Musik:"Ich schreibe ja nicht nur Liebeslieder"

Lesezeit: 4 min

Ganz pur sich selbst und seine größten Hits präsentiert Heinz Rudolf Kunze in dem neuen Programm "Einstimmig". (Foto: Veranstalter)

Der Deutsch-Rocker Heinz Rudolf Kunze reist das erste Mal solo durch die Lande, eine Abschiedstour soll das aber nicht sein. In Ebersberg will er beweisen, dass er als Künstler immer noch die ganze Welt im Blick hat

Interview von Victor Sattler

Ganze 33 Jahre und 19 Studioalben später: "Dein ist mein ganzes Herz", mit dem Heinz Rudolf Kunze 1985 seinen Durchbruch feierte, ist längst nicht mehr sein ganzes Werk, der 61-Jährige hat sich seitdem als so vielseitig wie hartnäckig erwiesen. "Mister Deutschrock" war weit über das Rockgenre hinaus erfolgreich und arbeitet bis heute wie ein Getriebener. Umso spannender die Frage, was von all den Rollen übrig bleibt, wenn Kunze in seinem Programm "Einstimmig" nun zum ersten Mal als One-Man-Show daherkommt, ohne seine Bands, nur mit drei Gitarren, einem Klavier und "alten Hits in neuem Gewand" ausgestattet. Am kommenden Mittwoch, 9. Mai, tritt er im Alten Speicher Ebersberg auf, Tickets sind noch erhältlich.

SZ: Herr Kunze, Sie haben Preise für Ihre Musical-Übersetzungen erhalten, waren Dozent an mehreren Unis, dazu als Journalist und Autor tätig - nichtsdestotrotz werden die meisten Ebersberger Sie für die Schnulze "Dein ist mein ganzes Herz" kennen. Wenn Sie wählen dürften: Womit würden Sie gerne vorgestellt werden?

Heinz Rudolf Kunze: Ich finde es gar nicht erstrebenswert, wählen zu müssen. Das gehört alles zu mir. Die Lehrtätigkeit habe ich beendet, weil ich gemerkt habe, dass ich, um das richtig zu machen, viele meiner eigenen Projekte unterlassen müsste. Ich hab mich früher stark als Hobby-Journalist betätigt, in Rundfunk und Printmedien. Aber was geblieben ist - die Musicals, Bücher und Musik - füllt mich nach wie vor aus. Ich bin "jemand, der sich mit Sprache und Musik herumtreibt". Das ist, was man über mich sagen sollte.

Ihre sozialkritischen, linksalternativen Texte wie "Bestandsaufnahme" fänden wahrscheinlich heute wieder Gefallen bei der Jugend. Auch auf den Poetry Slams im Landkreis klingen solche Töne an. Für wen machen Sie heute Musik?

Ich habe mir nie einen konkreten Adressaten vorgestellt, sondern mir möglichst viele Menschen gewünscht, denen das gefallen soll. Deswegen ist es dann auch so gekommen, dass meine Hörer sehr unterschiedlich beschaffen sind; in Aussehen, Alter und Beruf. Das kann man immer schön sehen, wenn im Saal das Licht noch an ist und man schon mal durch den Vorhang späht.

Sie haben nicht bloß jeden Musikstil mal angerissen, sondern auch mit vier Generationen Ihrer Band "Verstärkung" sowie Ihrer neuen Band "Räuberzivil" gespielt. Ist solo und akustisch nun so authentisch Kunze, wie es nur geht?

Ja, näher kommt man wohl kaum ran. Die roten Fäden in meiner Arbeit ziehen sich trotzdem durch: Sie haben die "Bestandsaufnahme" erwähnt, die ich ab und zu noch spiele, wenn das Publikum gar nicht nach Hause will - ähnlich beschäftigen sich auch die neuen Songs "Deutschland" und "Europas Sohn" noch mit der Außenwelt. Ich sage jetzt nicht dieses ekelhafte Wort "gesellschaftskritisch", aber ich habe immer noch die ganze Welt im Blick, ob intime oder öffentliche Dinge. Ich schreibe ja nicht seit 20 Jahren nur Liebeslieder. Wenn ich jetzt alleine auf der Bühne bin, dann ist das schon ein Zustand nächster Nähe für das Publikum. So klingt das zu Hause im Arbeitszimmer, wenn ein Lied gerade fertig geworden ist.

