Gymnasiasten als Aktionäre:Kapital fürs Leben

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Zahlen haben nicht nur mit Matheunterricht zu tun: Gymnasiasten des Humboldt-Gymnasiums checken für ihre Schülerfirma die Kurse an der Börse. (Foto: Privat)

Schüler des Humboldt-Gymnasiums gründen einen Aktienfonds, der auch von Lehrern und Eltern fleißig gezeichnet wurde. Im P-Seminar geht es darum, die richtige Strategie zu entwickeln, um das Spielgeld zu vermehren

Von Victor Sattler, Vaterstetten

Für 1,60 Euro bekommt man in der Pause eine Cola, für 4,50 Euro schon ein warmes Kantinenessen - und für zehn Euro einen Anteilsschein am schuleigenen Aktienfonds. So könnten Schüler und Lehrer des Humboldt-Gymnasiums in Vaterstetten morgens vor der Schule ihr Pausengeld kalkuliert haben. "Die Anteilsscheine gingen jetzt echt schnell weg", sagt Moritz Arnold. Der 16-Jährige ist Geschäftsführer der neugegründeten Schülerfirma "Aktionom".

Die Mitglieder sind stolz, wie schnell das Unternehmen seine Investoren fand. Damit der Kauftipp bald in aller Munde war, wurde sogar auf Facebook und Instagram eifrig Marketing betrieben. "Immer noch keine Weihnachtsgeschenke? Bei uns gibt's die perfekten Anteilsscheine", hieß es im Dezember frech auf Instagram. Das ließen sich 78 Schüler, Lehrer und Eltern nicht zweimal sagen, sondern schlugen zu - sogar Direktor Rüdiger Modell soll einen Schein ergattert haben und sei nun stolzer Besitzer eines Neunzigstels von "Aktionom". Ganze 780 Euro sind so als Startkapital zusammengekommen, 900 Euro könnten es noch werden.

Im Rahmen des P-Seminars "Depotverwaltung" gehen zehn brancheninteressierte Schüler mit diesem Geld nun an die Börse. Neben Geschäftsführer Arnold wurden auch die Posten des Schatzmeisters, Marketing-Chefs und Social-Media-Chefs an 16- bis 18-Jährige vergeben. Initiator war aber Wolfgang Tschuschner von der Raiffeisenbank Zorneding, der mit seiner Idee auf Wirtschaftslehrer Michael Hüfner zukam. "Nach dem Abi können die Schüler zwar Cicero zitieren, aber keine Bankgeschäfte tätigen", beklagt Tschuschner. Daraus sei der Wunsch entstanden, "endlich mehr Verständnis fürs Geld zu schaffen." Die Raiffeisenbank wird nun die beim Kauf und Verkauf von Aktien anfallenden Transaktionskosten übernehmen. Den Schülern sei aber bewusst, dass diese "im echten Leben" berechnet würden. Man wolle ja keine Äpfel mit Birnen vergleichen. Außerdem schickt die Bank regelmäßig sechs Berufsschüler vorbei. "Die Azubis schauen uns über die Schulter und sagen auch, wenn etwas eine dumme Idee ist", so Arnold.

Einmal eingelesen in die Abläufe der Börse, mussten aber noch die rechtlichen Hürden genommen werden, damit es endlich losgehen konnte - und dabei sollte ihnen das bundesweite Programm "Junior Expert" des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln unter die Arme greifen. Starthilfe, eine Hotline, Unternehmer-Treffs, Workshops, Messen und Wettbewerbe sind nur einige der Angebote, von denen Schülerfirmen hier profitieren können. "Die Vaterstettener Schüler waren von der Geschäftsidee her sehr speziell", erinnert sich Projektleiterin Regina Maueröder. Einen Aktienfonds habe es davor bei Schülerfirmen nämlich noch nie gegeben - aus gutem Grund, wie sich herausstellen sollte.

