Lesung:Im Zeichen übermächtiger Autoritäten

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Wie stark das Weltbild des jungen Reformators von seinem strengen Vater geprägt war, schildert Bestsellerautor Alois Prinz bei einer Lesung in der Zornedinger Christophoruskirche. (Foto: Christian Endt)

Autor Alois Prinz stellt beim Literarischen Herbst in Zorneding Luthers menschliche Seite vor

Von Rita Baedeker, Zorneding

Im Gemeindesaal der Zornedinger Christophoruskirche sind die Tische gedeckt für ein ungewöhnliches Abendmahl: Es gibt "Luther-Salami" und "Luther-Bier", Brot und Käse, daran erinnernd, dass der Reformator, zumindest in späteren Jahren, sinnlichen Genüssen nicht abgeneigt war. "Luther mit Leib und Seele" lautet der Titel der Lesung, mit der der Verein "Pro Christophoruskirche" am Samstag seinen Literarischen Herbst eröffnet hat.

An den Wirkungsstätten Luthers gibt es in diesem Jahr allerlei absurde Souvenirs zu kaufen, darunter Luthersocken und Lutherkondome, beide mit der Aufschrift "hier stehe ich, ich kann nicht anders". Die Salami, in die Form einer Bibel samt Kreuz gepresst, wird in Zorneding scheibchenweise aufgetischt. Ist die Idee auch geschmacklos, die Wurst schmeckt.

Den Gedanken der Vermarktung und Vervielfältigung des Rebells hat auch Ottmar Hörl, Konzeptkünstler und Präsident der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg, aufgegriffen und nach dem Vorbild des Lutherdenkmals in Wittenberg hunderte knapp einen Meter große Kunststoff-Figuren des Reformators in den Farben kobaltblau, moosgrün, purpurrot, schwarz und bronzebraun gegossen. 19 dieser Luthergestalten werden bis Ende Oktober neben der Zornedinger Kirche stehen, einzeln, in Zweier- und Dreiergruppen, jede mit Bibel und Barett. Als mobiles Denkmal gelangte Luther unter anderem bis ins Weiße Haus nach Washington. Dabei erinnern die Figuren daran, dass auch Luther von der Möglichkeit der Vervielfältigung profitierte: Ohne Buchdruck hätte es vielleicht keine Reformation gegeben.

Noch stecken die Figuren in unförmigen Jutesäcken, wie Rosenstöcke, die man vor Frost schützen will. Peter Wurm vom Verein "Pro Christophorus" und Pfarrer Manfred Groß entzünden Fackeln und zitieren zu jeder Figur einen Spruch, etwa das von Gelächter der Besucher begleitete Bonmot "Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang".

Dass über den Menschen Luther noch längst nicht alles gesagt ist, wird bei der anschließenden Lesung klar. Alois Prinz, Autor zahlreicher Biografien, rückt in seinem Buch "Wie aus Martin Luther wurde" die Kindheit und Jugend und hier vor allem das Verhältnis zwischen Vater Hans und Sohn Martin in den Mittelpunkt. Begleitet wird Prinz von dem Gitarristen Johannes Öllinger, der Musik von Bach, Lautenmusik, vertonte Gedichte Luthers sowie den Oldie "Father and Son" vorträgt.

Vom strengen Vater getrieben, entwickelt der 1483 geborene Martin sich zum Musterschüler und -studenten. "Bald siezte der Vater seinen Sohn, so stolz war er auf ihn", berichtet Prinz. Des Vaters Autorität prägt lange Zeit Luthers Weltbild, sogar Gott stellt er sich als "gestrengen, zornigen Richter" vor. Dem vom Vater vorgezeichneten Lebensweg eines Juristen will er aber nicht folgen, sondern Theologie studieren. Während eines heftigen Gewitters legt er das Gelübde ab, ins Kloster zu gehen. Dort wird er bald zum, wie Prinz es nennt, "Hochleistungsmönch", der so häufig und so lange beichtet, dass es sogar den Beichtvätern zu viel wurde. "Mit dem Gelübde entzog er sich der Konfrontation mit dem Vater", vermutet Prinz. Gott war schließlich eine noch mächtigere Autorität.

Auf Unterwerfung und Anpassung folgt der Befreiungsschlag: Beim Studium eines Römerbriefs des Apostels Paulus im Turmzimmer zu Wittenberg - auf der Latrine, wie Prinz sagt - nimmt Luthers Leben erneut eine Wendung. Gott erscheint ihm nicht länger als zürnender Vater, sondern gnädig und gerecht. Der florierende Ablasshandel schließlich mit vorauseilender Vergebung gegen klingende Münze bringt das Fass zum Überlaufen. Am 31. Oktober 1517 werden Luthers 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg geschlagen...

Es ist die persönliche, oft intime Seite des Menschen Luther, die Prinz anhand zahlreicher Beispiele und Anekdoten herausarbeitet. Zu dieser Seite passen auch die Nonsense-Gedichte des Reformators, die Öllinger auf der Gitarre vorträgt. "Bist du voll, so leg dich nieder, nach dem Schlafen saufe wieder!" Luthers heftige Hasstiraden und Pamphlete gegen die Juden sind dem Autor zufolge nicht antisemitischen, sondern theologischen Ursprungs. Hier offenbarte sich wohl die dunkle Seite des im Zeichen übermächtiger Autoritäten erzogenen Reformators.

© SZ vom 02.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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