Kirchseeon:Lehrreiche Zeitreise

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Hervorragend verkörpert Wolfgang Uebelacker den Reformator Martin Luther, der auch so manche seelische Qual erleidet. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die evangelische Kirchengemeinde in Kirchseeon führt zum Reformationsjubiläum ein eigens geschaffenes, interaktives Theaterstück rund um Martin Luther auf

Von Friedhelm Buchenhorst, Kirchseeon

Wer möchte nicht einmal eine Zeitreise unternehmen in das frühe 16. Jahrhundert? Wer nicht warten mochte, bis der technische Fortschritt das möglich macht, der konnte in Kirchseeon schon jetzt leibhaftig in die vergleichsweise sonnige Welt der Frührenaissance und des Humanismus mit all ihren alt-neuen Gedanken eintauchen und dort einer der einflussreichsten Persönlichkeiten dieser Zeit begegnen, nämlich Martin Luther.

Möglich machte das der Arbeitskreis "Gemeinde Leben" der evangelischen Kirchengemeinde Kirchseeon, der das Lutherjubiläum auf ganz ungewöhnliche und beeindruckende Art im Gemeindehaus umzusetzen verstand, nämlich als interaktives Theaterevent. Fachlich betreut hatte den Abend mit dem Titel "Leben, Lieben und Leiden - zu Luthers Zeiten" die Moosacher Theaterpädagogin Marina Lahann.

Die zahlreichen Besucher der Kirchseeoner Inszenierung finden sich als Bürger im Wittenberg des Jahres 1525 wieder. Einige Nonnen fühlen sich unter dem Eindruck der Schriften eines mutigen Wittenberger Mönchs und Theologen namens Martin Luther nicht mehr an ihr Glaubensgelübde gebunden. Also flüchten sie, "Ave Maria" singend, auf einem alten Bauernwagen aus ihrem Kloster und suchen in Wittenberg eine neue Zukunft. Eine Szene, die die Flüchtlingsproblematik deutlich macht, auch die heutige.

Eine der Nonnen, Katharina von Bora, überzeugend gespielt von der Ebersberger und Kirchseeoner Pfarrerin Renate Zorn-Traving, kommt bei der Cranacherin, der Frau von Lucas Cranach dem Älteren, unter. Katharina, eine gebildete, selbstbewusste und sehr tüchtige Frau, pflegt den erkrankten Luther, hervorragend gespielt von dem Kirchseeoner Wolfgang Uebelacker - und die Cranacherin, die "Kupplerin", schmunzelt im Hintergrund. Luthers Widerstand währt nicht lange, und schon bald werden die beiden unter - echtem Kirchseeoner - Glockenläuten ein Ehepaar. Fortan sorgt Katharina recht erfolgreich für das wirtschaftliche Wohlergehen der Lutherfamilie, und Martin verändert derweil die Welt.

Die einzelnen Szenen werden von anmutiger zeitgenössischer Musik umrahmt, gespielt von einem eigens zusammengestellten Flötenchor, gesungen wird das Lutherlied "Eine feste Burg ist unser Gott". Geschickt sind theologische Aspekte und moderne Bezüge wie etwa die Zölibatsproblematik oder auch die Emanzipation der Frau in die Handlung und in die Texte eingebaut. "Ora et labora", sagt Katharina, sie wolle jetzt nicht mehr nur beten, sondern auch tätig sein. "Wenn ich im Frühjahr eine Erbse in den Boden stecke", sagt Katharina, "dann ist das auch ein Gebet". Wort und Tat gehören zusammen, wie auch Mann und Frau. Luther zeigt in verschiedenen Situationen die sich aus dem Gott-Welt-Verhältnis ergebenden seelischen Qualen und in diesem Zusammenhang die grundsätzliche Bedeutung der göttlich inspirierten Gewissensentscheidung.

Das Publikum wird auch eingebunden, als Luther nach eigenen Zitaten fragt. Diese reichen von dem obligatorischen und typisch lutherisch-derben "Warum rülpset und pfurzet ihr nicht, hat es euch denn nicht geschmecket?" über das herrliche "Wenn du ein Kind siehst, hast du Gott auf frischer Tat ertappt" bis zu dem wunderbar optimistischen "Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen".

Der Mensch lebt aber nicht nur vom Geist allein, manchmal muss er auch etwas essen. Auch dafür wurde - ein ausdrückliches Lob an das kochende Personal! - mit zeitgenössischen Gerichten bestens gesorgt. Im ersten Gang gab es eine hervorragend mundende Pilzsuppe mit Speck und Kräutern aus dem Klostergarten, im zweiten eine nicht weniger schmackhafte Krautpfanne mit zweierlei Fleisch. Luther hat es, wie durch die Bilder von Lucas Cranach dem Älteren belegt ist, sichtlich geschmeckt. Als hochzeitlichen Abschluss gab es noch einen Kreistanz, vorgeführt von der gesamten Theatergruppe.

Nach der gelungenen historisch untermalten seelischen Erbauung konnten die Besucher nach dem erhaltenen Segen der Hausherrin Katharina noch in geselligem Miteinander verweilen und schließlich sanft wieder in unsere heutige Zeit zurückkehren.

© SZ vom 27.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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