Kultur nach Stundenplan:Ein Schatz fürs ganze Leben

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Von Artistik bis Videokunst: Jedes der vier Gymnasien im Landkreis hat einen musischen Schwerpunkt. Gemeinsam ist den Schulen die Vielfalt der Themen und Unterrichtsformen

Von Rita Baedeker

"Ihn treibt die Gärung in die Ferne / Er ist sich seiner Tollheit halb bewußt / Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne / Und von der Erde jede höchste Lust. . . " Seit Generationen ist der Faust elementarer Bestandteil des Unterrichts. Generationen von Jugendlichen haben Goethes Verse in gärenden Schlummer sinken lassen. So aber, wie der deutsche Klassiker im vergangenen Schuljahr am Gymnasium Grafing - man muss schon sagen - vom Sockel geholt wurde, war an Schlaf nicht zu denken. Da wurden in der Schulbibliothek Szenen nachgespielt, Schülerinnen der Theater-AG verkörperten Mephisto und Faust, andere kreierten einen Faust-Rap, ein Memoryspiel und ein Kreuzworträtsel rund um die Figur.

Und der Geist, der im Drama und manchmal auch im Klassenzimmer gern verneint, wurde mit Hilfe von Familienpizza und "Erquickungstrank" zum Ja-Sager. Das Fazit, das die Schüler Hannah und Anin von der Q11 im Jahrbuch zogen? "Dass dieser Abend wirklich sinnvoll war, da wir mit Spaß in relativ geringer Zeit das Drama sehr gut verstanden hatten. . . " Was will man mehr?

Drei Theatergruppen, Rezitationsabende und Literaturtage, Schreibwettbewerbe bis zur 10. Klasse, Vorlesewettbewerb: All dies vermittelt den Grafingern eine breite Basis musischer und humanistischer Bildung, die nicht eingetrichtert, sondern entdeckt, erarbeitet und gelebt wird, innerhalb der Schule und außerhalb. Ein Schatz fürs Leben. So enthalten zum Beispiel Veranstaltungen wie die Nox latina, die Notte italiana oder die Soirée française ein bisschen von allem: Sprache, Literatur, Theater, Küche, Musik, Brot und Spiele auf hohem Niveau und ohne Blutverlust.

Eine Stärke des Gymnasiums sind auch die musikalischen Ensembles - Orchester, Chöre, Percussion, Big Band. Es wird Violine- und Cellounterricht angeboten, es gibt Kammermusikabende, einen musikalischen Schüleraustausch mit Japan, Tschechien und Frankreich, ein Schulradio wird betrieben; Musicals entstehen gemeinsam mit der beinahe professionellen Artistengruppe "Movimento", die auf eine stattliche Zahl an Engagements auch außerhalb Grafings stolz sein kann.

Im Kunstunterricht des Gymnasiums werden nicht nur die Gesetze der Abstraktion erarbeitet, auch eine fantasievolle Ausstellung in den Räumen des Kunstvereins Ebersberg zum Thema "Kuckucksei" haben die Grafinger 2012 wesentlich mit gestaltet. Sichtbares Ergebnis eines anderen Projekts sind mit kunstvollem Graffiti geschmückte Trafohäuschen in der Stadt. Paul Schötz, seit einem Jahr Schulleiter in Grafing, bedauert nur eines: "Durch das G 8 leiden all die schönen Fächer."

Mit 1620 Schülern ist das HumboldtGymnasium Vaterstetten eine der größten Schulen in Bayern. Trotz neusprachlicher und naturwissenschaftlicher Ausrichtung der Schule sagt Markus Grimm, Kunstlehrer und Leiter der Film-AG: "Kunstseminare sind bei uns hoch angesehen und gelten keineswegs als Orchideenfach." Grimm orientiert sich in seinem Unterricht an der Geschichte. So können etwa Schüler der 5. Jahrgangsstufe eine Pseudo-Steinwand mit Höhlenmalerei gestalten, parallel zur Ära der Steinzeit. "Die Schüler sind unendlich neugierig", sagt Grimm. "Anhand praktischer Arbeiten zeige ich die Entwicklung der Kunst und ihrer Formen, auch ideengeschichtlich und technisch." Das geht bis zum Umgang mit "Selfies" und der Bilderflut in der Werbung.

