Spannender Rundgang:Schandgeigen und Kettenhochzeiten

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Um starke Grafinger Frauen geht es in der Stadtführung - vor vorwiegend weiblichem Publikum erzählt Historiker Thomas Warg allerlei Wissenswertes. (Foto: Christian Endt)

Eine Grafinger Stadtführung beschäftigt sich mit Schicksal und Lebensumständen einflussreicher Frauen, die die Stadt geprägt haben. Eine Tour durch die Jahrhunderte

Von Annalena Ehrlicher, Grafing

Der Spruch von den "guten alten Zeiten" bleibt einem im Halse stecken, wenn man bei einer historischen Führung von den Lebensumständen der Grafinger vor einigen hundert Jahren hört. "Von wegen 'schwaches Geschlecht!' - Starke Frauen in Grafing", ist der Titel der Tour, die sich mit einflussreichen Frauen der Stadtgeschichte beschäftigt.

"Mir geht es vor allem darum, die Lebensbedingungen darzustellen, in die sich die Frauen damals fügen mussten", sagt Historiker und Stadtführer Thomas Warg, der am Sonntag für die erkrankte Kollegin Verena Spierer eingesprungen ist. Die Lebensumstände waren, jedenfalls aus heutiger Perspektive, alles andere als rosig. Zwar gab es keine Hexenprozesse - "darauf sind wir ziemlich stolz", so Warg -, in anderen Belangen ging es dafür umso herber zu: So verzeichnet die Ortschronik beispielsweise, dass die örtliche Hebamme an den Pranger gestellt wurde, weil sie einer "leichtfertig Imprägnierten" bei der Entbindung geholfen hat. "Wer sich fragt, was das bedeutet: Wenn eine Frau leichtfertig imprägniert wurde, war sie danach schwanger", bemerkt Warg trocken.

Er erzählt mit Lust an den gruseligen Details, was für drakonische Strafen ansonsten im Grafing des 17. Jahrhunderts vollstreckt wurden. Für trunkene Schlägereien: Pranger. Für keifende Streitereien: Schandgeige. Letztere ist eine in Europa mittlerweile verbotene Halsfessel aus Holz, in der Kopf und Arme der betroffenen Person fixiert werden. Besonders gemein dabei: Gerieten zwei Frauen miteinander in Streit, so wurden sie in einer doppelten Schandgeige direkt voreinander fixiert - zu weit auseinander, um sich zu treten und gleichzeitig zu nah, um die Gemüter freiwillig abkühlen zu lassen. "Ja, wer das überlebt hat, musste ja eine starke Frau werden", bemerkt der einzige männliche Teilnehmer der Tour unter zustimmendem Nicken.

In die allgemeinen Lebensumstände verortet Warg immer wieder die historisch verbürgten einflussreichen Frauen Grafings - von Regina Reis, die im 17. Jahrhundert die Weintaverne mit ihrem Mann geführt hat, bis zur heutigen Bürgermeisterin Angelika Obermayr. Maximiliane Dierauff, Gleichstellungsbeauftragte in Grafing, hätte sich im Lauf der Tour dennoch einen stärkeren Bezug zu modernen Frauen gewünscht, die mit ihrem Engagement die Gemeinde geprägt haben. "Da gibt es zahlreiche Beispiele von tollen Frauen, die auch im 20. Jahrhundert Vorreiterinnen waren", sagt sie. Wer eine Geschichte Grafings starker Frauen erzählen will, stößt auch unabhängig von den Heldinnen der Geschichte - wie Afra von Pienzenau, die protestantische Geistliche beherbergte, oder die verfeindeten Ortsgründerinnen Gisela von Burgund und Gräfin Richardis von Ebersberg - auf faszinierende Beispiele aus der jüngeren Geschichte. Im vergangenen Jahr gab es unter anderem auf ihre Anregung im Stadtmuseum eine Sonderausstellung, die den einflussreichen Frauen in Grafings Vergangenheit und Gegenwart gewidmet war. "Jeder Stadtführer hat hier seinen eigenen Ansatz", erklärt Warg. "Wer die Stadtführung mit der Kollegin Spierer am 10. April noch einmal macht, wird garantiert andere Geschichten zu hören bekommen", verspricht er.

Dennoch muss man zugeben, dass sich beispielsweise das Brauerei-Gewerbe erstaunlich gut eignet, um eine - weibliche - Geschichte der Stadt zu erzählen: Die über den Verlauf der Jahrzehnte wechselnden Namen der Brauereien beispielsweise sind ein Produkt sogenannter Kettenhochzeiten. In Wargs Beispiel heiratet eine 17-jährige Brauerstochter einen deutlich älteren Mann, der selbstredend auch Brauer ist - das Gewerbe soll schließlich in der Familie bleiben. Stirbt nun der ältere Gatte, hat dessen Witwe nur eine kurze Zeitspanne zum Trauern und wird danach - man ahnt es - wieder an einen Brauer verheiratet. Wenn nur die Kinder aus der zweiten Ehe das Alter der Volljährigkeit erreichen, geht die Brauerei an diese über. "Es gab Handwerker, die aus ihren verschiedenen Ehen 20 oder sogar 30 Kinder hatten", fährt Warg fort. "Ah, do bist grad froh, dass'd ned glebt host zu der Zeit", rutscht es einer Zuhörerin raus. Früher war eben nicht alles besser.

© SZ vom 13.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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