Markt Schwaben:Komplizierte Höhenflüge

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Bei der Markt Schwabener Sonntagsbegegnung zum Thema Evolution hatten es die Diskutanten mit einem spannendem und vielschichtigem Gebiet zu tun - vielleicht etwas zu vielschichtig

Von Johanna Feckl, Markt Schwaben

Seit 2004 organisiert Altbürgermeister Bernhard Winter seine "Sonntagsbegegnungen". Dazu bittet er jeweils zwei Gäste zu einem Zwiegespräch über ein Thema, um dort ihre oft gegensätzlichen Positionen zu vertreten. Die Veranstaltung am Sonntag stand unter dem Thema "Evolution. Gedanken zur Entwicklung von Welt und Mensch". Geladen hatte Winter hierzu zwei erfahrene Wissenschaftler auf diesem Gebiet: Auf der einen Seite stand der emeritierte Münchener Professor für Entwicklungspsychologie Rolf Oerter. Und auf der anderen Seite wartete der ebenso emeritierte Philosophieprofessor Wolfgang Welsch aus Berlin mit dem Schwerpunkt der Evolutionsphilosophie auf. Mit etwa 150 Zuhörern stieß die 77. Veranstaltung aus dieser Reihe im Bürgersaal auf großes Interesse.

Nach einer kurzen Vorstellung von Winter lag es an Welsch, das Zwiegespräch zu eröffnen. "Sitzen Sie fest? Dann möchte ich nun ein bisschen Unruhe stiften!", prophezeite er dem Publikum. Auf die versprochene Provokation wartete man dann allerdings vergeblich, blieb Welsch mit seinen Thesen zunächst sehr konservativ und unaufgeregt: Die Situation des Menschen sei einigermaßen turbulent, "wir fliegen", wie Welsch es nannte. Das ist nun nicht metaphorisch gemeint, wie man vielleicht zunächst vermuten könnte. Denn der Mensch vergisst die äußeren Bedingungen seines Lebens - so etwas wie die Erdrotation oder die Laufbahn der Erde um die Sonne. Beides seien Abläufe, durch die der Mensch keinen Fixpunkt im Universum innehabe, sondern sich bewege oder, wie Welsch sagt, "fliegt". Auch das Gesetz der Gravitation sei einem im Alltag nicht bewusst. Und das, obwohl all diese Zustände den Menschen konditionierten. Die Evolution habe den Menschen an die äußeren Lebensumstände angepasst.

Welschs zurückhaltender Einstieg in den Dialog mag vielleicht der Grund für Oerter gewesen sein, dass er zunächst auf das Gesagte nicht Bezug nahm. Stattdessen machte Oerter die kognitiven Fähigkeiten und die Lebensrealität des Menschen zum Thema. Einerseits sei das geistige Vermögen durch ein "Surplus" geprägt - "wir bekommen mehr mit, als wir brauchen". Andererseits würden dem Menschen nicht etwa die vielen Naturgesetze als Realität erscheinen, sondern das Mesosystem. Damit bezeichnet man alle Beziehungen eines Menschen und deren gegenseitige Beeinflussung, also beispielsweise die Wechselwirkung zwischen Partnerschaft und Beruf einer Person. "Ohne ein solches System könnten wir nicht leben", behauptete Oerter. Naturgesetze, die dem Menschen zu jeder Zeit bewusst sind, würden ihn überfordern. Den Fachbegriff des Mesosystems erklärten leider weder Oerter noch Welsch. Stattdessen stieg Welsch noch tiefer in die Bedeutung von Beziehungen ein. "Ein Jedes ist ein Jedes aufgrund seiner Relation. Nichts ist an sich." Das schien wohl die zu Beginn versprochene Provokation zu sein: Über die These, dass an sich nichts ist, herrscht in der Philosophie durchaus kein Konsens. Allerdings verschwieg Welsch dem vermutlich zum größten Teil wissenschaftlich unsicheren Publikum selbst einen bloßen Hinweis auf die Umstrittenheit seiner Behauptung. Das ist durchaus problematisch. Denn so blieben den Zuhörern Informationen verwehrt, die ausschlaggebend für eine solide Meinungsbildung gewesen wären.

Es ist durchaus schwierig, ein vielschichtiges Gebiet wie das der Evolution in einem einstündigen Gespräch für Beteiligte mit unterschiedlichem Vorwissen zufriedenstellend zu führen. Ein gezielter Schnitt durch den Themenbereich mit einer konkreten Fragestellung hätte bei diesem Problem zumindest teilweise Abhilfe schaffen können. Dadurch hätten die zwei Experten wohl eine bessere Möglichkeit gehabt, verwendete Fachbegriffe sowie ihre Ansichten genauer auszuführen und zu debattieren. Einige Thesen hätten dies notwendig gemacht. Oerter behauptete beispielsweise, dass ein "Eingriff" in die Evolution berechtigt sei, wenn man Krankheiten medizinisch behandele. Eine Behandlung oder Vorbeugung durch Gentechnologie allerdings nicht. Alleine eine Ausführung dieser interessanten ethischen These wäre ausreichend gewesen, um die Veranstaltung mit anregendem Inhalt zu füllen. So aber streifte das Zwiegespräch oftmals nur die Oberfläche der eigentlich brennenden Fragen.

© SZ vom 19.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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