Senioren-Hausgemeinschaft:Der Pakt der Rentner

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Die fröhliche Hausgemeinschaft von Ebersberg. Sie wohnen unter einem Dach und haben sich verpflichtet, sich gegenseitig zu helfen. (Foto: Christian Endt)

Ein früherer CSU-Landrat und ein Ex-Ortsvereinschef der SPD sind hier Freunde geworden: In Ebersberg leben drei Ehepaare und drei alleinstehende Frauen gemeinsam unter einem Dach. Wie funktioniert so eine Hausgemeinschaft?

Von Anne Kratzer, Ebersberg

"Wir sind keine WG", sagt Reinhard August deutlich - einen Moment lang hören die acht anderen Senioren am Tisch auf, mit ihren Kaffeelöffeln in den Kaffeetassen zu rühren. Sie halten inne, denn sie sind eine Hausgemeinschaft, und dieser Unterschied ist ihnen wichtig: Er bedeutet, dass jeder eine eigene Wohnung hat. Wer an eine WG denke, habe vermutlich die Kommune um Rainer Langhans im Kopf, fährt August fort "aber wir stellen uns nicht wie die nackt an die Wand".

Im roten Salon, wie die Senioren ihren Gemeinschaftsraum mit der roten Küche nennen, wird es laut, sie lachen, ihre Gesichter sind gerötet. Hier herrscht wahrlich kein Chaos, sondern Bürgerlichkeit: Das Kaffeegeschirr passt zusammen, die Damen tragen ganz normale Hosen, Blusen und T-Shirts, der Raum wird geprägt durch schlichte helle Holzmöbel, ein Kreuz hängt an der Wand und es gibt große Fenster, die den Blick auf Einfamilienhäuser und Blumengärten freigeben.

Vieles ist vertraglich festgehalten

Neben August, einem 76 Jahre alten pensionierten Ingenieur mit Brille und weißem Bart, und seiner Frau Doris, einer Religionslehrerin, die mit ihm zusammen das Wohnprojekt initiiert hat, leben noch zwei weitere Ehepaare gemeinsam hier im oberbayerischen Ebersberg: Gisela und Fritz Schnabel sowie Hans Vollhardt, ehemaliger CSU-Landrat, und Doris Vollhardt, die "Rosenkönigin" genannt wird, aber auch Fitnesstrainerin heißen könnte: Sie leitet die anderen Frauen einmal pro Woche zum Beckenbodentraining an. Außerdem drei alleinstehende Frauen: Erika Hemm, Elke Sommer und eine zweite Erika, die mit Nachnamen eigentlich Hess heißt, aber so gute Knödel macht, dass sie nur "Knödelkönigin" genannt wird. Alle sind zwischen 70 und 80 Jahre alt.

Seit 2012 leben sie in dem Haus, das sie geplant haben, aber nicht besitzen. Es gehört der Wohnungsbau Genossenschaft Wasserburg, sie haben ein Mietrecht auf Lebenszeit. Auch wenn sie es hätten kaufen können, bevorzugten die neun Ebersberger, dort als Mieter zu leben: Sie können, das haben sie mit dem Investor besprochen, selbst bestimmen, wer neu einzieht, wenn einer von ihnen stirbt; besäßen sie das Haus, könnten die Erben Anspruch auf die Wohnung haben. Dass sie den Nachmieter zusammen auswählen, haben sie in einem Vertrag festgehalten - wie so vieles, was ihr Zusammenleben regelt.

Sich gegenseitig helfen, aber nicht pflegen

"Wir wollen, wenn möglich, bis zum Ende zusammenbleiben", sagt August. Sie wollen sich helfen, aber sich nicht gegenseitig pflegen: Wer pflegebedürftig sei, müsse sich Hilfe von außen holen. Eventuell könne eine gemeinsame Pflegekraft im roten Salon wohnen. Sollte ein Bewohner an Demenz erkranken, darf er prinzipiell bleiben. "Nur wenn die Hilfe hier nicht mehr geleistet werden kann, weil jemand beispielsweise wegläuft, soll er ins Heim." Wie die Bewohner solche Entscheidungen treffen, wird sich erst in einigen Jahren zeigen - noch stehen andere Ziele im Vordergrund: sich geistig wach halten und auch außerhalb des Hauses präsent sein. Oder den roten Salon mit Leben füllen.