Wer in Sport, Musik oder Kunst ein schriftliches Abitur ablegen will, dem wird ein "Additum" angeboten, der heute übliche Name für den früheren Leistungskurs. Als solcher wird beispielsweise Unterricht an der Musikschule gewertet. Obendrein stehen "Profilfächer" zur Wahl, der aktuelle Begriff für Wahlkurs. "Da kann ein Schüler theoretisch bis auf zehn Wochenstunden kommen", sagt Grimm.

Musikalische Tafelmalerei: Mit Talent und Herz haben Schüler am Gymnasium Kirchseeon die Einladung zu ihrem letzten Kammerkonzert gestaltet. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Eine Besonderheit am Vaterstettener Gymnasium ist die AG Film und Foto mit Seminaren zum Thema Dramaturgie, die in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Film und Fernsehen und dem Gymnasium Haar organisiert werden. "Das Tolle ist, dass wir noch unser altes Fotolabor haben. Damit zu arbeiten ist für heutige Schüler total exotisch, aber es ist ein Gewinn, dass sie das mitbekommen." Die Schule verfügt über eine Medienwerkstatt und betreibt einen Arbeitskreis Schafkopf. "Bei uns verwalten sich die AGs alle selbst", sagt Grimm. Chöre, Orchester und Schulband, Konzert-Workshops, Führungen durchs Tonstudio des Bayerischen Rundfunks und Konzertbesuche ergänzen das musische Spektrum.

Wer sich die Liste der musikalischen Wahlkurse am Gymnasium Kirchseeon ansieht, gewinnt den Eindruck, er habe das Curriculum einer Musikschule vor sich: Streicherklasse, Bläserklasse, Großes Schulorchester mit Big Band und Kammerorchester, Orchester für die Kleinen, Unter-, Mittel- und Oberstufenchor samt Vokalensemble und Lehrer-Eltern-Chor. "Ein Markenzeichen des Gymnasiums von Beginn an war der hohe Anteil an in musikalische Projekte und Ensembles eingebundenen Schülern", sagt Rafael Gütter, der Fachbeauftragte für Musik. Sozusagen das Sahnestück dabei sind die gemeinsamen Konzerte mit dem Symphonieorchester des Kulturvereins Zorneding-Baldham unter Leitung von Andreas Pascal Heinzmann, eine Patenschaft, welche die ganze Schule zusammenschweißt.

Gemeinschaftsstiftend und extrem motivierend sind auch die Musikfahrten für alle Ensembles einmal im Jahr. Das Ziel: ein Schloss am Starnberger See. Auch in der noch relativ neuen Oberstufe werde Musik stark nachgefragt, so dass neben dem Musik-Additum auch die Profilfächer Instrumental-Ensemble und Vokalensemble mit insgesamt mehr als vierzig Schülern sowie ein musikalisches P-Seminar angeboten werden könnten, sagt Gütter.

Das Unterrichtskonzept sei so angelegt, dass musikalisches Grundwissen systematisch aufgebaut werde. So wird zum Beispiel beginnend mit der 5. Jahrgangsstufe ein Musiklexikon entwickelt. Der einmal jährlich stattfindende, als Unterricht geltende "Kulturtag" der Fachbereiche Kunst und Musik führt hinaus in die Welt von Museum, Oper und Konzertsaal. Aufgrund der starken Profilierung im musischen Bereich bemüht sich die Schule nun auch aktuell um die Einrichtung eines musischen Zweiges.