Das Institut wollte nun für die Dauer eines Geschäftsjahres die Rolle des Staats übernehmen: Statt ans Finanzamt zahlen die Jungunternehmer ihre Umsatzsteuer an die IW Junior, erklärt Maueröder. Hier reichen sie online ihre monatlichen Buchhaltungen ein, so die Idee. Etwa 100 solcher Schülerfirmen würden jährlich in Bayern gegründet und wieder aufgelöst, so Maueröder. Ab der neunten Jahrgangsstufe haben Schüler die Gelegenheit dazu. Der absolute Großteil nehme die Chance im P-Seminar am Gymnasium wahr, obwohl das Modell abgewandelt auch für Real- und Mittelschulen angelegt sei. Schmuckfabrikanten, professionalisierte Nachbarschaftshilfe, Upcycling aus Weinkisten und Online-Jobportale, das habe es alles schon mehrmals gegeben in den vergangenen Jahren. "Wenn sie Blut geleckt haben, passiert es auch, dass sie nach dem einen Jahr ausgründen und mit eigenständiger Rechtsform weitermachen. Einfach, weil sie auf dem Erreichten aufbauen wollen", erzählt Maueröder. Durchschnittlich eines dieser 100 Unternehmen kratze sogar an der festgelegten Obergrenze von 15 000 Euro Umsatz - Dimensionen weit jenseits des Spielgelds.

Aus Köln kamen auch die 90 frisch gedruckten Anteilsscheine mit der Post, im Wert von je zehn Euro. Als diese bereits fleißig verkauft worden waren, schlug der Anwalt bei der IW Junior plötzlich Alarm: Ein Schüler-Aktienfonds sei rechtlich gar nicht haltbar. Man bewege sich auf sehr dünnem Eis damit. Im Nachhinein seien inhaltliche Fragen aufgekommen, so Regina Maueröder. Obwohl der Startschuss bereits gefallen war, wollte man sich nun doch lieber rechtlich absichern und zog deshalb den Anwalt zur Prüfung des Schülerfonds heran. Das Institut hat die Zusammenarbeit mit den Schülern folglich nach vier Wochen noch rückwirkend aufgelöst.

Die Schüler hatten aber bereits soviel Zeit und Mühe investiert, dass man nach einer Alternativlösung suchte. Die ersten Eltern wollten schon Verantwortung übernehmen und ihre privaten Konten anbieten. Aber mit Hilfe von Wolfgang Tschuschner und der Raiffeisenbank konnte das Geschäftsmodell in leicht veränderter Form doch noch realisiert werden.

In einer Hauptversammlung wollen die Schüler ihren Plan und ihre Anlagestrategie vorstellen, um die Investoren darüber auf dem Laufenden zu halten, was mit deren Geld passiert. "Wir haben im Grunde zwei Möglichkeiten", sagt Moritz Arnold. "Entweder wir kaufen nur Standard-Aktien. Oder wir spielen auf Risiko und spekulieren." Letzteres erscheint dem 16-Jährigen dabei deutlich reizvoller. So soll die Strategie lauten, bei Kleinunternehmen und Start-Ups nach Potenzial zu suchen, um mit etwas Glück auf eine Goldmine zu stoßen. "Man hofft natürlich, dass davon eines durch die Decke geht", verrät er. Und im Falle einer Totalpleite fließt das wohl nicht negativ in Michael Hüfners Benotung des P-Seminars ein, so Arnold - sondern das Engagement sei oberstes Bewertungskriterium. "Wir geben uns hier alle sehr viel Mühe."

Falls es "Aktionom" beim Wettbewerb "Finanzielle Bildung" der Easy Credit-Bank auf die vorderen Plätze schafft, stellt Tschuschner eine Party in Aussicht. Alle zusammen würden sie dafür nach Nürnberg fahren: Lehrer, Azubis und die Vorstände - von der Bank und den Schüler.

© SZ vom 20.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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