Vaterstetten:Aus der Vogelperspektive

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In knapp 300 Metern Höhe ist der ADAC-Stauflieger über den Autobahnen zwischen München, Salzburg, Innsbruck und Brenner unterwegs. (Foto: Thorsten Rienth)

Mit dem letzten Samstag der Sommerferien geht auch die Saison der ADAC-Stauflieger zu Ende. Ihre halbstündlichen Berichte informieren längst nicht mehr nur über die Verkehrslage

Von Thorsten Rienth, Vaterstetten

Am Schluss ist alles dreckig. Die ganze Windschutzscheibe ist übersät mit Punkten, Strichen, Klecksen in schwarz, gelb und rot. Fast fünf Stunden hatten Wind und Geschwindigkeit Zeit, Insekten auf der Scheibe der Cessna vom Typ C-172-XP zu verteilen. Vom Flughafen Landshut/Ellermühle Richtung Westen, dann über den Autobahnring A 99 und die A 8 nach Salzburg, über St. Johann und Innsbruck hinauf bis zum Brenner und von dort wieder über die Inntalautobahn. "Nimm gleich den Eimer mit", ruft Pilot Thomas Ibel dem ADAC-Stauflieger Klaus Ablaßmeier zu. Der Dreck muss weg. Die Schrubberei ist das Ende eines Tages, der ruhig beginnt und zwischendurch ziemlich wackelig wird.

Normalerweise herrscht hier dichter Verkehr. Kombis, Familienvans und Wohnwagen drängeln sich auf dem Münchner Autobahnring in Richtung Norden. Wer nicht auf die Schulferien angewiesen ist und seinen Sommer verlängern will, reiht sich ein gen Süden. Doch an diesem Morgen, dem letzten Samstag der Sommerferien, bleibt alles ruhig. Sogar die Raststätte Vaterstetten ist nur halb belegt. Lediglich am Autobahnkreuz München-Süd staut es sich etwas. "Das ist aber nur, weil die Leute in die Abbiegespuren Richtung Salzburg und Innsbruck einfädeln", weiß Stauflieger Ablaßmeier.

Ruhig ist an diesem Morgen auch das Wetter. Obwohl die Cessna mehr als eine Tonne wiegt und damit leichter ist, als die meisten Autos unter ihr auf dem Boden, schwebt sie schwerelos dahin wie auf Watte. "Das liegt an der Wolkendecke, die weiter oben ist", erklärt Pilot Ibel. "Dadurch kann sich noch keine richtige Thermik entwickeln." Spätestens gegen Mittag fühle sich das alles ganz anders an. Er wird recht behalten.

Wenn Stauflieger Ablaßmeier nicht gerade in der Cessna unterwegs ist oder als Stauberater auf dem ADAC-Motorrad sitzt, ist er bei dem Verkehrsclub in München verantwortlich für die Qualität im IT-Bereich. "Ich bin da die Schnittstelle zwischen den Anwendern und den Entwicklern", beschreibt er seinen Job. Zu den Staufliegern ist er vor 15 Jahren gekommen. "Damit habe ich mir den Traum vom Fliegen erfüllt."

Ein Traum ist auch dieser Samstagvormittag. Wie milchiger Brei steht noch ein bisschen Nebel am nördlichen Alpenrand. Im Osten schiebt sich die Sonne über die Berge, Pilot und Staubeobachter ziehen an den Sonnenblenden. Kaum Dunst ist in der Luft, 40 Kilometer beträgt die Sichtweite. "Das ist schon der Wahnsinn heute", sagt Ibel. Selbst für jemanden, der regelmäßig am Alpenrand vorbeifliege, sei das was Besonderes.

Ein sanfter Druck aufs linke Pedal und die Cessna dreht zusammen mit der A 8 ab in Richtung Salzburg. 1000 Fuß, also knapp 300 Meter, ist der Stauflieger dabei über der Autobahn. Normalerweise müssen auch kleine Propellermaschinen höher fliegen. Ibel aber hat eine Ausnahmegenehmigung. "So um die 300 Meter ist eine optimale Höhe", sagt Ablaßmeier. "Wir sind nah genug dran, um zu sehen, was los ist, haben aber trotzdem einen ganz guten Überblick über die Kilometer davor und danach."

Überblick - dies ist das Stichwort, warum Ablaßmeier die Sommerferien über abwechselnd mit den zwei Kollegen je nach Wetterlage zwischen München, Salzburg, Innsbruck und Brenner in der Luft ist. Es gehe darum, Autofahrern schnell und unkompliziert einen Eindruck zu vermitteln, wie es auf ihren nächsten Kilometern aussehe, beschreibt er seine Mission. Immer kurz vor der halben Stunde gibt er einen aktuellen Statusbericht mit Position und Route in die Verkehrsredaktion von "Antenne Bayern" durch. Ein paar Minuten später ist Ablaßmeier dann in den Verkehrsnachrichten zu hören. Doch sind solche Informationen angesichts von Navigationssystemen, die von der Geschwindigkeit Tausender Fahrzeuge praktisch selbständig und in Echtzeit auf einen Stau schließen, überhaupt noch nötig? Zumindest nicht unnötig, kontert Ablaßmeier. ADAC-Stauberater, Flugbeobachter oder Straßenwachtfahrer - in der Summe generiere das sehr wohl einen Mehrwert. Überfüllte Raststätten zum Beispiel seien in den Verkehrsnachrichten selten Thema. Aber ja: "Rein vom Stauflieger her betrachtet, war der Nutzen früher wahrscheinlich größer."

45 Knoten Gegenwind pfeifen der Cessna über der Europabrücke hinauf zum Brenner entgegen. Das entspricht ungefähr 23 Metern in der Sekunde oder etwa 83 Kilometern in der Stunde. Der Föhn, der sich als trockener Fallwind aus dem Süden durch das Tal zwängt, lässt an diesem Tag die Cessna in 70-Fuß-Schritten, also gut 20 Meter, nach oben springen und nach unten absacken. "Bockig", nennen die Piloten das. "Manchmal, da hast du das vier Stunden lang", erzählt Ablaßmeier. "Eine Viertelstunde ist okay, bei vier Stunden macht's dann echt keinen Spaß mehr."

Die große Reisewelle sei wohl vorbei, zieht Klaus Ablaßmeier auf dem Rückweg über dem Autobahnring eine Bilanz. "Es sah eigentlich die ganze Zeit gut aus", fügt er hinzu. Ein bisschen zäh fließend sei der Verkehr manchmal gewesen, aber kein Vergleich mit den ersten Ferientagen. "Da ging teilweise gar nichts mehr." So wird es wohl auch Ende Juli im nächsten Jahr wieder sein, wenn der Winterschlaf der Stauflieger vorbei ist.

© SZ vom 14.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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