Grafing:Differenziert für die Demokratie

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Mal froh, mal betroffen, mal schockiert äußerten sich die Jugendlichen zu den Wahlergebnissen und den Kommentaren der Politiker. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Im Grafinger Café "Chaxter" verfolgen Jugendliche den Wahlabend und diskutieren die Ergebnisse

Von Viktoria Spinrad, Grafing

Als Robert Habeck von den Grünen um Viertel nach sieben im Fernsehen verkündet, "wir müssen die AfD nun marginalisieren", da schauen einige der Jugendlichen doch etwas besorgt. Zuvor hatten alle auf der Wahlparty des Jugendforums im Chaxter in Grafing noch bei der vorläufigen Ausrechnung die Gesichter verzogen, "scheiße" geraunt, die Partei als "besorgniserregend" und "schlimm" bezeichnet - aber die Kampfansage Habecks sehen einige der jungen Leute vom Jugendforum dann doch kritisch.

"Sie wurden ja nun einmal gewählt", sagt Anna Rätscher. Die 17-jährige Vertreterin des Jugendforums, lange blonde Locken, blaues Jeanshemd, fände es undemokratisch, die AfD nun im Bundestag außen vorzulassen. "Wenn man die Partei jetzt marginalisiert, dann wird sie noch mehr Zuspruch bekommen", befürchtet sie. Lukas Hofmann, der selber die Grünen gewählt hat, kniet hinter dem Sofa, von dem aus drei Jugendliche die Live-Übertragung verfolgen. Der 18-jährige Erstwähler mit kurzen schwarzen Haaren und dunkelblauen Kapuzenpulli redet sich für einen Moment fast in Rage, beschreibt die schwierigen Fluchtrouten, gestikuliert mit den Händen. Aber auch er findet: "Wir sollten der AfD zuhören, Position für Position."

Vor dem Treff mit rund 20 Jugendlichen des Jugendforums, das vor einem Jahr aus dem Bündnis Grafing-Aßlinger Bündnis "Grass21" für mehr Demokratie und Toleranz hervorging, hatten die Jugendlichen schon Vorarbeit geleistet: An der Wand um den Billardtisch im Obergeschoss hingen selbst verfasste Plakate mit den Wahlprogrammen der Parteien. Gründung, Grundidee, Spitzenkandidaten, Ziele - den ein oder anderen dürfte das Projekt in der eigenen Wahl bestärkt haben.

Zum Beispiel die 18-jährige Celine Schmidtke. Als Parteichef Martin Schulz verkündet, dass er mit der SPD in die Opposition gehen will, sagt sie: "Jamaika wäre doch nicht das schlechteste". Auch Hofmann hofft jetzt, "dass die Grünen endlich wieder mitregieren können". Schmidtke hat die FDP gewählt und das dazugehörige Poster entworfen, informiert hatte sie sich auch mit dem Wahl-O-Mat. Auch der 16-jährige Philip Weidner fühlt sich den Liberalen zugeneigt. Obwohl er erst in zwei Jahren wählen darf, hat er sich nach dem Ausschlussprinzip schon eine Meinung gebildet: "Die Linke ist mir zu sehr auf Konfrontationskurs, die Grünen in mancherlei Hinsicht zu extrem, die CSU redet immer nur von Bayern", zählt er auf und kratzt sich am Kopf. Aber die FDP, die biete "einen ganz eigenen Mix aus Themen wie Umweltschutz und sozialer Gerechtigkeit".

Der Schüler sitzt auf dem Sofa vor der blauen Wand, im ARD-Studio sind Vertreter der Parteien zusammengekommen. Mit Blick auf Frauke Petry sagt auch Philip Weidner: "Ich habe den ganzen Wahlkampf lang gedacht, dass die AfD unfair behandelt wurde" - zum Beispiel würden Vertreter der Partei bei Diskussionsrunden im Fernsehen ständig unterbrochen. Er hält einen kleinen Plastikbecher mit seinem Namen in der Hand und betont: "Man sollte mit ihnen diskutieren und ihnen auch zuhören." Als AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland verkündet, dass man Frau Merkel jetzt "jagen" wolle, verziehen sich dann doch die Mienen. "Wie ein motziges Kind", sagt einer, auch die hohen Stimmverluste der CDU/CSU an die AfD lassen die Jugendlichen kurz aufjapsen.

Nicht so die FDP-Wählerin Celine Schmidtke. "Ich hatte es fast erwartet", sagt sie. Die Verantwortung für den AfD-Zulauf sieht sie vor allem bei der bisherigen Regierung: "Die anderen Parteien hätten knallhart die Probleme ansprechen und weniger beschönigen sollen", findet sie - und dass es jetzt einen klaren Wechsel gebraucht hätte. Auch Theresa Weyh hatte auf mehr linke Stimmen gehofft. "Bald kommt die Endlösung der Flüchtlingsfrage", spottet die 15-jährige Vertreterin des Jugendforums, als Horst Seehofer verkündet, dass man endlich die Flüchtlingsfrage in den Griff bekommen müsse. Am Ende sitzen sechs verbleibende Jugendliche wie vereinigt auf den beiden Sofas, und wüsste man es nicht besser, würde man nach den abendlichen politischen Analysen kaum vermuten: Morgen früh geht es wieder in die Schule.

© SZ vom 26.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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