorp allerhand Objekte für Haus und Garten her.

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Mit ruhiger Hand und doch schnell, so bearbeitet Nina Thorp heißes, fast flüssiges Glas.

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Für jedes Produkt gibt es unterschiedliche Farben.

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

In Behältern schlummert leuchtendes Kanariengelb neben Aquamarin, Flaschengrün und Kobaltblau.

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Für den Stieglitz jedoch braucht das Ehepaar Ferrari-Rot.

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Hier entsteht der Schnabel. Nina Thorp zieht eine Eisenstange mit einem rot glühenden Glastropfen an der Spitze aus dem Schmelzofen.

Gibt's denn noch ein anderes Beige? "Wenn Sie wüssten", sagt Nina Thorp lachend. "Also, hier direkt nebenan sehen Sie das Schnabel-Beige, aber da geht noch deutlich mehr. Deshalb ist es wichtig, die Töpfe alle anständig zu beschriften", erläutert sie und nickt in Richtung der weißen Plastikbehälter, in denen leuchtendes Kanariengelb neben Aquamarin, Flaschengrün und Kobaltblau schlummert. "Die Glasmacher zum Beispiel, die sich auf Augen spezialisieren, haben eine ganz eigene Farbpalette: Da gibt's dann Sachen wie Blutader-Rot", wirf ihr Mann grinsend ein.

Für den Stieglitz jedoch braucht das Ehepaar Ferrari-Rot. Nina Thorp nutzt einen Esslöffel, um ein matt rosa schimmerndes Pulver in vorsichtigen Linien auf den Klumpen, der bald ein filigraner Vogel sein soll, aufzutragen. "Das Pulver sieht jetzt unspektakulär aus, macht seinem Namen aber alle Ehre", sagt sie, während sie den Bewegungen ihres Mannes folgt. Beeindruckend, wie synchron sich die beiden bewegen, ihre Tropfen drehen und währenddessen mit den Besuchern plaudern.

"Die Konsistenz ist wie flüssiger Honig", sagt Stephen Thorp, während er die Metallstange beständig weiterdreht. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Schwierigkeit beim Erschaffen einer Stieglitz-Skulptur liegt vor allem darin, die Farben an der richtigen Stelle aufzutragen. Am Kühlofen hängt eine Fotografie des Vogels. "Der hat ja diese raffinierte Musterung", sagt Nina Thorp: im Gesicht rotes Gefieder, einen schwarzen Streifen über den Augen und weiße Federn unterhalb des Schnabels. Der Körper ist beige und braun - bis auf die Flügel, die in schwarz und leuchtendem Gelb erstrahlen. "Da muss ich mich jetzt konzentrieren", murmelt Stephen Thorp. "Wenn ich den Körper mache", sagt er, während er mit einer Zange schnell die Konturen des kleinen Körpers in die träge Glasmasse formt, "kann es sonst passieren, dass die Farben nicht an der richtigen Stelle liegen." Prüfend mustert er den Vogeltorso und wirft seiner Frau einen Blick zu. Sie hat bereits alle Vorbereitungen getroffen, um dem Vogel einen Schnabel anzusetzen. Schon zieht sie eine Eisenstange mit einem rot glühenden Glastropfen an der Spitze aus dem Schmelzofen. Mit ruhiger Hand fügt sie den Tropfen blitzschnell an den Kopf an, ihr Mann knappst mit einer Zange das überschüssige Glas ab - und da ist er, der Vogel des Jahres 2016. Nur die Farben sind noch nicht richtig zu erkennen, da die Hitze des Glases noch zu groß ist.

Doch wie kommt man darauf, Glasmacher zu werden? "Ah, das war ein Irrweg nach der Schule", sagt Stephen Thorp und lacht leise. Kunst habe er immer studieren wollen. An seiner englischen Universität war ein Grundkurs Voraussetzung, bei dem verschiedene Kunsthandwerke ausprobiert wurden. "Als ich das erste Mal Glas berührt habe, war mir klar: Das ist mein Material." Während er erzählt, fertigt er ein sechseckiges Glas an und pustet dazu immer wieder in die Metallröhre.

"So Studios wie unseres gibt es in Deutschland fast nicht mehr", wirft seine Frau ein. Flexibel müsse man sein und verschiedene Standbeine haben. Die Wochenenden im Sommer verbringen sie auf Kunsthandwerksmärkten, wo sie ihre Schmuckstücke, Trinkgläser und Gartenvögel ausstellen. Was das Schöne an den Märkten ist? "Unsere Stammkunden, die teils mit Fotos von ihren Vögeln kommen - weil sie so viele haben, dass sie sonst den Überblick verlieren", erzählt Stephen Thorp lachend. "Das ist schon schön."

© SZ vom 27.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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