Bei "Dein ist mein ganzes Herz" war Ihr Timing perfekt: 1985, mitten in die Neue Deutsche Welle hinein. Mit "Willkommen liebe Mörder", das Pegidaanhänger bis heute als islamfeindlich feiern, waren Sie den Ereignissen vom Sommer 2015 ein paar Monate voraus; später gaben Sie ein Statement, dass es nie um den Islam ging. Darf das kontroverse Lied in Ebersberg auf die Bühne?

Davon gehe ich aus. Ich habe einen extrem deutlichen Sprechtext für vorab dabei, der sich über die scheinheilige Strategie der Rechten lustig macht. Ich finde es eigentlich ekelerregend, dass ich überhaupt Stellung nehmen musste. Das muss man wohl, in unserer Zeit der Shitstorms. Es gibt keine einzige Zeile in diesem Lied, die man gegen Fremde auslegen kann. Es gibt da die eine Zeile, "Sie pflegen fremde Bräuche", aber dabei geht es um die Neonazis und die NSU-Morde. Es ist ein Lied gegen Beate Zschäpe und nicht für Alice Weidel. Das sage ich jedes Mal - und dann glucksen die Leute auch einvernehmlich, dass sie das verstanden haben.

Im Jahr Ihres 60. Geburtstags haben Sie zwei Alben und zwei Bücher rausgebracht. Was ist Ihr Geheimnis?

Die Frage des Alters ist relativ. Bei der Art, wie wir leben, kann man locker sagen: 60 ist das neue 30. Sehen Sie sich mal Schwarz-Weiß-Filme aus den 50ern an, da sehen 30-Jährige wie Ende 60 aus. Ich fühle mich subjektiv und vom Kopf her überhaupt nicht wie 61 Jahre alt, gesundheitlich geht es mir auch gut.

Ist "zum ersten Mal solo und mit allen seinen Hits" also kein Chiffre für eine "Abschiedstournee"?

Nennen wir es doch meine erste Abschiedstournee (lacht). Nach dem Vorbild bestimmter Kollegen, die seit zehn Jahren nichts anderes verkünden als ihren Abschied - und doch ununterbrochen spielen. (lacht schallend).

Klingt gut. Sie haben mal gesagt, es gäbe keinen Unterschied mehr zwischen Provinz und Großstadt, alle wüssten heute dasselbe. Wo treten Sie denn lieber auf?

Das kann man nicht sagen, das sind typische Journalisten-Entgegensetzungen. Es hat beides seinen Reiz. Als ich 1981 angefangen habe, in einer Zeit ohne Handys, merkte man noch einen gewissen Informationsunterschied zwischen Nest und Metropole. Heute hat man nirgends in Deutschland mehr das Gefühl, in der "Provinz" zu sein. Ich bin ein Freund kleiner Ortschaften und Dörfer. Ich mag Metropolen als Attraktion, aber ich mag nicht da leben. Eigentlich hab ich immer das Lob der Provinz gesungen - schließlich kamen die größten Rockmusiker auch nahezu alle aus der Provinz.

Haben Sie versucht, alles zu sein - Literat und Rocker, Stiftungs-Stipendiat und Unruhestifter - oder passiert einem das alles?

Das kann man nicht versuchen, das ist in einem drin und ergibt sich in einem langen Leben. Es sind verschiedene Dinge, die mir zugestoßen sind, mit oder ohne mein Zutun. Insgesamt ergibt das dann so ein Lebensmosaik.

© SZ vom 05.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: