Hetze im Internet:Die Zeche für die Zeile

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Ein 30-jähriger Mann verbreitet einen antisemitischen Satz aus dem rechtsradikalen Hooligan-Milieu auf Facebook. Das Amtsgericht Ebersberg verurteilt ihn nun wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe

Von Korbinian Eisenberger, Ebersberg

Die Überschrift hat viele Leser zu Statements inspiriert: "Bootsflüchtlinge klagen - und bekommen 70 Millionen Dollar Entschädigung." So steht es seit Anfang September im Facebook-Posting der Münchner Boulevardzeitung TZ und in der Überschrift des Onlineartikels. Im Text geht es um Entschädigungen für Flüchtlinge auf der Insel Manus im Norden von Papua-Neuguinea. Da füllte sich die Kommentarspalte, das geht bei Facebook ja schnell und einfach. Allerdings kann es unangenehme Folgen haben. Zum Beispiel wenn man schreibt: "Eine U-Bahn bauen wir, von Manus bis nach *******tz". Und wenn deutlich wird, dass mit den Sternchen am Ende "Auschwitz" gemeint ist.

Der Verfasser der Zeile kommt aus dem nördlichen Landkreis Ebersberg und wurde am Dienstag im Ebersberger Amtsgericht wegen Volksverhetzung verurteilt. Sein Satz kostet den 30-Jährigen nun 90 Tagessätze. Der Angeklagte ist tätowiert und hat eine Glatze. Wie jetzt in Hemd und Jeans wirkt er jedoch gar nicht wie ein Gesinnung-Straftäter. Im Gerichtssaal legte er gleich zu Beginn ein Geständnis ab. Er sagte, dass er "eine Riesendummheit" begangen und "nicht richtig nachgedacht" habe, als er den Kommentar verfasste. Bei der Dummheit waren sich im Saal alle einig. Das mit dem Nachdenken kaufte ihm die Richterin jedoch nicht ab.

Der Tatbestand der Volksverhetzung liegt ja dann vor, wenn jemand durch rassistische Aufforderungen "öffentlichen Frieden" stört, so steht es im Strafgesetzbuch, bis zu fünf Jahre Gefängnis erwarten einen in besonders schweren Fällen. Der Verteidiger hatte auf Freispruch plädiert. Volksverhetzung sei nur dann gegeben, wenn es gegen eine Gruppe der inländischen Bevölkerung gehe. Hier aber sei von Flüchtlingen auf einer Pazifikinsel die Rede. Zudem sei das Posting kein Sinnbild einer Gesinnung. "Es spiegelt nicht mein Gedankengut wieder", sagte sein Mandant.

Ob das stimmt, wurde in der Verhandlung nicht restlos geklärt. Es gab lediglich Hinweise, aus denen die Richterin sich ihr Urteil bildete. Die Gesamtstrafe von 900 Euro mag wenig erscheinen. Bei einem Jahreseinkommen von 10 000 Euro treffen einen aber auch zehn Euro am Tag empfindlich. Belastend für den Angeklagten kam hinzu, dass er bereits fünf Mal vorbestraft ist, in drei Fällen einschlägig. Neben gefährlicher Körperverletzung, Nötigung und Beleidigung tauchen in seinem Register drei Verurteilungen wegen der Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole auf. Positiv legte ihm die Richterin aus, dass diese Einträge schon recht alt sind, die letzte Tat ist neun Jahre her.

Manche Menschen ändern sich, andere nicht. Wie es sich beim Angeklagten verhält, bleibt sein Geheimnis. Im seinem Fall handelt es sich um eine Liedzeile aus dem Hooligan-Jargon. Rechte Gruppen verwenden ihn, um damit den Gegner zu beleidigen, dabei wird der Abfahrtsort der "U-Bahn" wahlweise durch den Namen der anderen Mannschaft ersetzt, der Ankunftsort bleibt der gleiche. Mehrere Hooligans, die sich Fußballklubs zugehörig fühlen, wurden deswegen bereits wegen Volksverhetzung zu Geldstrafen verurteilt.

Auch Facebook ist nicht mehr der anonyme rechtsfreie Raum von einst, das wurde deutlich. Es reicht ein Satz, um hart bestraft zu werden. Auch, wenn man dort wie der Angeklagte unter einem Pseudonym unterwegs ist. Es ist eine Fingerübung für die Staatsanwaltschaft, die Identität hinter einem Profil herauszubekommen. Das betrifft viele Menschen: Die wenigsten der gut 30 Millionen aktiven Facebook-Nutzer in Deutschland hauen zwar antisemitische Sprüche gegen Flüchtlinge raus. Trotzdem ist Facebook nicht gerade ein Medium, wo jeder Satz reiflich überlegt ist. Es geht vor allem schnell und einfach, etwas in die Welt hinauszuposaunen. Ähnlich schnell kann das aber nach hinten losgehen.

Oft ist es ja so, dass Leute auf Facebook die Überschrift und eine Unterzeile präsentiert bekommen und diese kurze Lektüre als Grundlage für einen Kommentar nehmen. So sei es auch bei seinem Mandanten gewesen, erklärte der Verteidiger. Das sei zwar "großer Mist" gewesen. Der TZ-Artikel sei jedoch "auch problematisch". Die "reißerische Überschrift" sei übermäßig provokant formuliert und löse dadurch unnötig heftige Emotionen beim Leser aus, so der Anwalt. Die Kommentare geben ihm teilweise recht, dort wird geschimpft und gepöbelt - undifferenziert, in beide Richtungen. "Eine Überschrift muss aber auch zusammenfassen", sagte die Richterin.

Wer den Artikel bis zum Ende liest, erfährt, dass sich die australische Regierung und die Anwälte von knapp 1900 "Bootsflüchtlingen" auf einen Vergleich geeinigt haben sollen. Weil sie "eigentlich nach Australien wollten, dann aber in Lager auf der Pazifik-Insel Manus gebracht wurden". Dort hätten sie "seelischen und körperlichen Schaden genommen". Als Quelle ist die Deutsche Presseagentur genannt. Stimmt die Quelle, und sollten die 43 Millionen Euro pro Kopf gleichmäßig verteilt worden sein, sind knapp 1900 Flüchtlinge um 25 000 Euro reicher geworden. Der Artikel samt Facebook-Post ist nach wie vor zu finden, nur ohne U-Bahn-Kommentar.

© SZ vom 18.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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