Kirchseeon:Distanz zum Selbst

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Was ist Demut? Peter Fischer, Anton Prestele und Helmut Zunhammer begeben sich in der Galerie KOK mit Installationen und Vertonungen auf Sinnsuche

Von Peter Kees, Kirchseeon

Die Geschichte eines Mannes, der seine finanzkräftige Firma verschenkt, seine Familie verlässt, der materiellen Welt den Rücken kehrt und sich fortan als Bettelmönch verdingt, ist sicher eine Notiz wert. Ein solcher Schritt mag andere irritieren oder auch anregen; womöglich setzt Derartiges die eigene Reflexionsmaschine in Gang. So ist es Peter Fischer geschehen, der in Kirchseeon die Galerie KOK betreibt. Man kann es auch anders formulieren: Sinnsuche und Selbstreflexion sind Werkzeuge, die das eigene Tun, das eigene Leben hinterfragen.

Am Samstag hatte Fischer deshalb gemeinsam mit dem Musiker, Komponisten, Darsteller und Regisseur Anton Prestele und dem Maler und Zeichner Helmut Zunhammer zu einer interdisziplinären Performance geladen, in der sich die drei Herren mit dem Begriff der Demut auseinandersetzten. "Der Apfel der Erkenntnis - Demut ist des Pudels Kern" haben sie Performance und Installation in der KOK-Galerie betitelt.

Der Begriff Demut entstammt dem Althochdeutschen und meint soviel wie "dienstwillig". Im christlichen Kontext ist unter Demut die Haltung des Geschöpfes zum Schöpfer zu verstehen. Wer demütig ist, erkennt etwas Höheres an. Heute taucht der Begriff fast inflationär in allen möglichen Zusammenhängen auf. Ob mit oder ohne spirituellen Hintergrund, Demut scheint zum Modebegriff avanciert zu sein, zu einer Modehaltung. Grund genug, sich damit auseinanderzusetzen. Peter Fischer, Anton Prestele und Helmut Zunhammer trafen sich unter dieser Vorgabe in einem Zeitraum von mehr als zwei Jahren regelmäßig zu intensivem Gedankenaustausch, um sich der Begriffsgeschichte und dem Kern des Wortes zu nähern. Ihre Erkenntnis: Demut kann als Selbstdistanz verstanden werden, als letzter Rettungsanker, um festgefahrene Situationen aufzulösen und kreatives Nachdenken zu provozieren.

In der Galerie wird der Besucher von Bildern, Objekten und Installationen empfangen, allesamt Werke von Helmut Zunhammer, die er für die Auseinandersetzung mit dem Komplex "Demut" zusammengestellt oder neu geschaffen hat: Raumhohe Buchinstallationen mit verschiedenen Zitaten - spirituelle, frühchristliche Texte, philosophische Textauszüge und Spruchsammlungen zum Begriff von Zeitgenossen darauf. Durchgehendes Motiv ist dabei der Apfel. Die verbotene Frucht meint hier Anfang und Ende zugleich, denn der Apfel steht für Schönheit, Verführung und in seinem "Butzen" - dem vom Menschen abgebissenen Kern - zugleich als memento mori. Denn in diesem "Butzen" stecken die Apfelkerne, aus denen wieder Neues erwächst. Der Kreislauf von Leben und Tod wird also nicht durchbrochen, denn jedem Tod erwächst wieder Leben.

Anton Prestele beim komponierten Sprechsingen, das mit Soundcollagen und live erzeugten Klängen eine Partitur bildet. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Und da hängt noch ein beschriebener Teppich, dessen Muster Labyrinthformen bildet. In diese Formen hineingeschrieben ist das Wessobrunner Gebet, ein Schöpfungsgedicht, das zu den frühesten poetischen Zeugnissen der althochdeutschen Sprache zählt, benannt nach dem altbairischen Kloster Wessobrunn, dem langjährigen Aufbewahrungsort dieser Sammelschrift aus dem 9.Jahrhundert. Dieses Wessobrunner Gebet ist auch Ausgangspunkt in Fischers, Presteles und Zunhammers Beschäftigung mit dem Begriff der Demut. Und schon sind wir bei der Dramaturgie des Abends: In diesem von Zunhammer gestalteten Raum, der im weitesten Sinne des Wortes wie ein Bühnenbild funktioniert, zugleich weit mehr ist, denn er liefert Querverweise und ergänzt, tritt Anton Prestele mit einer gewaltigen Sprachperformance auf. Sprechgesang trifft diese Art der musikalischen Darstellung von Texten nicht ganz, es ist komponiertes Sprechsingen, das mit Soundcollagen und live erzeugten Klängen eine Partitur bildet. Man könnte es umschreiben mit der Gattung des Melodrams, doch es ist mehr, verwoben, Sprache und Klänge verschmelzen zu einer musikalischen Einheit. Die Dramaturgie von Presteles Performance ist dreiteilig: Mit dem mittelhochdeutschen Wessobrunner Schöpfungsgedicht umschreibt er den Begriff der Demut im Sinne frühchristlicher Wurzeln als Ehrfurcht vor dem Schöpfer, setzt dem die philosophische Gegenposition Friedrich Nietzsches entgegen - Demut wird hier als Sklavenmentalität verstanden -, und gipfelt in Sinnsuche und Scheitern im Hier und Jetzt mit Texten von Robert Lax, Heiner Müller, Bohumil Hrabal und Norbert C. Kaser.

