Grafing:Auf Begeisterung folgt Ernüchterung

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Grafings Hitlerjugend Anfang der 1940er Jahre: Viele Berichte finden sich zu dieser Zeit nicht mehr im Archiv. (Foto: Museum der Stadt Grafing)

Stadtachivar Bernhard Schäfer berichtet über Grafings Hitlerjugend

Von Thorsten Rienth, Grafing

Der Satz kommt von Napoleon, aber die Nazis, auch die in Grafing, verinnerlichten ihn früh. "Wer die Jugend hat, hat die Zukunft." Die örtliche Hitlerjugend (HJ) wurde gut eine Woche nach dem 24. März 1933 gegründet, dem Tag, an dem neun von zehn Reichstagsfraktionen dem Ermächtigungsgesetz zustimmten. Die KPD war - entweder auf der Flucht oder verhaftet - schon gar nicht mehr anwesend. Das Votum machte den Namenspatron der Jugendorganisation zum Diktator und entfaltete bei der Grafinger Hitlerjugend ordentlich Magnetwirkung.

"Davor war sie ein vergleichsweise kleines Grüppchen", berichtete Stadtarchivar Bernhard Schäfer beim Grafinger Archivstammtisch am Donnerstag. "Aber danach zog die Zahl sprunghaft an." Schon im Herbst des Jahres 1935, lange bevor der HJ-Beitritt verpflichtend wurde, teilte die Leitung der Volksschule mit: Hundert Prozent der Schüler gehörten nun der Hitlerjugend oder dem Jungvolk an. Daraufhin wurde ihr das Recht zum Hissen der HJ-Fahne zugesprochen. Der erste Teil der Antwort auf Schäfers Frage, ob die HJ denn auch in Grafing so erfolgreich war wie im Rest des Reichs, dürfte damit beantwortet sein: Ja. Dies untermauert auch die schiere Anzahl der Berichte, die Schäfer im Kastenwirt aus unterschiedlichen Stadtarchivquellen zitierte. Kaum ein Monat, für den er nicht einen HJ-Aufmarsch, Generalappell, -Kongress, -Wettkampf, eine -Schar, -Sammelaktion oder ein -Hochlandlager nennen konnte.

Das Auftreten der HJ war dabei schnell wandlungsfähig. Beschwerte sich der damalige Grafinger HJ-Führer Karl Riedelsheimer noch im August 1933 in der Grafinger Zeitung in fast weinerlichem Ton über jugendliche "Waschlappen" und mangelndes "nationalsozialistisches Gefühl", wusste er im November schon deutlich selbstbewusster aufzutreten: "Ich weiß wohl, dass man heute nirgends mit einer derartigen Bitte eine besondere Ehre aufhebt, ich weiß aber auch, dass mir dieselbe nicht ausgeschlagen wird", baute er in einem Gemeinderatsantrag Druck auf. Es ging um die Finanzierung von vier Trommeln, die Riedelsheimer kaufte "um der guten Sache mehr Reiz und Ansporn zu geben". Das Geld wurde bewilligt.

Doch wie so oft in der Geschichtsforschung fällt die Antwort auf Schäfers zentrale Frage nicht ganz so eindeutig aus, wie die ersten Quellen mutmaßen lassen. Es deutet nämlich einiges daraufhin, dass der anfängliche Enthusiasmus bald verpuffte. Jedenfalls sind zwei prominente Rückzüge aus der Organisation verbrieft: Im Mai 1936 legte Riedelsheimer sein Amt als HJ-Führer nieder. Einen Monat zuvor hatte Scharführer Georg Weilnböck die HJ verlassen.

Auch ein Blick auf die Menge an Grafinger Ereignissen mit HJ-Bezug und deren Ausführlichkeit bei der Dokumentation im Stadtarchiv lässt Schäfer zufolge auf ein im Kriegsverlauf nachlassendes Interesse an der HJ schließen. Sind aus den Jahren 1933 und 1934 noch jeweils Dutzende Einträge nachzulesen über allerlei Aktionen und Veranstaltungen, wird die Quellenlage nach Kriegsbeginn deutlich lichter. Der letzte Eintrag, die Aufnahme des 33/34er-Jahrgangs vom 19. April 1944, ist die letzte Quelle, die Schäfer in dem wahrlich nicht kleinen Grafinger Stadtarchiv finden konnte.

© SZ vom 01.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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