Kabarett in Ebersberg:Chirurgische Schnitte am Über-Ego

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Der Kabarettist Mathias Tretter seziert im Alten Kino Ebersberg die narzisstischen Abgründe von Politik, Gesellschaft und Weltgeschehen.

Von Peter Kees, Ebersberg

Unter den Klängen des Vorspiels zum Fliegenden Holländer aus der gleichnamigen Oper Richard Wagners betritt Mathias Tretter die Bühne, blickt ins Publikum und stellt die Frage, ob der Auftritt mit Wagnermusik ein passender Beginn sei, oder ob nicht vielleicht Mozart besser gewesen wäre - und fast ehe man die Frage gehört hat, kommt schon seine bitterböse Antwort: Mozart, nein, das gehe gar nicht, wer wolle schon mit einem Österreicher einmarschieren. Da ahnt man bereits, welche Klinge der Mann führt, der da auf die Bühne kommt.

Ein Statement, mit dem er seinen Anspruch manifestiert. Er will scharf, kritisch, satirisch sein, und genau das gelingt ihm auch. "Selfi" nennt er sein Programm. Wie war das? Wenn Wagner mit Gott sprechen würde, dann wäre das ein Selbstgespräch. Ein Treffer. Mit "Selfi" thematisiert Tretter das übersteigerte Ego, das immer mehr ums eigene Selbst kreisende Ich und den Zwang zur Selbstinszenierung in einer postdemokratischen Gesellschaft. Wie wird man berühmt, ist eine der ersten Fragen, die er stellt und exemplarisch an der eigenen Person und der Rolle des Kabarettisten durchdekliniert.

Seine Pointen sind exzellent gesetzt. Da steht ein klarer und kluger Kopf, ein präziser Beobachter und Analytiker. Seine sprachliche Ausdrucksfähigkeit, sein brillanter Wortwitz ist dabei ein Handwerkszeug, das er bemerkenswert virtuos beherrscht. Man könnte meinen, es handle sich bei seinen Texten um Literatur. Ob er über die Schönen auf der einen Seite, die Lustigen auf der anderen Seite oder auch selbstkritisch über sich selbst spricht - schön und lustig gehe übrigens nie zusammen - Tretter hat augenfällig Format, seine Show Biss und politische Dimension vom Feinsten.

Dabei versprüht er zugleich einen Charme, der große Lust macht, ihm zuzuhören. Da steht keiner, der einfach Witze reißt. Da steht ein hochgebildeter, feiner, äußerst scharfsinniger und gewitzter Mann auf der Bühne, dessen Seziermesserschnitte genau in die Wunden treffen. Und das den ganzen Abend über. Er durchschaut gesellschaftliche wie politische Realitäten und führt sie gnadenlos vor. Da steht eben einer, der etwas zu sagen hat. Und er hat das zu sagen, weil er scheinbar etwas verstanden und begriffen hat. Das ist Satire vom Allerbesten, sein Programm "Selfie" eine bissige Zeitanalyse.

Vor nichts macht er dabei Halt. Zunehmenden Narzissmus macht er in unserer Gesellschaft aus und thematisiert ihn ebenso frech wie den faden Beigeschmack, den ihm manche Politiker verursachen. Dabei zeigt er schauspielerisches Talent, auffallend eine Angela Merkel-Parodie als Zugabe. Er schlüpft in Figuren, die sächseln oder fränkisch sprechen - der Würzburger lebt sein einigen Jahren in Leipzig. Es gelingt ihm, eine Verschmelzung von ost- und westdeutscher Identität herzustellen.

Ein schlichter Komiker ist er dabei nicht, sondern das, was man noch einen Kabarettisten im besten Sinne des Wortes nennen kann. Das Konzept des Programms ist dramaturgisch gut durchdacht. Da ist kein Übergang holprig, jedes Thema ergibt sich fast zwingend aus dem Vorangegangenen. Auch spielt er gekonnt mit seinen Pointen, lässt manche wie Leitmotive immer wiederkehren.

Und er lässt nichts aus. Ob "Merkellähme" oder "Permafrostlächeln - Angela Merkels Gesichtsausdruck und der Ursula von der Leyens - natürlich den Zustand der Bundeswehr, IS und amerikanische Bomben, Flüchtlingsproblematik und Klimawandel, "Wachstumidiotie", die Entvölkerung ostdeutscher Regionen. Pegida nimmt er sich vor und Neonazis, die "Mitte der Gesellschaft", Midlife-Crisis, Religionen, Rückzugsfantasien und soziale Netzwerke, Sorben und ost-westdeutsche Gegensätze. Er nimmt pädagogisch überbordende Kindererziehung aufs Korn und den gefühlten Zwang zur guten Laune oder zum Hipp-Sein-Müssen, Gentrifizierung, Finanzkrise, Konsumwahn und Bio-Mode, sogar Erotik und Sex - und nicht zu vergessen Franz Josef Strauß: Auch den früheren Bayerischen Ministerpräsidenten also, "heute ein ganz normal Krimineller", zieht er durch den Kakao.

Irgendwann macht er den wunderbaren Vorschlag einer Patchworkreligion mit dem Besten aus allen Weltreligionen. Mit einer virtuosen Wiedergabe einer Faust-Ausgabe in eineinhalb Minuten beklagt er treffend den Niedergang der Sprache - eineinhalb Minuten, so der Kabarettist, das ist die Zeit, die bei Wortbeiträgen im Privatradio gerade mal zur Verfügung steht, reduziert auf ein Minimum an Inhalt. Tretters Credo: Die Postdemokratie ist eigentlich schon durch, längst sei man inzwischen in der Apokalypse angekommen. Die größte Flüchtlingszahl seit dem 2. Weltkrieg, der höchste CO₂ Ausstoß, 45 bewaffnete Konflikte weltweit, fast eine Milliarde Menschen, die Hunger leiden, die Aufzählung könnte unendlich weiter gehen.

Der Abend ist große Oper. Wie sagt er selbst: "Wagner ist Bach mit Stalinorgeln." Übersetzt auf den Tretter: Tretter ist Intelligenz mit imposanter Sprachgewalt.

© SZ vom 02.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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