Vaterstetten:Buntes Kaleidoskop

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Kerzen und Kaleidoskope liegen auf den bunten Tüchern, um die sich die Kinder versammelt haben. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ökumenische Andacht zum Weltkindertag in Vaterstetten

Von Johanna Feckl, Vaterstetten

Der evangelische Pfarrer Stephan Opitz beugt sich vorsichtig über das kleine Meer aus brennenden Kerzen, silberfarbenen Sternen und selbstgebastelten Kaleidoskopen. In der Mitte thront etwas erhöht die Osterkerze. Liebevoll wurde alles zusammen auf drei Tüchern, die auf dem Kopfsteinpflaster vor der Aussegnungshalle einen Kreis bilden, arrangiert. Es dauert ein wenig, bis Pfarrer Opitz mit weit ausgestrecktem Arm die Osterkerze erreicht und der Docht endlich Feuer fängt. "Pass auf deinen Anzug auf", warnt ein kleiner Junge den Pfarrer und meint damit dessen langes Gewand, das den kleineren Kerzen auf dem Tuchkreis sehr nahe kommt. Misstrauisch beäugt der Junge den Saum der Pfarrersrobe. Viele, hauptsächlich Frauen und Kinder, sind am Freitag der Einladung zu einer ökumenischen Andacht auf dem Vaterstettener Gemeindefriedhof gefolgt. Anlass ist der Weltkindertag, der am 20. September gefeiert wird.

Neben dem evangelischen Pfarrer Opitz stehen der katholische Diakon Helmut Wetzel, Vaterstettens Bürgermeister Georg Reitsberger und der muslimische Abdel Al Radwan, der später eine kurze Ansprache halten wird. "Wir sind stolz und glücklich, dass es euch gibt", richtet Pfarrer Opitz seine Worte an die vielen Zwei- bis Sechsjährigen, die sich reihum am Rande des Tuchkreises versammelt haben. "Ich liebe Kaleidoskope", sagt er, kniet sich dabei auf Augenhöhe der Kinder nieder und klaubt eines der Spielzeuge auf. "Immer wenn ich eines in die Hand nehme, denke ich mir, dass ich das ja schon kenne, dass ich da ja schon einmal hineingeschaut habe. Und wenn ich dann doch wieder hineinschaue, dann sehe ich jedes Mal etwas ganz anderes!" In diesen Momenten stelle er sich vor, wie Gott durch ein solches Rohr auf uns blickt und sich ärgert über das, was er sieht, das Kaleidoskop enttäuscht in die Ecke stellt. Und wie Gott es dann doch wieder greift und auf einmal sieht, wie toll alles ist - "wenn sich beispielsweise jemand sorgenvoll um ein Flüchtlingskind kümmert".

Dann wird gemeinsam gesungen, bevor es quer über den Friedhof zu einem Gedenkstein geht. Jedes der Kinder nimmt sich eine Kerze, einen Stern oder eines der Kaleidoskope und reiht sich damit in den kleinen Zug ein. Ein etwa fünfjähriger Junge mit Lederhose und blondem Haar, das ein kleiner Strohhut bedeckt, lässt seine Kerze keine Sekunde aus den Augen. Eine seiner Hände umschließt den Kerzenbehälter, die andere hält er als Windschutz vorsichtig vor die flackernde Flamme. Ein paar hundert Meter weiter sind vor dem Gedenkstein einige Bierbänke aufgestellt. "Die Sterne, die haben schon damals den Seeleuten den richtigen Weg gezeigt", erzählt Diakon Wetzel. "Gott kennt jeden seiner Sterne persönlich, und er möchte keinen von ihnen hergeben." Das Denkmal soll an die vielen Sterne erinnern, an die vielen Kinder, "die tot auf die Welt gekommen sind - und an diejenigen Kinder, die viel zu früh gestorben sind". Diakon Wetzel gedenkt auch der Eltern dieser Kinder, deren Schmerz um die Frage des "Warum?" wohl kaum vorstellbar sein dürfte. "Nur Gott weiß die Antwort", lautet die etwas nüchtern anmutende Aufklärung des Diakons.

Abdel Al Radwans Ansprache gilt den vielen Kindern und Familien, die derzeit auf der Flucht sind. Radwan weiß, wovon er spricht: Er selbst floh einst von Ägypten, bis er in Deutschland Schutz fand, als Sechsjähriger hat er einen Bruder verloren, später eine jüngere Schwester. "Erst, wenn die Flüchtlinge vor den Türen stehen, fangen wir an nachzudenken" meint er. Nicht alle Kinder können freilich folgen: Radwans gebildete Wortwahl schafft eine Hürde, die die Jüngsten noch nicht überwinden können.

Zum Abschluss fassen sich alle an den Händen und beten ein Vaterunser. "Wir bedanken uns besonders bei euch Kindern, dass ihr so viel Geduld mit uns hattet", beschließt Pfarrer Opitz die liebevoll gestaltete Andacht nach etwas über einer Stunde. Vielleicht beherzigen die Geistlichen beim nächsten Mal die in ihrem Dank an die Kinder mitschwingende Eigenkritik und fassen sich etwas kürzer und formulieren kindgerechter - die Kleinen fänden es bestimmt toll.

© SZ vom 21.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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