Kritik:Musik hat einen Duft

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Coup erster Güte: Mit dem Engagement von Janina Fialkowska beschert der Kulturverein Zorneding-Baldham seinem Publikum erneut ein ausgesuchtes Musikerlebnis. (Foto: Christian Endt)

Die kanadische Ausnahme-Pianistin Janina Fialkowska weckt beim Konzert im Martinstadl mit sicherer Hand und feinem Geist die Sinne ihres Publikums

Von Ulrich Pfaffenberger, Zorneding

"Les sons et les parfums - Klänge und Düfte" war das Konzert der Pianistin Janina Fialkowska am Sonntagabend im Zornedinger Martinstadl überschrieben. Poetisch ein traumhafter Gedanke, physiologisch eine Unmöglichkeit, weckt ein solcher Titel eine Neugier, die weit über das Kennenlernen einer höchst angesehenen Solistin hinausgeht: Wie sie dieses Versprechen wohl erfüllen will? Es mag im sehr gut besuchten Saal ein jeder seinen eigenen Moment der Erkenntnis gehabt haben, doch spätestens bei den letzten Takten von Chopins Fantasie f-Moll war die Frage nach dem "Wie" beantwortet - als in das ausklingende Schweigen des Spiels hinein wie Tautropfen aus einem Blütenkelch einige helle, klare Töne fallen, in ihrer unschuldigen Reinheit paradoxerweise noch stiller als die Stille zuvor, die alle Sinne ergreifen. Es ist der Moment der Erkenntnis: Musik hat einen Duft.

Weil feinsinnige Akzente das Spiel Fialkowskas prägen, ist der duftende Klang das Charakteristische ihres Vortrags. Wie eine Gärtnerin ihre Rosen, pflegt sie mit kunstvoller Liebe das ihr anvertraute Gut. Debussy, Fauré, Ravel: Welchen Meisters Werk sie sich in diesem Konzert auch annimmt, ihre Handschrift ist unverwechselbar. Was kein Kritikerzitat und keine Studioaufnahme erfahrbar macht, wird im Live-Auftritt zum berührenden Erlebnis: Wie sie mit aufs Millinewton austarierter Anschlagskraft einen Schlusston in einen Hauch verwandelt, sucht seinesgleichen in dieser Pianistenwelt. Die Art und Weise, wie sie das im Titel zitierte Stück aus Debussys Preludes ausklingen lässt - "Les sons et les parfums tournent dans l'air du soir": Man kann, guten Gewissens, süchtig werden danach.

Selbst die wohlbekannte a-Moll Sonate von Wolfgang Amadeus Mozart gleich zu Beginn des Konzerts bekommt unter Fialkowskas Händen eine ungewohnte Note. Ohne die ihr zugeschriebene Tragik und Bedrücktheit zu verlieren, findet sich die aufwühlende Komposition an der Hand der Pianistin sicher durch die Finsternis geführt. Unaufgeregt und geradlinig gibt Fialkowska der wilden Jagd der Gefühle im abschließenden Presto-Satz einen sicheren Begleitschutz und lässt doch dem Urheber wie dem Zuhörer keinen Zweifel: Hier bist Du Mozart, hier kannst Du's sein. Das ist der Unterschied zwischen gekonnter Interpretation und versuchter Deutung.

Je mehr man sich während des zweistündigen Konzerts auf Fialkowska einlässt, desto vertrauter wird ihre Handschrift. Auch ihren Maurice Ravel bringt die Kanadierin dem Publikum in einer Form näher, die dem Aufbegehrend-Widerborstigen in seiner Sonatine fis-Moll alles Befremdliche nimmt. So sorgsam sie mit Ideen und Idealen des zum Entstehungszeitpunkt jungen Komponisten umgeht, macht sie sich doch sein Temperament zu eigen und arbeitet jede noch so kunstvolle Wendung elegant in ihren Vortrag ein. Was heißt "arbeitet"? Ganz im Sinne der "Fraternité" stürmt sie an der Seite Ravels über die Klaviatur auf die Barrikaden und lässt Ohren und Herzen ihres Publikums entflammen. Bezwingend dabei ihre makellose Technik und ihre meisterliche Fähigkeit, jene Momente des Innehaltens zu zelebrieren, die der Komponist eingeflochten hat.

So wird der Konzertabend zur Bereicherung: Wir lernen eine Musikerin kennen, die sich konsequent etwas traut. Die sich an Tempi und Dynamiken nicht versucht, sondern sie setzt. Die Klängen nicht folgt, sondern sie schafft. Die sich nicht versteckt, sondern offenbart. Francis Poulenc, einer der Komponisten der vier französischen Klavierminiaturen im zweiten Teils des Konzerts, hat eine Spielanweisung gegeben: "Sehr schwungvoll, ganz geradlinig, ohne jede Verzögerung." Nimmt man sie zum Maßstab, muss dieser Janina Fialkowska als ideale Interpretin seines Stücks vor Augen gehabt haben.

Es gehört zur Qualität des Kammermusikzyklus, zu dem der Kulturverein Zorneding-Baldham nun bereits im 36. Jahr einlädt, dass ein Konzert wie dieses sich nicht einfach nur einreiht in eine Abfolge prominenter Auftritte. Sondern dass auf hohem Niveau das Versprechen ausgesuchter Musikerlebnisse immer wieder aufs Neue eingelöst wird. Mit dem Engagement der kanadischen Ausnahme-Pianistin ist dem Veranstalter ein Coup erster Güte gelungen, an dem sich andere erst einmal messen lassen müssen. Dafür gab es großen, schon zur Pause mit Bravorufen angereicherten Applaus.

© SZ vom 23.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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