Premiere:Wenn in Kraglfing gerauft wird

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"Z'Minga dengans mir in Kragfling raffan bloß", fürchtet der Bürgermeister (Jörg Herwegh, in der Mitte) und stürzt sich in die Rauferei. (Foto: Christian Endt)

Jörg Herweghs Tourneetheater präsentiert in Edling am Stoa Amtsgerichtssatire. Derb und bairisch - dem Publikum gefällt das

Von Theresa Parstorfer, Edling

Nach zwei Stunden reicht es dem Richter. Wären die weißen, kurzen Haare unter seinem Richterhut länger, er würde sie sich vermutlich raufen. Stattdessen hetzt er über die Bühne und wettert atemlos vor sich hin: "Ich wurde gewarnt, worauf ich mich in Kraglfing einlasse." Um Kraglfing und seine Bewohner geht es in Jörg Herweghs Stück "Der verschmähte Liebhaber oder die Schlacht von Kraglfing", das am Freitagabend auf der Freiluftbühne am Stoa in Edling Premiere feierte. Übernommen ist dieser Ortsname von verschiedenen Amtsgerichtssatiren von Ludwig Thoma, und um ein Amtsgericht geht es auch in Herweghs selbst geschriebenem bairischen Volkstheater.

Erst vor kurzem wurde der Richterposten in Kraglfing von eben jenem verzweifelten Richter (Gerd Niedermayer) übernommen. Zu Anfang des Stücks ist er aber noch gar nicht so verzweifelt. Lediglich verwundert bis leicht verärgert darüber, dass keiner der im Gerichtssaal Anwesenden wirklich weiß, wie der Robenträger korrekterweise anzusprechen ist ("Herr Richter", "Herr Rat", "Herr... Ehren...", stammelt beispielsweise der Bürgermeister, gespielt von Regisseur Jörg Herwegh selbst, oder dass bereits alle Zeugen auf den Bänken sitzen, als er den Raum betritt, anstatt vom Gerichtsvorsteher einzeln aufgerufen und hereingeholt zu werden.

Doch wie arg es um die Sitten und den Anstand in Kraglfing tatsächlich bestellt ist, das zeigt sich im Verlauf der Verhandlung. Nur um eine Bagatelle sollte es gehen, einen vermeintlich absichtlich gebrochenen Knöchel einer "zuagroasten Preissin" (Kirsten Lossin). Schuldig dieser "schweren Körperverletzung" soll ein Realienbesitzer aus der schicken Residenzstadt München sein, behauptet die geschädigte, feine Dame. Ohne Unterlass und "mindestens 20 Liebesgedichte" rezitierend, soll er ihr nachgestellt, ihr gar einen Heiratsantrag gemacht, und ihr schließlich beim Josefitanz aus verletztem Stolz und rasender Eifersucht seinen Gehstock so hinterlistig zwischen die Beine geworfen haben, dass sie stürzte und sich den Knöchel verletzte.

Für nicht schuldig befindet der Richter den Angeklagten sehr zur Überraschung aller Anwesenden, nachdem die Tochter des schweigsamen Tischlermeisters vorschlägt, die Vorkommnisse während der Tanzveranstaltung nachzustellen. Mithilfe einer eindrucksvoll inszenierten Zeitlupenchoreografie lässt sich beweisen: Der Stock war tatsächlich nur in einer "Verkettung unglücklicher Umstände" zum Stolperstein geworden, wie der Richter im Urteil verkündet.

Das freut den Realienbesitzer, gespielt von Richard Röckl, so sehr, dass er sich gar nicht mehr weiter darum schert, dass der Richter ihn zuvor als anstandslosen Heuchler enttarnt hat, der gar kein echter "Stodara", sondern gebürtiger Wasserburger ist.

"Wasserburg... pfff", da rümpfen die Kraglfinger die Nase und das Publikum gluckst amüsiert auf den weißen Plastikstühlen. Es sind Momente wie diese, die zeigen, dass Herwegh das Handwerk des bairischen Volkstheaters vorzüglich beherrscht und dass seine Truppe aus Profis und Laien mit ganzem Herzen bei der Sache ist. Derb ist die Sprache, doch unbestritten überzeugend schaffen die Schauspieler es, die Rollen der allesamt mehr oder weniger "hinterfotzigen", auf den eigenen Vorteil bedachten, miteinander verfeindeten Bäuerinnen, Schuster, Bürgermeister und Braumeister mit Leben zu erfüllen.

Einiges an Arbeit und Disziplin steckt ganz offensichtlich in der Produktion, die die Bühne gekonnt ausfüllt, für das große Finale - eine weitere Prügelei in Zeitlupe - sogar den Stoa selbst miteinbezieht. Allerdings ist vor allem die Ausdrucksweise, teils die mitunter in die Länge gezogenen Detailausführungen kleinerer Dorfkonflikte nichts für ein zartbesaitetes oder auf politische Korrektheit bedachtes Publikum: Auch wenn die ganz genaue Bedeutung von "Ziefern" selbst dem bairischen Muttersprachler nicht geläufig sein mag, dass das nicht nett gemeint ist, so viel steht fest, und nach 2,5 Stunden in Kraglfing ist auch klar: Da geht noch viel mehr, was wüste Beschimpfungen angeht.

Herrlich anzusehen ist wiederum, wie ernst das Ensemble seine Rollen nimmt und sie für keinen Augenblick des Abends verlässt. Wenn sich Steps Lossin in der Rolle des Gerichtsvorstehers in einer originalgetreuen Imitation des Butlers James aus "Dinner for One" wundert "was für an Nutzen a laarer Biakruag hod", und dann die Stufen des Amphitheaters hoch und wieder runter wankt, steigen dem ein oder anderen auf den Tribünen die Lachtränen in die Augen. Oder auch wenn Theresa König als Tischler-Tochter mit mächtig ausgestopfter Oberweite einer kleinen Wackelfigur gleich durch die Zeugenbänke nach vorne watschelt, um zu berichten, warum ihr Vater lediglich Schilder in die Höhe hebt, statt zu sprechen.

Dass die Kombination dieser urigen Charaktere den seriösen neuen Richter zum Verzweifeln bringen, ist nicht weiter verwunderlich. Nur ganz kurz - ungefähr so lange, wie es dauert, eine altertümliche Fotoapparatur zu betätigen und das Geschehen für die Ewigkeit festzuhalten, scheint es so, als ob den Kraglfingern bewusst wird, dass es bald in München durch die Presse gehen könnte, "dass z'Kraglfing bloß graffd werd". Aber ändern werden sie sich eher nicht - brauchen es vielleicht auch gar nicht.

© SZ vom 04.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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