Rathauskonzert:Jenseits aller Zweifel

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Spielfreude pur: das Ensemble aus den Brüdern Ken, Erik (beide Violine) und Mark Schumann (Cello) sowie der Bratschistin Liisa Randalu. (Foto: Christian Endt)

Das "Schumann-Quartett" bringt in Vaterstetten seine Extraklasse überzeugend zum Klingen

Von Ulrich Pfaffenberger, Vaterstetten

Wie kann einer nur so etwas komponieren? Selbst wenn man sich Lebens- und Zeitgeschichte eines Dmitri Schostakowitsch ausführlich vor Augen führt, wenn man Musiktheorie und Kompositionskunde durchforscht, wenn man Vergleiche zieht mit anderen Komponisten und Epochen: Diese knapp zwölf Minuten Streichquartett Nr. 7 in fis-Moll sind ein Solitär. Ein Werk, dem man, wenn überhaupt, nur aus dem Moment heraus wirklich nahekommt, dem Moment, in dem die Töne das Trommelfell berühren, eine zündende Empfindung ans Gehirn schicken und dort etwas auslösen, das einem so noch nicht begegnet ist. Auch wenn man schon hunderte von Streichquartetten gehört hat. Die Frage nach dem "Wie" wird gleichwohl nicht zu beantworten sein.

Aber die Idee des Komponisten lässt sich einem aufmerksamen Publikum nahebringen. Etwa in Vaterstetten, wo die Besucher der Rathauskonzerte dank langjähriger Exposition zum Außergewöhnlichen mit einem solchen Angebot etwas anzufangen wissen. Das Schumann-Quartett war da nun zu Gast und packte diesen fulminant aufregenden Schostakowitsch in die Mitte hinein. Ein Stück in einem Atemzug, gewidmet dem Andenken an die verstorbene Ehefrau und erfüllt von potenzierten Emotionen. Wühlende Erinnerungen wechseln sich ab mit Ausbrüchen von Zorn und Verzweiflung, mit Melodien der Sehnsucht nach Berührung und Nähe. Alles in einem Maße verdichtet, dass es einem schon beim Zuhören den Atem raubt. Stünde dieses Konzert nicht ausdrücklich im klassischen Kanon, könnte es auch als "Heavy Metal für vier Streicher" durchgehen.

Wenn es schon die Zuhörer so fordert: Wie viel Kraft und Konzentration müssen da erst die vier Musiker aufbringen? Wären da nicht winzige Zeichen von Körperspannung, könnte man angesichts der Brüder Ken, Erik (beide Violine) und Mark Schumann (Cello) sowie der Bratschistin Liisa Randalu meinen: keine. Das Quartett spielt so frei von Zweifeln und so geradlinig, dass sich der Eindruck aufdrängt: Diese Vier sind für dieses Opus geboren, die Noten, Harmonien und Rhythmen stecken in ihrer DNA. Mal spielen sie einander mit blindem Verständnis zu, mal tauschen sie subtile Signale für eine spontane Akzentuierung aus, mal steigern sie, mal verzögern sie das Tempo um Nuancen, die nur dem Gespür für den Moment entspringen können. Kurzum: Das Quartett wird in jedem Takt dieses Stücks - und des ganzen Konzerts - dem ausgezeichneten Ruf gerecht, der ihm vorauseilt. Zumal man gar nicht erst damit anzufangen braucht, die einzelnen Mitglieder des Ensembles gegeneinander abzuwägen und zu werten. Da passt kein Vierundsechzigstel dazwischen, was Können und Spielfreude angeht.

Weshalb es auch die beiden anderen Titel des Konzerts in ihrer selten zu hörenden Intensität zu würdigen gilt. Der Abend im gut besetzten Saal des Seniorenwohnparks in Vaterstetten begann mit einer "Demonstration in Kammersinfonik", zelebriert am ersten Razumovsky-Quartett Ludwig van Beethovens. Ob die Notierung nun in F-Dur steht oder in einer anderen Tonart: Der Charakter des Stücks, seine Klangfülle und sein Melodienreichtum entfalten sich ganz eindeutig aus dem Spiel der vier jungen Streicher heraus. Die ganze Spannung, die den vier Sätzen innewohnt, die Lebendigkeit der angezeigten Tempi, die Einladung zu überraschenden Akzenten in den Übergängen - es ist ein Lehr- und Meisterstück, was das Schumann-Quartett hier aufführt. Man fühlt sich als Zuhörer umfasst von einer großartigen Melodie und will sich ihr mit allen Sinnen dreingeben. Drei "Vorhänge" beim Applaus schon nach der ersten Nummer sind Zeugnis des Wow-Effekts, den das auslöst.

Nicht minder hingerissen zeigt sich das Publikum nach dem abschließenden Streichquartett Nr. 3 es-Moll von Piotr Tschaikowsky. Vor allem der intensive zweite Satz, in dem immer wieder die Melodie innerhalb eines Taktes von einem Instrument zum nächsten fliegt, sorgt für ehrfürchtiges Staunen darüber, wie vollendet sich hier Präzision und Leidenschaft miteinander einlassen. Man sieht es den Gesichtern im Saal an, dass sich jeder Anwesende sicher ist, den russischen Komponisten gerade neu entdeckt zu haben, und dass der Wunsch aufkeimt, das Konzert möge doch jetzt um Himmels willen nicht schon vorbei sein. Berührt vom intensiven Applaus schenken die vier Musiker dem Publikum noch ein Betthupferl als Zugabe: den 2. Satz, das "Scherzo", aus dem "Vogelquartett" von Joseph Haydn. Keine drei Minuten, aber so vollkommen gespielt, dass sie allein die 27 Euro Eintritt wert gewesen wären.

© SZ vom 13.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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