Konzert:Von Nazi-Papas und Rosenkanonen

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Die "Shots", Raffael Scherer und Ludwig Stadler, präsentieren am Samstag in Poing ihr zweites Album "Zu viel Klavier"

Von Victor Sattler, Poing/Markt Schwaben

Es ist ein Uhr früh, Ludwig Stadler erreicht eine SMS vom kroatischen Strand. Der Inhalt sind die orthografisch fragwürdigen Textzeilen zu einem neuen Song. Mit einem Kopfschütteln beginnt er noch nachts am Klavier zu vertonen, was sein Freund und Bandkollege Raffael Scherer da aus Wut über zwei Polizeikontrollen zusammengedichtet hat. Fertig.

Manchmal ist es aber auch früher Abend, die beiden Jungs, zusammen sind sie die Shots, haben die Instrumente schon aufgebaut und warten auf den Beginn ihres Konzerts. Dann schreiben sie halt gleich ein neues Lied, wenn es sich schon anbietet. Manchmal ist es mitten in der Nacht, eine fiese Mücke treibt ihr Unwesen und Scherer wird plötzlich klar: "Über sowas wird nie ein Lied geschrieben!" Um dem ein Ende zu setzen - der Mücke und der Marktlücke - und weil Stadler und Scherer in jeder freien Minute produktiv sind, klebt die Mücke nun blutig erschlagen als Design unter der Disc des neuen Albums "Zu viel Klavier", dessen 14 Tracks die Shots am Samstag, 28. Oktober, im Poinger Café Station vorstellen.

Nun soll jedoch nicht der Eindruck entstehen, dass Stadler und Scherer, die als "Elles" und "Eddy" die Shots formen, aber auch schon als "Shorts" oder "Shrots" auftraten, reine Chaoten sind. Bei "Zu viel Klavier" sind sie im Gegenteil sehr strategisch und nehmen dem einzigen Argument ihrer Kritiker schon vorab den Wind aus den Segeln: "Die gleichen Texte, nichts Neues zu sehen. Die schlechten Sachen sind geblieben!", warnen die Shots schon im ersten Lied. "Ihr stört euch dran?" Ginge es nach demjenigen, der ihnen einmal vorhielt, sie spielten "zu viel Klavier", dann blieben nur zwei Stimmen und Scherers Gitarrenspiel übrig. Deshalb war ihnen dieses Feedback im Gedächtnis geblieben - und einen Albumtitel wert.

Scherer und Stadler stehen dazu, dass man die Akkorde ihrer Songs an einer Hand abzählen könnte. Die simple Musik ist den beiden schließlich nur ein Transportmittel für ihre heiter bis sozialkritischen deutschen Texte. Inspiriert vom Stil der Ärzte und gemischt vom Berliner Tontechniker des Rappers Alligatoah tragen sie ihren Lagerfeuer-launigen "Akustik-Punk", ein nur scheinbares Paradoxon, vom Hobby-Studio im Keller der Oma Scherer in die Welt hinaus. Zumindest bis nach Wien oder Augsburg.

Poing 'Shots', Raffael Scherer (Eddy) und Ludwig Stadler (Eles). (Foto: oh)

Bemerkenswert ist dabei, dass eine erst 2015 gegründete Band aus einem 20- und einem 23-Jährigen schon so eine treue "Home-Fanbase" in Poing hat. "Die wissen, worauf sie sich einlassen", lacht Scherer. Immer wenn "Elles" und "Eddy" etwas Neues mitbringen, würden wieder ihre Klassiker gewünscht: Zum Beispiel der Song "Papa", der einen kleinen Durchbruch bedeutete.

Es ist das Statement der Shots gegen Rechtsradikalismus, mit der Stimme eines Kindes, das seinem Neonazi-Vater unverblümt-unbequeme Fragen stellt. Das ist den Poingern offenbar im Gedächtnis geblieben. Was ist noch schön, an zu Hause? Dass jede ironische Derbheit als solche verstanden wird: Wenn die Shots in Poing das Lied "Nein" singen, das aus der Sicht eines schmerzgeilen Masochisten erzählt ist, dann feiern ihre Mütter und Omas das als ihren Lieblingssong und jubeln. In der Großstadt vor Fremden nuscheln sie diese Zeilen lieber ein wenig leiser - oder sparen das Lied ganz aus.

Denn den beiden geht es nie ums reine Provozieren, sondern um den Perspektivenwechsel; in den Kindskopf hinein oder eben hinter den Fetisch-Knebelball. Wenn sie einem heiklen Thema keine Aussage abgewinnen können, lassen sie es einfach sein. "An ein Lied über Vergewaltigung würde ich mich nicht rantrauen", sagt Stadler. Sie sehen zwar den anti-bürgerlichen, Schrägstrich, anti-extremistischen Auftrag des Punks mit seinen politisch gewichtigen Texten - "manche Künstler machen eine Liste mit brenzligen Themen, die sie abklappern müssen", glaubt Stadler -, aber die Shots haben erst gar nie mit einer Liste angefangen. Sie sind bei Null gestartet, überrascht, dass ihnen soviel Interesse entgegenkam, und sammeln seitdem alles, was ihnen am Herzen liegt.

Mit der Sprache geht es meistens los, eine Phrase oder Floskel bleibt einem im Ohr hängen und gibt den Refrain vor. Manchmal ist es ein Wortspiel wie bei "Geld spielt keine Rolex". Die Todesstrafe und die Türkei wären mal toll anzusprechen, nicken beide, aber bisher fehlen ihnen einfach noch die richtigen Worte. Sobald die ihnen in den Kopf kommen, gibt es keinen Zweifel, dass Scherer und Stadler ein Ventil finden werden, um sich auszudrücken.

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Neben der Musik haben der Markt Schwabener und der Poinger aber auch noch ganz andere Eisen im Feuer: Raffael Scherer spielt und schreibt Theater nebst Regiestudium, Ludwig Stadler schreibt für ein selbstgegründetes Kulturmagazin und studiert Lehramt. Der aufrichtige Spaß an der Kunst verhindert, dass sie sich je aus reinem Effizienzdenken auf eines ihrer Talente beschränken könnten.

Beim Konzert im Café Station, der offiziellen Premiere von "Zu viel Klavier", gilt es trotzdem, "einmal alles rauszuballern": Alle Lieder, alte wie neue, und alle Gags - vom Seifenblasenschwert bis zur kitschigen Rosenkanone, die den Jungs als "das Unromantischste, was es gibt," fast heilig ist. Verpflichtet fühlen sie sich zu so einem Großaufgebot, weil es nicht bloß das erste, sondern vermutlich auch vorerst letzte Mal sein wird, dass die Shots im heimischen Landkreis auftreten. Denn mit Abschluss seines Bachelors will Scherer nach Berlin gehen, "vielleicht für ein halbes Jahr, vielleicht für zehn", wie er sagt. "Vielleicht geht er auch pleite und ist im Februar zurück", lacht Stadler. Ansonsten ist aber eine Weile Pause mit den Shots, beide wollen sich nun auf eigene Projekte konzentrieren. Weitergehen soll es im Duo zur richtigen Zeit aber auf alle Fälle - "und das ist keine Floskel", fügt Stadler hinzu.

Das Release-Konzert von "Zu viel Klavier" findet am Samstag, 28. Oktober, um 20 Uhr im Poinger Café Station statt. Der Eintritt ist frei. Sowohl das neue Album als auch "Aufstand im Bällebad" lassen sich auf shotsacoustic.bandcamp.com und iTunes anhören und käuflich erwerben.

© SZ vom 25.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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