Musik:Genie und Drama

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Das Projekt "Urban Jazz" begann 2006 in einer Münchner Studentenbude. Klassische Jazzmusik soll mit futuristischer Ton- und Videokunst vereint werden. (Foto: Christian Endt)

Andreas Domberts Urban Jazz gibt im Ebersberger Alten Kino ein großartiges Abschiedskonzert. Für derart ausgefallenen Arrangements gibt es leider keinen Markt

Von Thorsten Rienth, Ebersberg

Irgendwann sehen die Schweißperlen im Scheinwerferlicht aus wie ein filigranes silbernes Netz. Hauchdünn und zärtlich mit Airbrush-Technik übers Gesicht gesprüht. Was für ein Kontrast zur Optik des Rests! Zusammengepresste Zähne und zugekniffene Augen, als hätte ihm jemand eine Ladung Pfefferspray ins Gesicht gejagt. Weiß hervorstechende Fingerknöchel, als würde da jemand mit Gewalt Telefonbücher zerreißen. So sieht es also aus, wenn ein Musikbesessener wie Andreas Dombert auf die Bühne losgelassen wird, um ein Abschiedskonzert zu spielen, sein Abschiedskonzert mit der Urban Jazz-Formation - ein riesengroßes Drama.

Selbiges nahm seinen Anfang in einer Münchner Studentenbude im Jahr 2006. Dombert, der zu dieser Zeit an der Musikhochschule Nürnberg-Augsburg Jazzgitarre studierte, unter anderem bei Gurus wie Helmut Kagerer und Paulo Morello, besuchte dort seinen alten Schulfreund Peter Sandner. Der hantierte mit Synthesizer und Musiksoftware herum und goss daraus abgefahrene Beats, auf denen Leute, die das mögen, Nächte durchtanzen. Die beiden scharten Heiko Jung (Bass), Alex Kühn (Tenorsax) und Mathias Meusel (Schlagzeug) um sich, allesamt Crème de la Crème des Genres. Was wäre eigentlich, würde die Truppe Domberts klassischen Jazz mit Sandners futuristischer Tonkunst kombinieren und sich Videokünstler Ralf Oberleitner derweil dahinter auf einer Leinwand austoben?

Furios wäre dafür eine Untertreibung, denn das universelle Konzept der Combo ist ein strukturiertes Geballere aus alldem. Lieder, die beschwingt, melancholisch und verträumt beginnen - in die dann aber sechs Künstler einen musikalischen Brandbeschleuniger hineinkippen. Wer sagt eigentlich, dass sich Gitarren-, Tenorsax-, Bass- und Drumsoli immer nur nacheinander und nicht auch gleichzeitig abfahren lassen?

Und was für eine Vielfalt! Da lehnt Dombert seine Stücke erst an die Smashing Pumpkins an, einer wilden Synthese aus Alternative-Rock und American Gothic, und rennt gleich danach mit dem Hochromantiker Johannes Brahms um die Ecke. Oder er nennt ein Stück "Kaa", weil es genauso hypnotisierend und funkelnd daherkommt wie die Augen der Schlange aus dem Dschungelbuch.

Themen, die Oberleitner in seinen Visuals aufgriff: Bäume, Blätter und Laub, psychedelisch ineinander verschränkt, und Raubvögel, die majestätisch darüber hinwegschweben. Klar, dass bei "New York bei Nacht" die Windschutzscheibenkamera im Zeitraffer die 5th Avenue in Manhattan hinunter fährt. Der Bildschirm spiegelt in der Mitte das Flatiron Building, jenes bügeleisenförmige Gebäude an der Broadway-Kreuzung wird zur Monsterfratze.

Trotzdem werfen die Musiker eine geradezu liebevolle Sinnlichkeit in den Ring, die einfach nur beneidenswert ist. Leute ohne Druck des miesen Alltags, ohne ungeliebten Produzenten und nervigen Berater, die hier einfach nur sie selbst sein können.

Es ist dies die Stelle, von der das Dombert-Drama ausgeht. Das Konzept ist nicht mal eben schnell nebenher hinproduziert, zudem die Musiker aufs ganze Land verteilt sind und jeder in allerlei Weiteres involviert ist. Kurz: Die Sache ist ein Draufzahlprojekt für eine zu schmale Fangemeinde, das auch Berufsmusiker nicht auf ewig schultern können. Oder wie der Grafinger Jazz-Musiker Frank Haschler vor ein paar Tagen wehmütig seufzte: mit seinen Arrangements sei Domberts Urban Jazz seiner Zeit voraus - leider.

Immerhin gibt es so etwas wie einen kleinen Hoffnungsschimmer. Allerlei bislang noch unbekannte Songs seien bereits geschrieben, murmelte Dombert dann zu später Stunde fast beiläufig ins Mikrofon.

Man könnte sich ja beizeiten irgendwo im Studio treffen und sie noch schnell einspielen. Ein letztes Mal noch wenigstens.

© SZ vom 05.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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