Serie: Schauplätze der Geschichte:Rätsel um die letzte Ruhe

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Mehr als 10 000 Soldaten fielen in der Schlacht von Hohenlinden am 3. Dezember 1800, ihre Gräber hat man bis heute nicht gefunden. Ein Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, an diese blutige Auseinandersetzung zu erinnern, die einen Wendepunkt in der Geschichte Bayerns bedeutete

Von Barbara Mooser

Es muss ein apokalyptischer Anblick gewesen sein, damals, im Advent des Jahres 1800. Auf einer Waldlichtung bei Hohenlinden hatten sich Franzosen, Bayern und Österreicher gerade die letzte, die blutigste Schlacht geliefert, aus der die Franzosen zwar siegreich hervorgingen, doch zu einem hohen Preis. 10 000 bis 12 000 Männer mussten in jenen Wintertagen auf beiden Seiten ihr Leben lassen. "Hier lagen tote Pferde und Menschen bei- und nebeneinander, die letzteren schrecklich zugerichtet, und beinah alle bis aufs Hemde ausgezogen oder ganz nackend, Freund und Feind waren jetzt schwer zu erkennen, der Tod hatte sie alle miteinander vereinigt, und so ruhten sie nun eben so friedfertig einer zur Seite des anderen, wie sie zusammen gelebt haben würden, wenn sie das Schicksal in andere Verhältnisse gebracht hätte", schrieb ein französischer Soldat später.

Die Schlacht von Hohenlinden am 3. Dezember 1800 gilt als ein Wendepunkt in der bayerischen Geschichte; denn nach der vernichtenden Niederlage wandten sich die Bayern von ihren bisherigen Verbündeten, den Österreichern, ab und schlugen sich auf die Seite Napoleons. Sie verloren zwar die linksrheinischen Gebiete, aber Franken und Schwaben wurden fast gänzlich Teil des Kurfürstentums und späteren Königreichs. Bayern nahm somit seine heutige Gestalt an. Viel ist seitdem über die Schlacht von Hohenlinden geforscht worden, doch ein Rätsel ist bis heute nicht gelöst: wo das Gros der Gefallenen bestattet wurde. Nur die Grabstätten von einigen hundert Soldaten sind bekannt. Alle anderen werden wohl irgendwo in Massengräbern nahe der Schlachtfelder ruhen, wie Martin Hubner, Vorsitzender des Vereins "Hohenlinden 2000", vermutet.

Bauern auf dem Mittbacher Plateau sollen noch viele Jahrzehnte nach der Schlacht Menschenknochen aus der Erde geackert haben, doch eine große Suche nach Gräbern durch den Oberbayerischen Bezirksverein für Kriegsgräberfürsorge blieb 1962 erfolglos. "Fast unglaublich" findet das der Hohenlindener Forscher. Denn andere Relikte der Schlacht sind noch heute im Boden zu finden - erst vor wenigen Wochen hat ein junger Mann einen Beutel mit bleiernen Kugeln bei Museumsleiter Rolf Kaiser abgegeben. Und auch Bajonette, Kanonenkugeln und Säbel sind in den Vitrinen des kleinen, aber feinen Museums im Keller der Schule zu bewundern. Ins Auge fallen besonders zierliche Hufeisen - sie stammen von den Vollblutpferden der ungarischen Reiter, die damals auf der Seite der Österreicher kämpften.

Überdauert hat aber auch vieles, das sich nicht hinter Glas ausstellen lässt, viele alte Flurnamen etwa oder der Franzosenbrunnen im Forst. Wenn man in Mittbach nach dem Moreau-Schneider fragt, weiß auch gut 200 Jahre später jeder, wo man hin will: In diesem Haus ließ der französische Feldherr seinen Rock flicken, den ihm wohl der übereifrige Wachhund zerrissen hatte. Und in Hohenlinden wohnen noch heute die Nachfahren jenes Stefan Rumpfinger, der zwischen die Fronten geraten und als Spion verdächtigt worden war. Als Dank für seine Errettung spendierte er der Muttergottes ein Votivbild, das heute in der Kirche in Kronacker hängt. Sogar eine kleine Wallfahrt geht immer noch auf die Ereignisse rund um die Schlacht von Hohenlinden zurück. Die Mittbacher hatten gelobt, jedes Jahr nach Sankt Christoph zu pilgern, wenn sie von den Schrecken des Krieges verschont blieben. An dieses Versprechen halten sie sich bis heute.