Aus dem Nichts, aus einer Stille crescendieren im ersten Teil Naturgeräusche. Lautmalerisch setzt Prestele mit den mittelhochdeutschen Worten des Wessobrunner Gedichtes ein. Motorgeräusche durchbrechen ein erstes Mal, bald ein zweites Mal, allmählich klingen alle möglichen Zivilisationsgeräusche durch, Autos, Straßenlärm, Stimmengewirr, Sirenen. "Als Kind sagte man mir, dass es einmal auf der Welt nichts gab, eigentlich überhaupt nichts, keine Straße, keinen Baum, keine Menschen, keine Tiere, überhaupt nichts, auch kein Licht, nur Dunkelheit und Stille. Aber dahinter gab es dann doch diesen Gott, der alles, was auf der Welt ist, erschaffen hat..." rezitiert er. Zu diesem Schöpfungsmythos werden Bilder projiziert, Adam und Eva kommen in Erinnerung. Klavierklänge und das Wessobrunner Gebet von einer Frauenstimme singend vorgetragen werden dazu eingespielt. Der Bogen dieses ersten Teils ist rund, Presteles Präsenz, sein Vortrag fesselnd.

Kurz erklärt Peter Fischer in einer kleinen Pause Helmut Zunhammers Bilder, ein kleiner Dialog entsteht und schon tönt wieder Prestele. Zweiter Teil mit Nietzsches Gegenentwurf: Demut als Sklavenmentalität. Diesmal spielt er keine Samples ein, sondern bedient die Gegenstände an Zunhammers Klangbäumen - zwei Astgestängen (Bäume der Erkenntnis), an denen Glocken, ein Gong, Arme und Beine aus Holz, Metallteile, und verschiedene andere geräuscherzeugende Dinge hängen. Prestele ist Rezitator und Schlagwerker in einem. Großartig wie er spricht, fast singt und dazu zaubernd musiziert. Schließlich nimmt er einen Geigenbogen und fährt über die Saiten einer von Zunhammer künstlerisch gestalteten Gitarre. Dazu die Nietzsche-Texte. Klarer geht eine Gegenposition nicht. Gott ist schließlich tot.

Im Hintergrund hängt ein Teppich mit dem Wessobrunner Gebet, einem Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit dem Demutsbegriff. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Im dritten Teil - er ist nicht wirklich Synthese aus These und Antithese der ersten beiden Teile - die Texte von Robert Lax, Heiner Müller, Bohumil Hrabal und Norbert C. Kaser. Robert Lax (1915-2000), sicher die Entdeckung des Abends, beschränkt sich auf das Nötigste, das Hier und Jetzt. Als weltoffener Eremit hatte er sich einst auf einer griechischen Insel zurückgezogen. "One Moment passes, another comes on, how was was, how is is, how will be will be, was wasn't, is isn't, will be won't . . ." und ähnlich klingen seine minimalistischen Gedichte. Prestele lässt den Dichter selbst sprechen und verbindet dieses Tonband mit Einspielungen seines Orgelwerkes "Kampf und Kontemplation" von 1979. Auf der Videoprojektion Robert Lax' Konterfei dazu, das sich vermischen wird mit Abbildungen von Zunhammers Bildern. Darüber sprechsingt Prestele Heiner Müllers "Römerbrief", Bohumil Hrabal "Zauberflöte" und Norbert C. Kaser "Gott von Dir", verbunden mit Orgel-Samples, quasi musikalischen Kommentaren. Um Sinnsuche geht es, ums Scheitern, um Ausweglosigkeit.

An diesem Abend fällt dann noch ein taoistischer Satz: die höchste Form des Tuns ist das Nichtstun. Auch ein Gedanke, der anregen kann und haften bleibt. Wie es um die Demut steht, ist freilich Auslegungssache. Peter Fischer, Ideengeber, Dramaturg und Produzent des Abends sagt, Demut sei ein Handwerkszeug, ein Kreativwerkzeug, mit dem sich komplexe Probleme lösen lassen. Darum jedenfalls ging es an diesem Abend: ums Abschalten und Loslassen, um dann aus dem Unterbewussten Kreatives zuzulassen. Das Publikum sitzt fast zwei Stunden gefesselt. Demnächst wird dieser Abend im Ebersberger Kunstverein wiederholt werden. Wer am Samstag nicht anwesend war, sollte diesen Termin keinesfalls versäumen.

© SZ vom 27.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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