Vaterstetten:Die Frühreifen

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Vaterstetten hat seine Wachstumsziele übererfüllt. Bereits heute leben in der Gemeinde so viele Leute, wie es laut Entwicklungsprogramm eigentlich erst 2025 sein sollten

Von Wieland Bögel, Vaterstetten

In der Großgemeinde wird es immer enger. Diesen Eindruck kann gewinnen, wer gelegentlich einen Spaziergang durch die Vaterstettener Straßen unternimmt oder einfach nur auf dem täglichen Weg zur S-Bahn auf die Veränderungen rechts und links der Straße achtet: Die Grundstücke scheinen immer kleiner zu werden, die Freiflächen immer weniger und die darauf entstehenden Häuser immer größer. Diese Entwicklung lässt sich auch mit Zahlen bestätigen: Aktuell hat Vaterstetten 23 443 Einwohner, diese Zahl wurde nun auf der Gemeinderatssitzung genannt. Damit ist Vaterstetten seiner Zeit weit voraus - nach dem erst vor vier Jahren verabschiedeten Gemeindeentwicklungsprogramm (GEP) liegt man damit nahezu auf dem Wert von 2025.

Wachstum ja, aber mit Augenmaß, an diesem Ziel arbeitete seit 2007 die Zukunftswerkstatt, eine Arbeitsgruppe aus Bürgern, Vereinen und Parteien. Dass man sich überhaupt zusammensetzte und ein Wachstumskonzept erarbeitete, war die Folge eines Bürgerentscheides im Herbst 2005. Damals sprach sich eine Mehrheit gegen ein ihrer Meinung nach zu großes Baugebiet aus - etwa 2000 Neubürger hätten zuziehen sollen, was einem Bevölkerungszuwachs von rund elf Prozent entsprochen hätte. Auf etwa die Hälfte dieses Wertes - das GEP nennt einen Korridor von vier bis sechs Prozent - einigte man sich schließlich in der Zukunftswerkstatt. Auch sollte dieser Zuwachs nicht auf einmal, sondern möglichst behutsam über zehn bis 15 Jahre stattfinden. Demnach hätte Vaterstetten bis Mitte der 2020er-Jahre 23 600 Einwohner haben sollen.

Offiziell hat die Gemeinde aktuell lediglich knapp 22 500 Einwohner - allerdings ist dabei nur erfasst, wer ausschließlich einen einzigen Wohnsitz angemeldet hat. Zählt man dagegen auch noch jene Vaterstettener, die ihren Hauptwohnsitz in der Gemeinde, aber noch einen Nebenwohnsitz anderswo angemeldet haben, ergibt sich die Zahl von 22 443 Bewohnern. Auch das Statistische Landesamt attestiert der Großgemeinde ein überdurchschnittliches Wachstum: Laut aktueller Prognose wird die Einwohnerzahl Vaterstettens im Zeitraum 2014 bis 2034 um 17,9 Prozent zunehmen. Das ist immerhin Platz drei im Landkreis, nur Poing und Markt Schwaben wachsen mit 35 und 29 Prozent noch schneller, der Landkreisschnitt liegt bei 17,5 Prozent. In absoluten Zahlen liegt Vaterstetten sogar auf Platz zwei: Die Statistiker erwarten bis 2034 rund 5000 neue Poinger und etwa 4000 Neu-Vaterstettener, alleine 1500 werden in den kommenden Jahren in die neuen Baugebiete Nord und Nordwest zuziehen.

Möglicherweise wächst Vaterstetten aber auch deutlich mehr. Denn, dies zeigte sich nun auch wieder im Gemeinderat, die Statistiken sind alles andere als belastbar. Konkret ging es um die zu erwartenden Schülerzahlen der kommenden Jahre, ein Thema, mit dem sich kürzlich auch schon der zuständige Fachausschuss beschäftigt hatte. Damals waren einige kurzfristige Maßnahmen beschlossen worden, wie man dem Platzmangel an den Schulen begegnen kann, nun sollte es um eine Fortschreibung der Prognosen gehen und um die Frage, wer diese vornehmen solle.

Die Verwaltung hatte vorgeschlagen, man solle externe Statistiker engagieren. Dadurch, so Sylvia Schuster von der Abteilung Familie und Bildung, könne man den künftigen Bedarf von Kitas und Schulen besser einschätzen und Projekte danach planen. Zwischen 15 000 und 20 000 Euro werde eine solche "Fortschreibung der Einwohnerstatistik" kosten. Geld, das man sich nach Meinung einiger Gemeinderäte auch sparen könnte. Herbert Uhl (FW) forderte, dass die Gemeinde das Bevölkerungswachstum nicht ermitteln lassen, sondern über die Bauleitplanung selber steuern müsse. Wolfgang Schermann (FW) und Manfred Schmidt (FBU/AfD) verwiesen darauf, dass die Statistiker ihre Zahlen ohnehin von der Verwaltung bekämen. Da mit der Erhebung der Daten die Hauptarbeit schon gemacht sei, könne die Verwaltung auch gleich den Rest erledigen. "Wir sind aber keine Statistiker", sagte Georg Kast, Büroleiter von Bürgermeister Georg Reitsberger. Und immerhin "geht es um Folgen in Millionenhöhe", wenn die Gemeinde anhand der Statistiken ihre Projekte plant. "Ich sehe schon, dass die Verwaltung nicht geprügelt werden will für Fehler", sagte Jo Neunert (SPD), erinnerte aber auch daran, dass die Prognosen der Verwaltung in der Vergangenheit stets genauer waren als die der externen Fachleute. Diese hatten vor einigen Jahren einen Rückgang der Bevölkerung vorhergesagt, im Rathaus ging man dagegen - richtigerweise - von weiterem Wachstum aus. Nach ausgiebiger Debatte über das Für und Wider externer Experten im Allgemeinen und Speziellen wurde der Verwaltungsvorschlag schließlich gegen die Stimmen von Grünen, FW, FDP und FBU angenommen.

Zu untersuchen, in welchen Wohngebieten in welchen Zeiträumen welche Bevölkerungsverschiebungen zu erwarten sind, wird eine der Hauptaufgaben der Statistiker sein. Besonders auf die Altersstruktur sollen die Experten ihr Augenmerk richten, also etwa ermitteln, wie viele Grundschüler oder Kindergartenkinder zuziehen. Eine zu große Detailtiefe ist aber auch von den Experten nicht zu erwarten, meinte Kast: "Eine verlässliche Aussage werden wir nie bekommen." Er erinnerte an Versuche in der Zukunftswerkstatt, Prognosen für einzelne Ortsteile und Baugebiete zu erstellen, was sich aber als unmöglich herausstellte: "Das ist Kaffeesatzleserei." Allerdings könnten die Experten durchaus gewisse Trends ermitteln, wie es mit Vaterstetten weitergeht. Einer davon scheint aber wohl bereits jetzt festzustehen: In der Großgemeinde wird es auch künftig immer enger.

© SZ vom 18.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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