Wobei der Begriff "musisch" viel mehr umfasst als nur Musik. So taten sich die Kirchseeoner Schüler vor einiger Zeit unter Leitung der Kunstlehrerinnen Ingrid Köhler und Stefanie Haschler als Erfinder und Schöpfer eines Kartenspiels mit Perchtenmotiven im Linoldruck hervor. Dafür haben sie nicht nur den ersten Preis eines heimatkundlichen Wettbewerbs gewonnen, sondern auch etwas Einmaliges und Bleibendes geschaffen. Plakate und Einladungskarten gestalten die Schüler selbst, einen Wahlkurs Bühne und Requisiten können sie beispielsweise besuchen und eine Schulbriefmarke entwerfen. In einer Art Grundsatzerklärung auf der Homepage heißt es: "Kunst braucht Zeit und Raum. Mit Raum sind wir mit zwei ebenerdigen Zeichensälen und zwei Werkräumen gut ausgestattet. Leider wurde die Zeit zur Vertiefung der künstlerischen Inhalte im Laufe der Jahre immer mehr gekürzt."

Zur Vertiefung der Musik bietet das Franz-Marc-Gymnasium Markt Schwaben erstmals für das Schuljahr 2015/16 eine Chorklasse an. Im Unterschied zum normalen Musikunterricht gehört zu diesem Chorklassen-Unterricht eine Intensivierungsstunde, die als dritte Musikstunde gilt. "Schüler und Schülerinnen der Chorklasse erwerben nachhaltige musikalische Kompetenzen und schulen den richtigen Umgang mit der eigenen Stimme", erklärt Daniela Robitzsch von der Schulleitung das Konzept.

Auch sonst legt man in dieser Schule großen Wert auf die musisch-ästhetische-künstlerische Bildung, wie der stellvertretende Schulleiter Peter Popp betont. "Hierfür werden von der Schule zahlreiche Stunden aus dem Wahl- und Förderunterrichtsangebot - über den Pflichtunterricht hinaus - eingesetzt." Als Wahlkurse in laufenden Schuljahr werden genannt: Kreatives Schreiben und Drehbuchschreiben - ein besonderes Merkmal dieser Schule -, drei Theatergruppen, Video- und Filmgruppe.

Zusätzlich gibt es Unterstufenorchester, Orchester, Chor, Instrumentalgruppe und Schulband, auch ein Keramikkurs wird angeboten. Severin Zebhauser vom Fachbereich Kunst und Theater betont, dass vor allem die von Peter Rohmfeld betreute Filmgruppe auf großes Interesse stoße. Die Gruppe, vertreten mit zwei Beiträgen, wurde 2014 anlässlich der Bayerischen Filmtage als Landessieger ausgezeichnet. Auch weist er auf die Kleinkunstabende der Schule hin, die für alle offen sind. Theater und Film gelten in der Oberstufe als Profilfächer.

Elke Scherdel, Lehrerin für Deutsch und Geschichte und jahrelange Leiterin der Theatergruppe für die Unter- und Mittelstufe, weist darauf hin, dass die Schüler der Oberstufe im ersten Halbjahr die Stücke selbst schreiben. "Engagement muss man da schon mitbringen", sagt Zebhauser. "Durch den Nachmittagsunterricht verlagert sich vieles auf den Freitag." Scherdel wiederum stellt fest, dass die "Einbußen bei den Wahlkursen nicht so groß sind wie befürchtet". Die Nachfrage nach der Theaterarbeit sei groß, nur das Chorische sei in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Wegen G 8 sei die Mittagspause oft der einzige Freiraum.

Dennoch entsteht viel Schönes. Das Ensemble der Franz-Marc-Sinfonietta wirkte an einer CD-Einspielung mit dem Chor der Pfarrkirche St. Margaret mit. Weitere Facetten des musischen Kaleidoskops sind Konzertabende, Exkursionen, Lesungen und thematische Literaturausstellungen. Vielleicht auch einmal zu Goethes unermüdlich strebenden Faust.

© SZ vom 20.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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