Kirchseeon:Plädoyer für die Gemütlichkeit

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Stephan Zinner trifft in Kirchseeon den richtigen Nerv

Von Anna Weininger, Kirchseeon

Was passiert, wenn ein Durchschnittsbürger um die 40 lässig in einen Hip-Hop-Store federt und den jugendlichen Verkäufer in einer gangsterhaft-imitatorischen Coolness-Geste mit den Worten "In da House - 2Pac in Heaven" begrüßt? Der Kabarettist, Musiker und Schauspieler Stephan Zinner macht es am Freitag vor auf der Bühne in der ATSV-Halle in Kirchseeon. Man wird höflich und formal begrüßt im Laden: "Oh, mein Herr, soll ich die Musik leiser machen?" Und was passiert, wenn der "ältere" Herr dann auch noch "Turnschuhe" kaufen will? Man wird verlacht. "Turnschuhe...", das Wort ist wohl nicht mehr en vogue, irgendwas muss da an dem 41-Jährigen vorbeigegangen sein in seiner jugendlichen Verirrung. Der Trostberger Kabarettist kostet sie aus, die Szene im Hip-Hop-Laden. Unverschämt, diese Jugend, findet er und kontert, indem er dem Hip-Hopper eine Lektion erteilt und sich plötzlich alt und gebrechlich gibt. Zur Strafe für seinen Hohn muss ihm nun der Verkäufer die Socken aus- und die "Turnschuhe" anziehen. Das Publikum in der ATSV-Halle johlt.

Anlässlich des 30-jährigen Bestehens des Freizeitvereins FC Fussi wurde die Sporthalle mithilfe von Veranstalter Richard Pimpl am Freitag in ein Kabarett-Theater verwandelt. Christian Eringer, Vorsitzender des FC Fussi bedauert zwar, dass der Andrang nicht ganz so groß war wie erwartet. Um so mehr freut er sich aber, dass der FC Fussi mit Stephan Zinner ein würdiges Jubiläum feiern kann. Der Kabarettist und Musiker greift in seinem Bühnenprogramm "Wuide Zeit" Szenen aus dem Alltag auf und packt sie in einen kurzweiligen Abend. Mit einer gekonnten Leichtigkeit des Erzählens und in tiefstem Urbairisch zeichnet er Menschen in skurrilen Alltagssituationen und verpasst ihnen immer wieder charmant sarkastische Spötteleien: dem schnöseligen Neu-Münchner, dem großkotzigen Porsche-Cayenne-Fahrer "Starnberger Mischung" oder der zickigen Ehefrau, die sich beschwert, weil man sich im Auto auf der schlecht geteerten Autobahn nicht schminken kann.

Es sind die Nichtigkeiten im Alltag, die Zinner schmackhaft vorführt, wie den alljährlichen familiären Campingwahn im italienischen Carrara. Klischeebefreit bleibt es dabei nicht. Die Frau kommandiert beim Zeltaufbau - der Mann sehnt sich seine Spezln herbei, um mit ihnen bei einem Bier den Campingplatz "einfach kommen lassen" zu können.

Zinner schafft mit seinem Programm ein Plädoyer für die "Gemütlichkeitsrevolution" in "wilden Zeiten". Er konterkariert die Schnelllebigkeit des Alltags mit bayerischer Bequemlichkeit: Während die Nachbarin im Hosenanzug selbst in halber Bewusstlosigkeit immer noch "Meeting, Meeting" und "TelKo" schreit und dabei wie wild in ihr Smartphone tippt, während der norddeutsche Tourist mit seinen Trekking-Sandalen engagiert den Gipfel am Berg erstürmt, lehnt sich Zinner entspannt vor der Berghütte mit einem Bier zurück und stellt zufrieden fest: "Ahhh. Da wär er, der Gipfel."

Würde man seine charmante und lässige Erzählweise in Musik übersetzen, dann würde man wahrscheinlich beim Blues landen. Und genau den bringt Zinner auch. Die Kurzgeschichten flankiert er zwischendurch immer wieder an der Gitarre und packt bayerische Weisheiten ("A bisserl Dreck dad de Leut ned schaden ...") in ansprechenden Blues und Countryfolk.

Politik lässt der Kabarettist, der jährlich im bayerischen Politzirkus am Nockherberg Markus Söder gibt, in seinen Anekdoten quasi außen vor. Nur versteckt erkennt man kleine Seitenhiebe gegen politische Strömungen wie Pegida und AfD. "Aber, wir wolln ja hier ned politisieren", merkt er an. Vielmehr knöpft er sich musikalisch und verbal die Absurditäten der wildgewordenen Gesellschaft und die Selbstverliebtheit der Bayern vor. Viele seiner Geschichten sind nachzulesen in Zinners Kurzgeschichtenband "Flugmango" - so auch die Erkenntnis, dass Gott definitiv ein Bayer sein muss, der Adiletten trägt, "Ernte" raucht und Löwenbräu in Tegernseer verwandeln kann.

© SZ vom 16.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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