Grafing:Luthers Sündenfall

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Eine Ausstellung in der evangelischen Kirche Grafing beleuchtet eine Schattenseite des Reformators: seinen tief greifenden Antisemitismus

Von Anja Blum, Grafing

Die Reformation feiert Jubiläum, weswegen die Begeisterung für Martin Luther derzeit kaum Grenzen kennt. Lesungen, Konzerte, Ausstellungen, allenthalben wird dem großen Protestanten gehuldigt, auch im Landkreis. Doch Pfarrer Axel Kajnath ist überzeugt: "Es braucht auch einen Wermutstropfen in all der Süßigkeit. Man darf nicht nur jubeln." Das gehöre zu einem umfänglichen Gedenken dazu. Deswegen hat er nun eine Ausstellung in die evangelische Kirche nach Grafing geholt, die sich höchst kritisch mit dem Reformator auseinandersetzt, scharf eine Schattenseite seines Wirkens beleuchtet: "Luthers Sündenfall gegenüber den Juden".

Die Wanderausstellung der Hessisch-Nassauischen Kirche dokumentiert auf zwölf großen Plakaten Luthers schwieriges Verhältnis zu den Juden, das in seinem Ausspruch "Drum immer weg mit ihnen" gipfelte. Die Grafingerin Rotraud Acker habe die Schau andernorts gesehen, erzählt Kajnath, und ihn selbst dann darauf aufmerksam gemacht. Der Pfarrer war sofort begeistert. Handle es sich bei dem Thema doch beileibe nicht um eine bloße historische Replik, sondern um ein Problem großer Tragweite - bis heute. "Letztlich geht es hier um Toleranz."

Anschaulich stellen die Plakate dar, wie sich Luthers Einstellung zu den Juden im Laufe der Jahre veränderte: Der Wittenberger wandelte sich von einem wohlmeinenden, hoffnungsvollen Missionar zu einem der größten Antisemiten seiner Zeit, auf dessen Äußerungen später die Nationalsozialisten nur allzu gerne zurückgriffen. Wie Kajnath erklärt, liegt Luthers Verhältnis zum Judentum ein theologisches Problem zugrunde: Der Reformator erachtete, wie viele andere auch, das Alte Testament als mit dem Neuen für überholt und sozusagen erledigt, sah im Christentum die überlegene Weiterentwicklung des jüdischen Glaubens. In der Ausstellung wird diese Auffassung anhand zweier Statuen aus dem Straßburger Münster, entstanden um 1250, verdeutlicht: Ecclesia und Synagoge sind zwei allegorische weibliche Figuren, die das Christentum und das Judentum symbolisieren. Erstere trägt ihre Krone erhobenen Hauptes, die andere hält dieses gesenkt, eine Binde über den Augen nimmt ihr die Sicht, ihr Stab ist zerbrochen, ein Schriftstück droht ihrer Hand zu entgleiten.

"Das ist leider eine Einstellung, die lange sehr verbreitet war", sagt Kajnath, erst in den 1960er Jahren habe die Kirche damit angefangen, sich davon zu distanzieren. Von der "Judenmission" offiziell verabschiedet habe sich die evangelische Synode gar erst 2015. "Nun haben wir anerkannt, dass der Bund Gottes mit dem Volk Israel, geschlossen im Alten Testament, immer noch gilt. Gott kann schließlich nicht untreu werden", so Kajnath. Demzufolge gelte das Christentum als jüngere Schwester des Judentums. Auch Meilensteine dieser kirchengeschichtlichen Entwicklung zeigt die Ausstellung, der christliche Antisemitismus wird dabei als "unentschuldbarer theologischer Irrtum" gebrandmarkt.

Doch zurück zu Luther: Zunächst, im Jahre 1523, gestand er noch ein, dass Jesus "ein geborener Jude" sei, diesem Volk also ursprünglich näher stünde als den Christen. Und plädierte dafür, vom damals gängigen Antisemitismus Abstand zu nehmen, die Juden zu integrieren, sie im Sinne christlicher Nächstenliebe gut zu behandeln. Dies aber geschah nicht ohne Eigennutz: "Luther hoffte, dass die Juden, wenn man ihnen nur etwas entgegenkäme und sie vor allem mit dem Evangelium vertraut machte, sich zum Christentum bekehren lassen würden", erklärt der Grafinger Pfarrer. Doch sie hielten an ihren Traditionen fest und akzeptierten Jesus weiterhin nicht als ihren im Alten Testament angekündigten Erlöser.

Das wiederum enttäuschte und erboste Luther dermaßen, dass er begann, die Juden aufs Übelste anzuklagen und zu verleumden. 1543 verfasste er unter dem vielsagenden Titel "Von den Juden und ihren Lügen" eine regelrechte Hassschrift. "Diese Ablehnung war aber kein Altersstarrsinn, wie manche meinen, sondern tief in seiner Theologie verankert", betont Kajnath. Die Juden seien für Luther "der Inbegriff jener Werkgerechtigkeit" gewesen, die er aus ganzem Herzen ablehnte. Im Sinne des Reformators nämlich kann der Mensch seine Rechtfertigung nicht selbst durch gute Taten erlangen, sondern erhält sie allein durch Gottes Gnade. Sieben Ratschläge erteilte Luther, was mit diesem "verdammten Volk" zu tun sei: Man solle ihre Synagogen und Häuser anzünden und zerstören, ihnen die religiösen Schriften und Utensilien wegnehmen, den Rabbinern Lehrverbot erteilen, sowie alle Juden enteignen, zu Zwangsarbeit verpflichten und sie in Ghettos sperren. "Denn, wie gehört, Gottes Zorn ist groß über sie, dass sie durch sanfte Barmherzigkeit nur ärger und ärger, durch Schärfe aber wenig besser werden. Drum immer weg mit ihnen." Auch die sogenannte "Judensau", ein diffamierendes Relief an der Stadtkirche Wittenbergs, war nach Luthers Geschmack, wie die Ausstellung belegt. Es prangt dort heute noch, allerdings ergänzt um eine historische Einordnung.

Unter dem Schlagwort "Nachwirkungen" zeigt die Schau außerdem, wie sich die Nationalsozialisten Luthers Antisemitismus zu eigen machten, zum Beispiel mit riesigen Bannern, auf denen sein Ausspruch "Die Juden sind unser Unglück" prangte. "Es ist doch ein grausamer Wahnwitz der Geschichte, dass genau 400 Jahre später, an Luthers Geburtstag, tatsächlich die Synagogen brannten", sagt Kajnath. Es war Reichspogromnacht.

© SZ vom 11.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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