Und es gibt eine Fülle von Geschichten, die sich aus der Zeit der Schlacht überliefert haben. Eine der eindrucksvollsten und traurigsten ist die des bayerischen Soldaten, der die Sicherheit suchte und den Tod fand: Der junge Mann war, so wird erzählt, nahe Hohenlinden aufgewachsen und kannte die Gegend um den Großhaager Forst gut. Als die Alliierten sich schon auf der Flucht befanden, fiel ihm ein Versteck aus seiner Kindheit ein: ein hohler Baum. Dort verbarg er sich vor den Franzosen und wähnte sich sicher. Doch der Baum, so heißt es, war in den Jahren seit den kindlichen Versteckspielen wohl morsch geworden, auch war das Gewicht des Mannes höher als das des Knaben von damals. Und so stürzte der Mann hinab in das Wurzelwerk des Baums und konnte sich nicht mehr befreien. "Als man mehrere Jahrzehnte später den Baum fällte, jagte das Gerippe in der Uniform eines österreichischen Husaren mit Lederzeug und Säbel den Holzfällern einen gehörigen Schrecken ein", so endet die Geschichte aus dieser Zeit, die auch im Museum so manchem Schulkind einen Schauer über den Rücken jagt.

Auch in der Vergangenheit lernte zwar jedes Schulkind, was es mit der Schlacht von Hohenlinden auf sich hat, doch kollektiv begannen sich die Hohenlindener erst vor etwa 20 Jahren mit den Ereignissen zu beschäftigen. Damals ging es darum, eine Form zu finden, wie man an den 200. Jahrestag der Schlacht erinnern sollte. "Militärtümelei", sagt Martin Hubner, "verbot sich ja von selbst". Schließlich brachte die Schlacht den Bayern zunächst nichts als Tod und Elend. So kam der gerade neu gegründete Verein "Hohenlinden 2000" auf die Idee, in einem Freilichtspiel an die "Knechte der Schlacht" zu erinnern. Der aus Halsbach bei Altötting stammende Autor Marin Winkelbacher schrieb für die Hohenlindener eigens ein Stück, in der zwar auch die schönen Uniformen der beteiligten Soldaten ins Bild gesetzt wurden, in dem es aber vor allem darum ging, welche Not der Krieg für die Zivilbevölkerung bedeutete. Martin Hubner, der heutige Vereinsvorsitzende, war natürlich auch mit von der Partie: als Chef der berittenen Abteilung der Bayern. Die ganze Gemeinde war damals, wie sich der 71-Jährige erinnert, "zwei Wochen lang im Ausnahmezustand", bei zehn Aufführungen sahen 9000 Besucher zu, wie 500 Schauspieler und Komparsen versuchten, die Ereignisse von damals wieder lebendig werden zu lassen.

Heute ist es wieder ruhiger geworden um Hohenlinden, doch das Interesse an Geschichte ist ungebrochen. "Wir sehen unsere Aufgabe im Bewahren des historischen Erbes - mit dem steten Hinweis, was Krieg bedeutet: eine Katastrophe für alle Betroffenen, auch für die vermeintlichen Sieger", sagt Hubner. Längst erinnern sich Sieger und Besiegte gemeinsam an die Ereignisse vom Dezember 1800. Immer wieder besuchen Delegationen aus Frankreich die Gemeinde, umgekehrt fühlen sich auch die Bayern in Frankreich sehr wohl. Neulich war sogar eine kleine Delegation des 110. französischen Infanterieregiments zu Besuch. Im Gepäck: die Originalfahne, die am 3. Dezember 1800 den französischen Soldaten vorangetragen wurde.

Am Mittwoch: Im 19. Jahrhundert bricht in Ottobrunn ein bayerischer Prinz auf, um Griechenland zu retten.

© SZ vom 09.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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