Holocaust-Gedenken in Markt Schwaben:Berührende Biografien

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Mit einer szenischen Lesung erinnern Schüler des Markt Schwabener Franz-Marc-Gymnasiums an jüdische Lehrer während der NS-Zeit. BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann lobt das Engagement als zeitgemäße Auseinandersetzung mit der Geschichte

Von Karin Kampwerth, Markt Schwaben

Am Ende wussten die Gäste, was Simone Fleischmann meint, wenn sie eine neue Kultur des Erinnerns fordert. Jugendliche im Alter von 15, 16 und 17 Jahren hätten keine Großeltern mehr, die ihnen vom Krieg erzählen können, sagte die Präsidentin des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (BLLV). Deshalb sei die Arbeit mit den Biografien von Verfolgten, Verschleppten und Ermordeten im Dritten Reich so wichtig. Weil die abstrakte Zahl von sechs Millionen Juden vom Säugling bis zum Greis, die erschlagen, erschossen oder vergast wurden, eine andere Qualität bekomme. "Das ist keine Statistik mehr, das sind Menschen wie du und ich", sagte Fleischmann.

Die frühere Rektorin der Poinger Anni-Pickert-Schule, die seit 2015 Chefin der Berufsorganisation bayerischer Pädagogen ist, sprach am Mittwochabend vor geladenen Schülern, Lehrern und Gästen aus Politik und Gesellschaft im Markt Schwabener Franz-Marc-Gymnasium, das zum ersten Mal einen Holocaust-Gedenktag beging. Im Mittelpunkt stand die szenische Lesung von Schülern des Arbeitskreises Politik und Zeitgeschichte sowie des Oberstufentheaters, die die Biografien von vier verfolgten jüdischen Lehrern vortrugen.

Mit einer szenischen Lesung würdigen Schüler in der NS-Zeit verfolgte jüdische Lehrer. (Foto: Christian Endt)

Bewegende Lebensläufe, die im Fall von Siegmund Rindskopf und Heinemann Edelstein mit der Ermordung endeten, und Elisabeth Ehrlich sowie Ernst Ehrentreu zur Emigration nach England zwangen. Die Schicksale der Pädagogen, die um ihr Leben kämpften, die als "nicht arisch" entrechtet wurden, die man in Konzentrationslagern entwürdigte und quälte wie den Rabbiner Ernst Ehrentreu, dem die SS-Schergen von seinem dunklen Bart "jedes Haar einzeln ausrissen", trieb manchem Besucher spätestens dann eine Träne ins Auge, als die Schüler auf jeden ihrer Stühle eine weiße Rose zur Erinnerung legten.

Die Biografien der Lehrer waren vor vier Jahren von Abiturienten des Franz-Marc-Gymnasiums unter der wissenschaftlichen Begleitung des Dachauer Forums erarbeitet worden und sind Teil der BLLV-Wanderausstellung "Namen statt Nummern", die sich jüdischen Pädagogen während der NS-Zeit widmet und am Mittwoch in Markt Schwaben eröffnet wurde.

Aus der historischen Erkenntnis Brücken in die Gegenwart bauen, das ist laut Simone Fleischmann Herausforderung zeitgemäßen Geschichtsunterrichts. "Wir erleben das Wiedererwachen von radikalen und rechtsextremen Gedanken, von Rassismus und Ausgrenzung", sagte Fleischmann. Gegen die Sprache von Hass und Diskriminierung vorzugehen, sei Aufgabe von Lehrern, die Kindern und Jugendlichen die Grundlagen des Zusammenlebens vermittelten. "In der Schule leben wir Gemeinschaft, das hat identitätsstiftende Wirkung", sagte Fleischmann, "die Schule ist ein Faktor für die Stabilität unserer Gesellschaft." Die wissenschaftliche Arbeit an den Biografien der verfolgten und ermordeten jüdischen Lehrer, deren Namen der BLLV vor 15 Jahren recherchieren ließ und die den W-Seminaren in Gymnasien zur Verfügung gestellt werden, verändere das Leben der Schüler. "Ihnen wird bewusst, dass aus Ausgrenzung Verfolgung werden kann."

Schüler müssten befähigt werden, aus der Vergangenheit Schlüsse zu ziehen, um Angriffe auf die Demokratie einordnen zu können, sagte Max Schmidt, früherer Lehrer am Grafinger Gymnasium, viele Jahre lang Vorsitzender des bayerischen Philologenverbandes und nun Vorstandsvorsitzender der Stiftung "Wertebündnis Bayern", das sich der demokratischen Erziehung junger Menschen widmet. Das sei besonders wichtig in Zeiten, in denen man sich so an die Demokratie gewöhnt habe, dass man nicht mehr für deren Errungenschaften eintrete.

"Geschichte verblasst, wenn sie nicht Teil des eigenen Erlebens wird", sagte auch Schulleiter Peter Popp, der keinen Zweifel daran ließ, die vom inzwischen pensionierten Geschichtslehrer Heinrich Mayer 2007 mit dem Projekt "Vergessener Widerstand" angestoßene Erinnerungsarbeit fortführen zu wollen. "Aus tiefstem Herzen werden wir denen mutig entgegentreten, die die Vergangenheit uminterpretieren wollen oder nicht bereit sind, die richtigen Schlüsse für die Gegenwart zu ziehen." Grund genug für Simone Fleischmann, den Wunsch zu äußern, dass jede Schule einen Holocaust-Gedenktag einführe. Den ersten am Markt Schwabener Gymnasium hatte Geschichtslehrerin Elfi Jung-Strauß initiiert und die Ausstellung der Gedenktafeln organisiert. Für deren Engagement bedankte sich Fleischmann, "weil Erinnerungsarbeit keine Pflicht an Schulen ist, sondern immer noch auf dem persönlichen Einsatz von Lehrern beruht".

Simone Fleischmann lobt das Engagement der Schüler des Franz-Marc-Gymnasiums. (Foto: Christian Endt)

Die Ausstellung ist bis 15. Februar zu den Öffnungszeiten der Schule zu sehen.

© SZ vom 02.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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