Grafing:Wahrheit oder Lüge

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Der Psychotherapeut Florian Beutel rät Eltern, bei der Aufklärung über Nikolaus und Christkind auf ihr Bauchgefühl zu hören

Von Sandra Langmann, Grafing

Sie werden in Säckchen geliefert oder in Stiefel gesteckt: Nüsse, Mandarinen und Schokolade. Der Service, so lernen es die Kleinsten, kommt am 6. Dezember vom Heiligen Nikolaus. Die Kinder bestaunen ihn mit großen leuchtenden Augen und freuen sich über die Geschenke. Umso größer ist eines Tages die Enttäuschung, wenn auf die Frage, ob es den Nikolaus wirklich gibt, ein Nein folgt. Aber ist das gleich ein traumatisches Erlebnis oder gar das Ende der Kindheit? Das treibt viele Eltern um, wenn es darum geht, mit der Wahrheit rund um die Weihnachtsmythen herauszurücken. Wann aber ist der Zeitpunkt gekommen, Buben und Mädchen über Christkind, Nikolaus und Co. aufzuklären? Und vor allem: Wie bringt man es ihnen so schonend wie möglich bei? Schon allein bei dem Gedanken daran muss der Grafinger Kinder- und Jugendpsychotherapeut Florian Beutel schmunzeln, denn ein "Christkind-Aufklärungs-Trauma" sei ihm bislang nicht untergekommen. "Außerdem werden die Kosten nicht von der Krankenkasse übernommen", scherzt er.

Die Eltern sollten sich vielmehr fragen, warum sie ihren Kindern vom Nikolaus oder Christkind erzählen und sie somit bewusst "anlügen" - sei es, um den Weihnachtszauber entstehen zu lassen, aus religiösen oder geschichtlichen Gründen. Jeder solle selbst entscheiden, ob die Geschenke vom Nikolaus oder von einem selbst gebracht werden. Jedenfalls, beteuert Beutel, trage das Kind keinen Schaden davon, egal ob es daran glaube oder nicht.

Generell sei heutzutage von einer Erziehungsunsicherheit zu sprechen. "Die Eltern sind verunsichert und sie haben Angst, etwas falsch zu machen", so Beutel. Doch diese Sorge sei unbegründet und die Eltern würden sich völlig umsonst die Köpfe zerbrechen. So richtet Beutel seinen Appell an die Eltern, die Kirche im Dorf zu lassen. "Man muss nicht alles zu einem Problem hochstilisieren", und er könne sich nur schwer vorstellen, dass ein Kind je "falsch" aufgeklärt werden könnte.

Ist der echt oder alles nur eine aufgeblasene Geschichte? Irgendwann müssen Eltern bei der Frage nach Nikolaus und Christkind Farbe bekennen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Zu 99,9 Prozent höre das Kind sowieso auf dem Pausenhof von anderen Kindern, dass die Geschenke nicht von den Fantasiewesen kommen. Die "klassische Aufklärung", ein Vieraugengespräch zwischen Erziehungsberechtigtem und Nachwuchs, ergebe sich meist gar nicht. Oder die Kinder merkten selbst, von wem die Geschenke kommen und der Baum geschmückt wird. "Außerdem machen sie ihren Eltern oft Geschenke, die bringt doch auch nicht das Christkind", merkt Beutel an. Jedoch sollte man sich auch hier die Frage stellen, wie man als Familie damit umgeht, rät Beutel. So könne man Transparenz zeigen und das Ganze auch spielerisch darstellen - beispielsweise mit einem Augenzwinkern und einem ironischen "Ach, das bringt dir doch das Christkind".

Doch warum glauben Kinder eigentlich das Märchen vom Christkind? Irgendwann merken sie ja doch, dass etwas nicht stimmen kann. Das liegt laut dem Psychotherapeuten daran, dass sich die Kinder in einer sogenannten "magischen Denkphase" befinden. In dieser Phase glauben die Kinder auch an Monster, die sich unter dem Bett verstecken. Die Eltern nutzen diese Zeit und bringen sie in eine Weihnachtswelt, die mit der gesamten Familie gelebt werde. Für viele Erwachsene sei die Weihnachtszeit eine besinnliche Zeit - und so schaffen sie sich eine gut duftende, glitzernde Zauberwelt, um dem Alltag zu entfliehen. "Das nimmt die Ernsthaftigkeit", sagt Beutel, und sei zudem eine tolle Gelegenheit mit den Kindern zu leben und eine magische Welt zu schaffen. "Kinder sind ein wichtiger Bestandteil von Weihnachten", erklärt Beutel. Denn schon die strahlenden Augen, die Freude an Weihnachten und der Glaube an Nikolaus und Christkind gehören in unserer Gesellschaft einfach dazu.

Als Kinder- und Jugendpsychotherapeut führt Florian Beutel mit Annina Hentschel eine Praxisgemeinschaft in Grafing. (Foto: privat)

Kinder- und Jugendpsychotherapeut Florian Beutel rät den Eltern zum intuitiven Erziehungsverhalten. Man solle vielmehr auf sein Bauchgefühl hören und das tun, was man für richtig halte. Als Elternteil wisse man schließlich am besten, was das eigene Kind braucht. Erziehungsratgeber seien daher aus dem Bücherregal zu verbannen. "Die sind nur dafür zu verwenden, damit der Tisch nicht wackelt", ist Beutel überzeugt.

© SZ vom 06.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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