Im Auftrag der Versicherung:Die Stresstester

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In Zorneding werden beschädigte und zerstörte Industrieteile untersucht, aber auch vorsorgliche Analysen erstellt

Von Viktoria Spinrad, Zorneding

Wenn man in einen Showroom gebeten wird, erwartet man normalerweise blank geputzte Elektroautos oder fotogene Models. Hier in Pöring steht die Creme de la Creme der Schadensfälle: Gebrochene Verdichter, gerissene Turbinenrohre, geborstene Turbinen. Millionenschäden mit oft tragischen Konsequenzen, anhand derer man die Welt von Zorneding aus ein bisschen sicherer machen will.

Im Gewerbegebiet am Georg-Wimmer-Ring messen, simulieren, mikroskopieren zwei Firmen gemeinsam Industrieschäden aus aller Welt. Die Gesellschaft für Werkstoffprüfung (GWP) und das Zentrum für Technik der Allianz-Versicherung (AZT) arbeiten hier seit zehn Jahren gemeinsam daran, gewaltige Schäden wie die geborstene Papierwalze aufzuklären.

Ein Job, den Thomas Gellermann vom AZT mit einem Augenzwinkern so beschreibt: "Wir sind die postmortalen Klugscheißer." Denn wenn die Ursache einer auseinandergebrochenen Dampfturbine oder eines gebrochenen Motors einmal ermittelt wurde, ist klar, was man schon vorher hätte unternehmen müssen, um dem Schaden vorzubeugen. Zum Beispiel bei einer Thermowalze, die aus einer Papierfabrik eine Bruchbude machte. Der Schaden: Knapp 260 Millionen Euro.

Johannes Stoiber vom Zentrum für Technik der Allianz-Versicherung (AZT) vor der Irschingwelle, der weltweit größten metallischen Bruchfläche. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Der Fall ist so heikel, dass die Firma den Standort der Papierfabrik nicht verraten möchte. Soviel aber wurde bekannt: Die Bruchstücke wurden nach Pöring gebracht und virtuell wieder zusammengesetzt. Die Erkenntnis: Die zehn Meter breite Walze, die 90 Kilometer Papier in der Stunde produziert hatte, war völlig überlastet gewesen. Still und leise hatte sie innere Risse gebildet - bis sie gänzlich explodierte und den Laden in Schutt und Asche legte.

Oder in dem komplizierten Fall, der zu einer der weltweit größten Rückrufaktionen führte. In den USA starben Menschen, weil Unfälle nicht nur Airbags, sondern dazu auch noch herumfliegende Metallteile freigaben. Die Zornedinger Simulation im eigenen Airbag-Labor zeigte: Der Hersteller hatte billig mit Ammoniumnitrat produziert. Das allerdings quillt bei hohen Temperaturen wie ein Marshmallow auf - die Gasgeneratoren konnten dem Druck nicht mehr standhalten und explodierten. Die Einsparung, die die Firma zunächst besonders wettbewerbsfähig gemacht hatte, hatte Menschen das Leben gekostet; die Firma wiederum ging insolvent und wurde an die Konkurrenz verkauft.

Teurer Schrott: in einem solarthermischem Kraftwerk gebrochene Receiver-Rohre. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Beispiel zeigt, dass es mit postmortalem Klugscheißern, mit der Rekonstruktion von Schadensabläufen nicht getan ist. Das Wissen, was die Tüftler in Zorneding erlangen, soll auch helfen, Risiken zu minimieren - und neue Technologien dadurch versicherbar zu machen. Wenn es um diese Königsdisziplin der Präventivarbeit geht, werden die Tüftler die Sparringspartner, ja die Advocati Diaboli von Kunden wie BMW, ADAC, Osram, Siemens. Im Spannungsfeld immer kürzerer Modellzyklen geht es dann darum, die Entwicklung neuer Teile kritisch zu begleiten: Wie lange wird die Fotovoltaikanlage halten? Wie viel Belastung können die Rotoren der Windkraftanlage aushalten, wenn sich Windstärken in Sekunden ändern?

Um Prototypen zu testen, bevor es zu einer Katastrophe kommt, gibt es in Pöring Technologien, die man sonst eher im Krankenhaus oder in Universitäten erwartet. Zum Beispiel einen Computerthermografen, der die Schweißnähte an Kesselturbinenrohren untersucht. Außerdem 3D-Laserscanner und Drohnen, die mit Wärmebildkameras zu Inspektionsflügen ausschwärmen. Um neue Technologien auf ein akzeptables Restrisiko zu minimieren. Denn, wie Gellermann sagt: "Eine Technik ohne Fehler existiert leider nicht."

© SZ vom 13.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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