"Wenn meine Frau mit ihrer Flötengruppe übt, machen wir alle die Türe auf und lauschen", sagt August. Wenn Doris Vollhardt ihren Lesekreis abhalte, kämen auch andere Senioren, im Advent haben sie einsame Männer und Frauen aus dem Altenheim eingeladen. Asylbewerber seien zum Deutsch lernen hier gewesen und den Familien in der Nachbarschaft hätten sie angeboten, auf die Kinder aufzupassen. Regelmäßig diskutierten sie bei Themenabenden über Gesellschaftspolitisches.

Antonia Drumm, die für ihre sozialwissenschaftliche Bachelorarbeit an der Universität Augsburg Wohnprojekte für ältere Menschen untersucht hat, sagt: "Durch die festen Vereinbarungen kommt es zu tiefen Gesprächen. In einer vergleichbaren Hausgemeinschaft gab es keine festen Treffen, deswegen beschränkte sich die Konversation auf den Austausch von Alltagsinformation." Im Norden Deutschlands gebe es solche Wohnformen häufiger, in Bayern kenne sie nur drei.

Tiefe Gespräche statt dem simple Austausch von Alltagsinformationen: Die Bewohner der Hausgemeinschaft tauschen sich aus. (Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Etwa 0,2 Prozent der deutschen Rentner leben derzeit in alternativen Wohnprojekten. Und das, obwohl nach einer Umfrage im Auftrag des bayerischen Sozialministeriums 80 Prozent der Befragten einen Aufenthalt im Pflege- oder Altenheim ablehnen. Doch auch wenn bislang erst wenige Senioren sich in Wohnprojekten zusammengetan haben, scheint diese Lebensform doch den Zeitgeist zu treffen: Im Internet suchen viele Rentner Mitbewohner. Reinhard August weist aber daraufhin, dass das ganze Projekt sehr anstrengend gewesen sei. Man müsse früh anfangen, sich kennenzulernen, "so ab 50".

Man hat sich lange kennengelernt

Ein gleicher finanzieller und kultureller Hintergrund sei übrigens nicht entscheidend, auch bei den Ebersbergern gibt es neben Politikern und Lehrern auch Krankenschwestern und Kaufleute. Sie haben sich über eine Seniorengruppe der evangelischen Gemeinde kennengelernt, dort haben die Augusts 2008 ihre Vision kundgetan, und von da an trafen sich die Interessierten fast wöchentlich. "Finanziell ist so etwas für alle möglich", sagt August. Zwei der Ebersberger Frauen bekommen sogar einen staatlichen Zuschuss zur Miete. Außerdem habe das Sozialministerium sie mit 20 000 Euro für den Gemeinschaftsraum unterstützt und biete Mediation im Streitfall an.

Aber danach sieht es nicht aus. Reinhard August, der ehemalige SPD-Ortsvorsitzende, und Hans Vollhardt, der frühere CSU-Bürgermeister und Landrat, sitzen sich im roten Salon gegenüber. Früher hätten sie wegen ihrer politischen Richtung Vorurteile gehabt, sagt August: "Es ist erstaunlich, wie wir die abgebaut haben. Jetzt sind wir richtig befreundet." Vollhardt sagt, dass sich durch den engen Kontakt im Haus "eine geistige Beweglichkeit" eingestellt habe, er sei jetzt offener als vor seinem Einzug. Tags zuvor haben sie sich singend vor der Wohnung von Fritz Schnabel getroffen, zusammen mit allen anderen haben sie ihn in den roten Salon geführt und gemeinsam gefrühstückt. Das machen sie neunmal im Jahr - an jedem Geburtstag.

© SZ vom 02.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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