Musik:Stützende Quetsche

Lesezeit: 2 min

Petra Mittelberg leitet die "Toccaras" und die "Church Combo" beim gemeinsamen Adventskonzert. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Petra Mittelberg spielt trotz Glasknochen Akkordeon - und mit ihren neuen "Toccaras" nun zwei Adventskonzerte

Von Alexandra Leuthner, Grafing/Kirchseeon

"Toccare" ist italienisch, das klangvolle Wort bedeutet "berühren". Dass das neu gegründete fünfköpfige Ensemble um Petra Mittelberg sich Die Toccaras nennt, macht neugierig. Eine ungewöhnliche Combo hat sich da gebildet um die zarte Frau im Rollstuhl. Mit vier Akkordeons und einem Bass-Akkordeon machen sich die Musiker an die ganz Großen der Musikgeschichte heran, da darf es schon Bach sein, Kirchenmusik oder bekannte Popmelodien und, zum ersten Adventskonzert in der Auferstehungskirche in Grafing an diesem Samstagabend, auch Weihnachtliches. Mit dem typischen Rum-ta-ta habe ihre Musik jedenfalls nichts zu tun, erklärt Mittelberg. Es habe ja so einen schlechten Ruf, das Akkordeon.

Und doch gilt ihm ihre ganze Zuneigung, auch wenn sie in ihrer musikalischen Lebensgeschichte auch mit vielen anderen Instrumenten in intensiven Kontakt gekommen ist: Block- und Querflöte, Klavier, Trompete, Schlagzeug. Doch das Akkordeon hat es ihr wirklich angetan und trotz ihrer Krankheitsgeschichte ist es ausgerechnet dieses schwere Instrument mit seinen 120 Bässen, mit dem sie am besten zurecht kommt. Sie hat Glasknochen, "die Arme mit der Querflöte hochzuhalten oder zu den Klaviertasten zu kommen, ist viel schwerer für mich." Seit 1985 spielt sie Akkordeon, trägt bei Auftritten stets einen speziellen Rückengurt, der sie regelrecht daran festschnallt. "Ich spiele ja im Sitzen, da stützen wir uns gegenseitig, mein Akkordeon und ich." In doppeltem Sinne. "Musik ist mein Leben, da kann ich das mit meinen Fingern tun, was ich mit meinen Beinen nicht kann." Immer wieder werfen sie Knochenbrüche zurück, zwingen sie dazu, wochenlang das Bett zu hüten. Für ihre beiden Kinder ist das ganz normal, "die Englischvokabeln frage ich eben im Liegen ab." Für Mittelberg, die eine Zeitlang ehrenamtliche Behindertenbeauftragte des Landkreises war, muss jede Bewegung eine bewusste sein, mehr als hundert Brüche hatte sie als Kind, "sich mal schnell bücken, ist nicht drin", erzählt sie, und ein Stadtbummel ohne Rollstuhl auch nicht.

Eigentlich ist Mittelberg ausgebildete Sozialpädagogin. Geboren in Niedersachsen, arbeitete sie 15 Jahre lang in Nordrhein-Westfalen an einem Krankenhaus. 2014 kam sie nach Bayern. Musiziert hat sie fast ihr ganzes Leben lang - "so viel, dass es für ein ganzes Studium reicht", erklärt sie. In Flötenensembles und -orchestern hat sie gespielt und in Posaunenchören, hat als Sopranistin in Vokalensembles mitgewirkt, ist als Alleinunterhalterin mit ihrem Akkordeon aufgetreten, hat bei Wettbewerben mitgespielt, in Prag und Innsbruck, und hat selbst Ensembles geleitet. Ihren Mann hat sie in einem Akkordeon-Orchester kennen gelernt. Dann kamen ihre Kinder zur Welt, sechs und zwölf Jahre sind sie heute, und Mittelberg musste eine musikalische Auszeit nehmen.

Mit den Toccaras und der Church-Combo, die sie ebenfalls gegründet hat, will sie nun die Musik wieder in den Mittelpunkt ihres Lebens rücken. Mit der Church-Combo, einem Ensemble ebenfalls aus Akkordeon, Bass-Akkordeon und Saxofon, begleitet sie seit Beginn des Jahres Kindergottesdienste in Ebersberg. "Das Akkordeon mit seiner Vielstimmigkeit ist ja wie eine kleine Orgel", schwärmt Mittelberg. Weil es aber so wenig klassische Literatur für das eigenwillige Instrument gibt, arrangiert sie Stücke um, "so dass wir alles spielen können, was man auch von einem Sinfonieorchester erwartet". Wenn sie Glück habe, gebe es manchmal Orgelsätze, die sie verwenden könne. Bei ihrem ersten Adventskonzert spielen die Toccaras mit Unterstützung der Church Combo einen Querschnitt verschiedener Musikrichtungen, unter anderem ein Arrangement des Motto-Lieds zum Luther-Jubiläum von Addi Manseicher, Melodien aus "Hänsel und Gretel", russische Stücke und Weihnachtsmusik - Musik eben, die berühren soll.

Das Konzert in Grafing, am Samstag, 2. Dezember, beginnt um 19 Uhr. Ein zweites Konzert findet am Samstag, 9. Dezember, in der Johanneskirche Kirchseeon statt, Beginn 18 Uhr - Eintritt frei.

© SZ vom 02.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: