Grafing:Fest des Dialogs

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Bassist Rocky Knauer, Sängerin Nina Michelle und Trompeter Peter Tuscher verbreiten bei "Jazz im Turm" Nachtclub-Atmosphäre. (Foto: Christian Endt)

Jazzszene feiert die hundertste Jamsession in Grafing

Von Claus Regnault, Grafing

Es ist kaum zu glauben, dass bei der Grafinger Jazzinitiative nun schon die hundertste Jamsession stattfand - ein Jubiläum, welches im Turm an der Stadthalle mit einem wahrhaft festlichen Konzert begangen wurde. Wie üblich eröffnete ein "Opening Act" die Session, diesmal Nina Michelle samt Quartett.

Dieses Ensemble um die kanadische Jazzsängerin Michelle bestand aus den Münchener Szenegrößen Jan Eschke am Piano, Matthias Gmelin am Schlagzeug, Peter Tuscher, Trompete und Flügelhorn, und wurde ergänzt durch den international erfahrenen Augsburger Rocky Knauer am Bass (zehn Jahre lang Begleiter von Chet Baker). Was sie verbreiteten, war Nachtclub-Atmosphäre, vor allem geschaffen durch Michelles Erscheinung und Stimme.

Die Erscheinung: Groß, schlank, sehr blond und im leuchtend roten Kleid. Ihre Stimme: Leicht belegt, wie ein sanfter Nebel, der sich über die musikalische Landschaft legt, in welcher sie sich souverän, intonations- und rhythmussicher bewegt. Ihr Repertoire gestaltet sie aus Titeln des Evergreen-Songbooks wie "Someone to watch over me", "Just One of Those Things" oder "Girl Talk". Dabei erscheinen diese Songs eigenwillig neu - dank Michelles Stimmcharakter und ihrer Interpretation. Am Ende sang sie sogar eine Eigenkomposition, ein Stück von beachtlicher Balladenqualität.

Das Quartett begleitete die Sängerin hingebungsvoll, hatte auch Raum für die hohe Qualität der Soloimprovisationen des Pianisten Eschke und des Trompeters Tuscher. Alle vier Musiker nutzten nach der Pause außerdem ausgiebig die Gelegenheit zu improvisatorischer Entfaltung, angeregt durch den Hinzutritt einiger der zahlreichen Größen, die das Jubiläum zu einem Fest des Jazzdialogs machten. Die Zahl der auf einen Auftritt hoffenden Musiker war an diesem Abend enorm, nahezu gleich groß wie die der Zuhörer, nur noch ein wenig sachverständiger als letztere. Meist eingeleitet von den witzigen Ansagen Tuschers, entfaltete sich ein Reichtum an Talenten, der diesen Abend zu einer Sternstunde machte. Da gab es allein drei Pianisten von überzeugender Qualität: der melodisch improvisierende Wunderknabe Niklas Röver, der in extreme Ausdrucksbereiche vordringende Münchener Matthias Bublath und der schon im Quartett aufgefallene Jan Eschke, der Linie und Akkord, vergleichbar McCoy Tyner, unglaublich virtuos und abwechslungsreich beherrscht.

Aber der Höhepunkt war das Schluss-Ensemble, bestehend aus Tuscher, Eschke, Knauer, Stefan Zenker am Tenorsaxofon, Thomas Elwenspoek am Schlagzeug und vor allem Felix Sapotnik am Sopransaxofon, der trotz eines quälenden Gehörleidens die qualitative Führung übernahm. Sapotnik, der leider nur noch selten zu erlebende Ausnahmemusiker, berührt durch seine ganz eigene kühne Improvisationssprache, in der relativ häufig dem in höchster Tonhöhe gebrachten Ruf ein Absturz in die tiefste Region folgt, musikalischer Ausdruck in seiner kraftvollsten Form. Improvisationsglück war mit diesem Ensemble vor allem in den alten Bekannten "Body and Soul" und in Benny Golsons von Zenker intonierten "Blues March" zu erleben.

Aber auch Einzelerscheinungen gab es, so Hannah Engelke, die Thema und ersten Chorus bei Hendersons "Recordame" auf der Klarinette ansprechend präsentierte, und die schon bekannte Amateurjazzerin Tanja Franz, welche - ganz Gegenpol zu Michelle - den berührenden Song "Boulevard of Broken Dreams" aus voller Kehle und mit starkem Ausdruck hinlegte. Das Schöne an einer Jamsession ist ja gerade, dass jeder Musiker, der sich das zutraut, hier einsteigen kann!

© SZ vom 25.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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