Schienenersatzverkehr:"Die Leute haben sich fast zerquetscht"

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Nach dem Zugunglück bei Riem kommt es auf der S 2 noch mindestens bis Mitte nächster Woche zu massiven Fahrplanänderungen. Pendler und Fahrgastverband ärgern sich über den Schienenersatzverkehr der Bahn

Von Korbinian Eisenbergerund Christina Hertel, Markt Schwaben

Es waren Zustände wie am Black Friday. "Anders kann man es nicht beschreiben", sagt Tobias Vorburg. Der Markt Schwabener ist Student, Pendler und seit Anfang der Woche mitten drin im S-Bahn-Chaos. Normalerweise dauert es von Markt Schwaben bis zum Ostbahnhof 20 Minuten. "Jetzt brauche ich mindestens doppelt so lange", sagt Vorburg. So war es auch am Montagfrüh, zur Stoßzeit, mit Schienenersatzverkehr. Und der sieht in Markt Schwaben so aus: Gegen 7.15 Uhr warten um die hundert Fahrgäste am Bahnhof. Die Bahn schickt ein Großraumtaxi. "Es sind sofort 30 Leute aufs Taxi zugestürmt", sagt Vorburg, 28 Jahre alt. "Ich prügle mich nicht um einen Sitzplatz", sagt er. Später kamen dann kleinere Taxis oder Reisebusse. "Im Bus haben sich die Leute fast zerquetscht", sagt Vorburg. Es wurde immer weiter gedrückt, "bis die Busfahrerin einen Schrei losgelassen hat".

Mit solchen Szenen müssen Menschen, die mit der S-Bahn zwischen Erding und Ostbahnhof unterwegs sind, wohl auch die nächsten Tage rechnen. Weil in der Nacht auf Samstag am Riemer S-Bahnhof ein Güterzug entgleist ist, war der Zugverkehr auf der S-Bahn-Linie 2 zwischen Ostbahnhof und Markt Schwaben mehrere Tage komplett lahmgelegt. Mittlerweile können zwar einzelne Züge wieder fahren, größere Fahrplaneinschränkungen gibt es laut Deutscher Bahn trotzdem noch bis mindestens Mittwoch, 9. Mai. Denn in den kommenden Tagen müssen Arbeiter Weichen instand setzen, Schienen, Schwellen und Schotter reparieren und sich um defekte Oberleitungen kümmern. Erst dann könne die Bahn den Zugbetrieb wieder vollständig aufnehmen. Insgesamt sei ein Schaden von etwa vier Millionen Euro entstanden.

Bis dieser komplett behoben ist, können Züge und Bahnen nur eines von vier Gleisen befahren. Die Folge: ein ziemlich eingeschränkter Fahrbetrieb. Zwischen Ostbahnhof und Erding fährt momentan nur eine S-Bahn in der Stunde je Richtung. Besser sieht es zwischen Erding und Markt Schwaben aus. Dort besteht laut Bahn weitgehend ein 20-Minuten-Takt. Dazu kommen einzelne S-Bahnen, die morgens und nachmittags zwischen Petershausen und Markt Schwaben verkehren. Doch die Haltestelle Feldkirchen wird von der S-Bahn gar nicht angefahren. Sie ist nur mit einem Bus erreichbar, der zwischen Berg am Laim und Heimstetten pendelt.

Wie beschwerlich dieser Weg sein kann, erlebte Peter Zimare am Mittwochabend. Er arbeitet für das Technik-Unternehmen Leicher am S-Bahnhof Heimstetten. Dort habe er an der Haltestelle auf den Schienenersatzverkehr gewartet, erzählt er. "Zwei Busse und zwei Taxis sind an mir vorbeigefahren, obwohl ich direkt an dem Haltepunkt stand." Als das nächste Taxi kam, sei er auf die Straße gesprungen. "Ich habe mich quasi vor den Wagen geworfen. Für die Bahn ist das doch einfach nur peinlich."

Auch sein Kollege Raphael Rossini ist verärgert. Er sagt, er überlege sich, nach diesen chaotischen Tagen doch endlich ein Auto zu kaufen. Er wohnt in Laim, ging dort um 7.20 Uhr aus dem Haus und kam erst um 9.45 an seinem Arbeitsplatz in Heimstetten an. Macht fast zweieinhalb Stunden für einen Weg zur Arbeit, der sonst 40 Minuten dauert. Am Ostbahnhof sei er nach Berg am Laim geschickt worden, von dort wieder zurück zum Ostbahnhof. "Da fängt der Tag schon richtig schlecht an."

Rossini und Zimare verstehen beide nicht, warum die Bahn so schlecht mit ihren Kunden kommuniziert, warum sie keine Schilder aufstellt, warum die Apps nicht richtig funktionieren und warum sie Menschen von einem Bahnhof zum nächsten schickt und wieder zurück. Ihr Arbeitgeber habe zum Glück Verständnis. Nervig sei es aber trotzdem, jeden Tag mit einem "Tut mir Leid - schon wieder zu spät" das Büro zu betreten.

Stefan Hofmeir, Sprecher des Fahrgastverbands "Aktion Münchner Fahrgäste", sieht in diesen chaotischen Zuständen ein Zeichen dafür, dass die Bahn auf Tangenten setzen müsste. "Natürlich ist es immer möglich, dass ein Unfall passiert. Umso wichtiger ist es doch, dass nicht nur Bahnen in die Innenstadt fahren, sondern dass es auch Querverbindungen gibt."

Für Peter Zimare ist dieser Hinweis wenig tröstlich. Er hat sich inzwischen eine Verbindung zur Arbeit herausgesucht, bei der er nicht auf den Schienenersatzverkehr angewiesen ist. Die dauert doppelt so lange und ist teurer, weil er öfter stempeln muss. Aber wenigstens, meint er, fährt kein Taxi mehr an ihm vorbei. Der Markt Schwabener Student Tobias Vorburg hat schon einige Taxis vorbei fahren lassen. "Angekommen bin ich bisher trotzdem immer", sagt er. Dann kann es zwar sein, dass man erst das fünfte Taxi erwischt und zu spät zum Seminar kommt. Dafür aber unverletzt.

© SZ vom 04.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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