Grafing:Die Natur als Schaubühne

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Heilpraktiker Bernd Hertling führt eine Praxis in Grafing, lehrt an der Josef-Angerer-Schule, leitet VHS-Kurse und bietet botanisch-heilkundliche Führungen im In- und Ausland an. (Foto: Christian Endt)

In seinem so informativen wie unterhaltsamen Buch "Wie aus dem Zankapfel die Einbeere wurde" befasst sich der Grafinger Autor Bernd Hertling mit Heilpflanzen in der griechischen Mythologie

Von Franca Wittenbrink, Grafing

Die olympischen Spiele, der Satz des Pythagoras, ja sogar die Demokratie: Es gibt so einiges, was wir aus dem antiken Griechenland übernommen haben. Aber die Sonnenblume? Pfingstrosen? Bärlauch oder Frauenmantel? Die Herkunft der Namen von Kräutern, Blumen und anderen Gewächsen ist ein Thema, das den Heilpraktiker und Dozenten für Phytotherapie Bernd Hertling seit vielen Jahren beschäftigt. Sein Wissen möchte der Grafinger nun auch anderen zugänglich machen: Mit "Wie aus dem Zankapfel die Einbeere wurde" hat Hertling ein Buch über Pflanzen geschrieben - und über das, was sich hinter ihnen verbirgt: eine große Heilkraft, das ist mittlerweile bekannt, aber auch alte Volksweisheiten und, wenn man so will, sogar ein Teil der Geschichte unserer abendländischen Kultur.

Anhand Dutzenden fiktiver Besuchsfahrten zu Göttern und Helden des klassischen Altertums zeigt Hertling auf, wie eng Heilpflanzen und ihre Namen mit der griechischen Mythologie verwoben sind. Die Einbeere zum Beispiel verdankt ihren lateinischen Namen "Paris Quadrifolia" dem Zankapfel der Göttin Eris. In der Sage streiten sich Hera, Athene und Aphrodite erbittert um den goldenen Apfel mit der Aufschrift "Die Schönste soll mich bekommen", den die Göttin der Zwietracht zuvor unter die Gäste einer Hochzeit geworfen hat. Es folgt das Urteil des Paris und schließlich der trojanische Krieg.

Die Nymphe Minthe beschreibt Hertling als Namensgeberin der Minze, den Schönling Narziss als Paten der gleichnamigen Frühlingsblumen. Wie aus den Gesundheitslatschen für Aphrodite der Frauenschuh wurde, gehört ebenso zu den Geschichten des Buches wie die Schilderung, warum der Bärlauch nach dem Bären benannt ist, welche Rolle der Bär in der Mythologie spielt und wieso Zeus das Sternbild Große Bärin in den Himmel setzte.

Zurückzuführen sind die zahlreichen Verbindungen zwischen dem Reich der Pflanzen und der griechischen Mythologie auf den Schweden Carl von Linné, der im 18. Jahrhundert das heute geläufige binominale System einführte: Jede Pflanzenart wurde von ihm mit nur zwei lateinischen Termini, einem für die Gattung und einem für die Art, eindeutig gekennzeichnet. Innerhalb weniger Jahrzehnte setzte sich Linnés System wegen seiner Klarheit in der Fachwelt durch, noch heute sind viele von ihm geprägte Namen in Gebrauch. "Linné hielt wohl wenig von sturem Auswendiglernen abstrakter Begrifflichkeiten", so Hertling. Der Naturforscher habe sich deshalb für "sprechende Namen" entschieden, quasi, um Eselsbrücken zu bauen. "Letzten Endes haben wir es also Linné zu verdanken, wenn wir heute etwas mit Pflanzennamen assoziieren und Geschichten aus ihnen ableiten können."

Für Bernd Hertling indes hat die Verbindung zwischen Pflanzen und Mythologie noch einen weiteren Hintergrund: Er studierte Altertumswissenschaften in München, bevor er sich der Naturheilkunde zuwandte. Während seiner Heilpraktiker-Ausbildung hatte er somit einen entscheidenden Vorteil: "Mir fiel auf, wie viele Bezeichnungen ich gar nicht auswendig lernen musste - ich brauchte sie nur aus dem Griechischen zu übersetzen." Und dann sei ihm in der Botanik auch noch "der Herr Linné" über den Weg gelaufen. "Kurze Zeit später stand ich im Wald vor einer Einbeere, und da fiel's mir wie Schuppen von den Augen: Der Fruchtknoten auf dem flachen Tellerchen der Kelchblätter - das sah tatsächlich so aus wie der Zankapfel auf der geöffneten Hand des Paris!"

Mit dem Geschichtenschreiben begann Hertling dann, als er selbst schon als Lehrender tätig war. "Ich unterrichtete abends an der Heilpraktikerschule", erzählt er, "da waren vor allem Leute, die den ganzen Tag gearbeitet hatten und bei den Kursen dann natürlich schon ziemlich erschöpft waren". Zur Auflockerung habe er angefangen, Geschichten zu erzählen: "Erst mal nur, damit mir keiner wegpennt."

Bald wurden Hertlings Erzählungen als einzelne Beiträge in einer Heilpraktiker-Zeitung veröffentlicht, 2006 schließlich entstand ein Buch daraus - untergebracht im Fachbuchsektor. "Das war damals die falsche Wahl", so Hertling. Fachliches Wissen stehe zwar im Mittelpunkt seiner Erzählungen, die Form sei nichtsdestotrotz ganz eindeutig narrativ. Schon Linné habe damals geschrieben, er sehe in der Natur "eine Schaubühne, ein Theater, und stelle sich Geschichten vor, die die neubenannten Geschöpfe uns erzählen wollen". Und so ist auch Hertlings Buch aufgebaut wie ein Theaterstück: Die dramatischen, humorvollen, aber auch informativen Geschichten sind aufgeteilt in zwölf Besuche bei Göttern und Helden, vorangestellt ist ein Prolog.

Über "Books on Demand" hat der Autor sein Buch nun noch ein Mal selbst publiziert, mit buntem Einband, weg vom Eindruck der Fachlektüre. Bernd Hertling erhofft sich dadurch, den Kreis seiner Leserschaft vergrößern zu können: "Das Buch ging bisher vor allem unter den Heilpraktikern rum, aber es ist sicher auch was für alle anderen." Der Schriftsteller Herbert Rosendorfer jedenfalls scheint bereits überzeugt von dem Werk: "Ich bin seit langem nicht mehr auf so originelle Art und Weise zugleich belehrt und unterhalten worden", schrieb er in einem persönlichen Brief an den Grafinger Autor.

"Wie aus dem Zankapfel die Einbeere wurde" ist im Buchhandel für 16,99 Euro oder als E-Book für 4,99 Euro erhältlich. Bernd Hertling live erleben kann man am Samstag, 4. November, von 11 bis 13 Uhr bei einer Veranstaltung in der Bücherstube Slawik in Grafing mit mehreren Autoren.

© SZ vom 02.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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