Sehenswert:Zum Verzweifeln

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Wohin soll die Reise gehen? Ben, in Wasserburg dargestellt von Patrick Brenner, zieht mit zwei anderen jungen Männern in den "Heiligen Krieg". (Foto: OH)

Warum junge Männer aus Europa den Weg in den "Djihad" suchen, beleuchtet eine eindringliche Inszenierung des Theaters Wasserburg. Für Schulen gibt es die Möglichkeit, vormittags Vorstellungen zu buchen

Von Ulrich Pfaffenberger, Wasserburg

Warum lassen sich junge Menschen aus religiösen Motiven dazu bringen, zu töten und getötet zu werden? Im vierten Jahr nun schon gehört "Djihad" des Belgiers Ismael Saidi zu jenen Bühnenstücken im europäischen Raum, die als gelungene Erklärhilfe für dieses neue gesellschaftlich-soziale Phänomen gelten. Der Blick auf Ben, Reda und Ismael, wie sie aus ihrem Heimatort irgendwo in Europa nach Syrien aufbrechen, um dort gegen "das Böse" zu kämpfen, hat indes weder Belehrendes noch Richtendes, er benennt kein statisches Problem und keine sichere Lösung. Er lässt uns mitgehen auf einem Stück Lebensweg, den sich die meisten von uns weder für sich selbst noch für nahestehende Menschen vorstellen können. Ein Irrtum, wie die lebensnahe und inspirierte Inszenierung von Frank Piotraschke am Theater Wasserburg zeigt.

75 Minuten Spielzeit, in raschem Tempo aneinandergereihte, verdichtete Szenen: Man könnte Ismael Saldi vorwerfen, er habe sein Stück aus Momentaufnahmen und kleinen Bruchstücken von Biografien zusammengesetzt. Das lasse keine belastbaren Rückschlüsse zu, eine "gerechte" Bewertung individueller Handlungen schon gar nicht. Wir brauchen uns nur an die eigene Nase zu fassen, um zu erkennen, dass ein solcher Vorwurf ins Leere ginge: Wie viele Menschen kennen wir denn selbst, aus deren Leben und Fühlen uns jedes Detail und alle Zusammenhänge vertraut wären? Können wir uns sicher sein, dass wir das von uns selbst behaupten könnten? Gehört es nicht zur Lebenswirklichkeit, dass wir Urteile und Vorurteile auf der Grundlage von Teilwissen entwickeln und fällen?

Patrick Brenner, Julian Brodacz, Mike Sobotka: Unmittelbar und scheinbar unbekümmert öffnen uns die drei Schauspieler den Weg auf die Bühne und hinein in das Leben der Protagonisten. Drei junge Männer, die einander "Bruder" nennen und bereit sind, gemeinsam in den Kampf zu gehen - im Laufe von Gesprächen an ihren Nächsten jedoch bisher Unbekanntes, Fremdes entdecken. Da hat der eine schon studiert, der andere sich so für Elvis begeistert, dass er sogar die Frisur dem Idol nachahmte, und der Dritte zieht auf der Reise auf einmal den Skizzenblock aus der Tasche und beginnt zu zeichnen. Obwohl der Koran das ja verbietet. Angeblich.

Sie reißen das Thema nur kurz an: Aber offenbar hat sich keiner der drei Männer mit dem Wort und dem Sinn des Buches wirklich ausführlich beschäftigt. Wobei wegen der vielen Interpretationsmöglichkeiten von Schriftzeichen und Wortformeln, die Einstiegsszene will es vermitteln, selbst dann viel Deutungsspielraum bliebe. Also machen sie es sich leicht und unterwerfen sich der Autorität: "Aber wenn der Imam es so sagt..." Dass sie sich damit in eine neue Gefangenschaft begeben: geschenkt. Allein sein, verzweifelt sein, sich ungeliebt fühlen, das ist alles schlimmer als eine neue Abhängigkeit. Dabei müssten sie es schon wissen, was ihnen droht. Sie haben es doch schon hinter sich. Dass sie nicht brotloser Künstler werden sollten, sondern Arzt wie der Vater. Oder die muslimische Freundin nicht heiraten durften, selbst nachdem sie aus Liebe zum Islam konvertiert waren. Mit Gewalt hat man ihnen die Eigenständigkeit ausgetrieben und die Ideale erstickt. Jetzt suchen sie nach dem Verlorenen - und glauben es in einem ideologischen Scherenschnitt zu finden.

Schnell ist vergessen, dass da Schauspieler auf der Bühne stehen. Drei Menschen erleben wir, die einander brauchen. Nicht nur als Begleiter auf einer Reise aus der Nicht-mehr-Heimat in die Hoffentlich-Heimat. Sondern auch dafür, um sich gegenseitig und sich selbst die Fragen zu stellen, auf die sie bisher nicht gekommen sind oder um die sie sich gedrückt haben. Sie sind sich gegenseitig Wegbegleiter zur Erkenntnis, wobei ihnen diese, wie im wirklichen Leben auch, bruchstückartig begegnet und sich in ihrem Wert nicht unmittelbar erschließt. Überraschendes kommt da zutage, Irritierendes, Abstoßendes; die bitteren Zutaten im ganz normalen Alltag, mitunter verpackt in Ironie und groteske Komik. So wenig gespielt, so stark gelebt ist das, dass man als Zuschauer gedanklich selbst zum Bruder wird - aber nicht in der ideologischen Ausgestaltung des Wortes, sondern so, dass man sich den Suchenden zuwenden will, ihnen zur Seite stehen und aus dem Schlamassel heraushelfen. Als zwei von ihnen aus dem Hinterhalt den überraschenden Tod finden, möchte man dazwischenrufen: "Halt! Zu früh! Er ist noch nicht so weit." Zum Verzweifeln.

Man fühlt sich erinnert an Erich Maria Remarques "Im Westen nichts Neues", wo, verdichtet auf wenige Viertelstunden, junge Leben ausradiert werden, bevor sie haben erkennen dürfen, was das Leben ausmacht. Es ist eine dramaturgische Meisterleistung von Autor, Regie und Schauspielern, die Zeitlosigkeit dieses Themas einer heutigen Generation so nahe zu bringen, dass sie erkennt, dass es für nichts "süß und ehrenvoll" ist zu sterben, sondern schmerzhaft und vernichtend. Nachdenklicher Applaus fürs Stück, respektvoller Beifall für das Ensemble.

"Djihad" im Theater Wasserburg, weitere Aufführungen am 23. Februar (20 Uhr) und 25. Februar (19 Uhr). Für Schulen gibt es Vormittagsvorstellungen unter der Woche. Anfragen unter piotraschke@theaterwasserburg.de

© SZ vom 09.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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