Tafeln in Problemen:Energie statt Essen

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Die Tafeln im Landkreis klagen über einen Rückgang der Lebensmittel-Spenden. Hans Rombeck von der Grafinger Tafel vermutet die Betreiber von Biogasanlagen hinter dieser Entwicklung.

Von Anselm Schindler, Ebersberg

Die Tafeln im Landkreis treibt die Angst um, dass ihnen ihre materielle Grundlage ausgeht, denn nicht mehr verkaufstaugliche Lebensmittel könnten statt bei den Bedürftigen in Biogasanlagen landen. Grund für die Sorge: Der Anbau von Energiepflanzen wie Mais und Soja soll durch den Gesetzgeber zurückgefahren werden. Für größere Anlagen, die nicht mit Gülle arbeiten, wird dadurch das zur Energiegewinnung benötigte Material knapp, aus dem erst Gas und im nächsten Schritt durch Verbrennung Strom erzeugt wird. Das steigert die Nachfrage nach aussortierten Lebensmitteln.

Bei der Grafinger Tafel wird beklagt, dass das Angebot für die Bedürftigen weniger wird, weil die Spenden der Supermärkte zurückgehen. (Foto: Christian Endt)

Es ist ein absurdes Szenario: Im Supermarkt wird eine Keks-Packung einige Tage vor Erreichen des Mindesthaltbarkeitsdatums aussortiert. Vor der Filiale warten Mitarbeiter der Tafel, die die durchaus noch genießbaren Kekse gerne an ihre Klienten weiterreichen würden. Doch die Kekse landen in einer Biogasanalage. Deren Betreiber hat den Ehrenamtlichen von der Tafel eine Sache voraus: Er kann für die Entsorgung der Lebensmittel zahlen - eine ungleiche Konkurrenz.

Hans Rombeck, Gründer der Grafinger Tafel, sieht den Staat in der Pflicht: "Dem Gesetzgeber ist die Problematik anscheinend egal", ärgert sich Rombeck. "Die Problematik wurde bisher nicht erkannt." Zumindest nicht in der Politik, wohl aber bei den Engagierten, die die Lebensmittelausgaben organisieren. Vorige Woche trafen sich deshalb die Vertreter der zehn Landkreis-Tafeln, um über die Situation zu beratschlagen. Seit mehr als einem halben Jahr gingen die Lebensmittelspenden der Supermärkte stark zurück, das hätten ihm seine Kollegen von den anderen Tafel-Standorten bestätigt, so Rombeck. Er vermutet, das die knapp gewordenen Lebensmittelspenden, die den gemeinnützigen Organisationen von den Supermärkten zur Verfügung gestellt werden, zunehmend in Biogasanlagen verschwinden.

Im Landkreis gibt es laut Klimaschutzmanager Hans Gröbmayr zwar keine Biogasanlagen, die mit aussortierter Nahrung arbeiten. Das legt aber den Verdacht nahe, dass Supermärkte in der Region zunehmend eigentlich essbaren "Müll" an Anlagen außerhalb des Landkreises verkaufen. Gröbmayr ist dazu nichts bekannt, betont aber, dass trotz allem Bestreben zur Energiewende noch verzehrbare Lebensmittel nicht zu Strom gemacht werden dürften.

Die zehn Tafeln im Landkreis retten nach Angaben Rombecks zehn Tonnen Lebensmittel pro Jahr vor dem Müll. Dazu kommen Brot und Kuchen aus Bäckereien sowie diverse Molkereiprodukte. Rombeck findet es durchaus "vernünftig", dass Waren, die nicht mehr essbar sind, in Energie umgewandelt werden. Problematisch sei aber, "dass dabei auch schnell Waren, die noch zum Verzehr geeignet sind, in die Biogasanlage wandern". Eine wirksame Kontrolle sei kaum möglich. Deshalb ist es den Tafeln besonders wichtig, dass sie die ersten sind, die den Abfall in essbar und ungenießbar aussortieren. Dieser Vorsprung müsse in der Entsorgung von Lebensmitteln unbedingt beibehalten werden.

Die Problematik ist nicht neu: Hans Rombeck ist seit dem Bestehen der Grafinger Tafel auch dafür zuständig, die aussortierte Ware bei den Filialen abzuholen. Als er bei einem Discounter vor eineinhalb Jahren feststellte, dass die Biotonne abgeschafft worden war, war er alarmiert. Er wandte sich an Max Lehmer (CSU). Der Agraringenieur saß damals noch für den Wahlkreis Ebersberg-Erding im Bundestag. Auf das Hilfegesuch von Rombeck hin übte er Druck auf den Grafinger Supermarkt aus, die Personalleiterin versicherte ihm, dass die Tafel "immer Vorrang" habe. Ihren "Vorrang" sehen die Tafeln im Landkreis nun in Gefahr, da der "Konkurrenzdruck durch die Biogas-Energie-Erzeuger" größer werde, wie es Hans Rombeck formuliert. Um so wichtiger sei es, wachsam zu sein und moralischen Druck auf die Discounter auszuüben.

© SZ vom 20.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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