Glonn:Vom Schatten ans Licht

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Nach jahrelangem Stillstand im Keller des Rathauses beschließt die Gemeinde Glonn, die Betreuung ihres Archivs in professionelle Hände zu geben. Die Stellenbeschreibung lautet: entrümpeln, ordnen und historische Themen erarbeiten. Das freut nicht nur Kreisarchivar Bernhard Schäfer

Von Anja Blum, Glonn

Ist oder war Glonn jemals ein Luftkurort? Das habe kürzlich jemand wissen wollen, erzählt der Bürgermeister, doch eine Antwort darauf zu finden, sei sehr schwierig gewesen. Denn das Archiv der Marktgemeinde ist zwar chronologisch geordnet, eine Verschlagwortung allerdings fehlt - weswegen eine thematische Suche fast unmöglich oder zumindest mit sehr großem Aufwand verbunden ist. "Immerhin habe ich herausgefunden, dass wir 1954 als Erholungsort bezeichnet wurden", sagt Josef Oswald (CSU).

Das Archiv im Glonner Rathaus wurde sehr lange stiefmütterlich behandelt, doch damit soll nun Schluss sein. Der Gemeinderat hat jedenfalls beschlossen, einen Archivbetreuer einzustellen. Zwölf Stunden pro Woche soll dieser sich dem Aufbau einer vernünftigen Ablage widmen. Vergütet wird die Stelle nach dem Tarif für den öffentlichen Dienst, laut Oswald wird das die Gemeinde etwa 15 000 Euro im Jahr kosten. Auf eine kleine Annonce im Ortsnachrichtenblatt, dem Marktschreiber, haben sich bereits zwei Interessenten gemeldet, nun soll eine weitere Stellenausschreibung erscheinen, in der Hoffnung, noch mehr qualifizierte Bewerber zu erreichen. Was indes nicht heißen soll, dass Laien nicht angesprochen wären: Es gibt einschlägige Schulungen, die die Gemeinde vermitteln und bezahlen würde.

Dokumente wie diese Grenzbeschreibung der politischen Gemeinde finden sich im Glonner Archiv. (Foto: Christian Endt)

Die Entscheidung für einen hauptamtlichen Archivbetreuer fällte der Gemeinderat letztlich bei nur einer Gegenstimme - Fritz Gerneth (Grüne) zeigte sich nicht überzeugt von der Investition. Doch zuvor mussten der Bürgermeister und Jutta Gräf, SPD-Gemeinderätin und Kulturbeauftragte der Gemeinde, durchaus Überzeugungsarbeit leisten. Was aber nicht nur daran lag, dass so manchem im Saal die Wichtigkeit der Archivpflege vielleicht nicht so dringlich erschien. Sondern vor allem auch daran, dass der Umfang der Aufgabe nur schwer abzuschätzen ist. Wie viele Stunden pro Woche denn überhaupt sinnvoll seien, wie lange es dauern werde, bis der Bestand annähernd geordnet sei, wie die Nachbargemeinden das machten, und wie viel Glonn demzufolge in den Archivaufbau investieren müsse, wollten die Gemeinderäte wissen.

Doch klare Antworten darauf konnten weder Oswald noch Gräf geben. Der Bürgermeister unterband die Diskussion über eine mögliche Befristung der Stelle: "Das Archiv ist einfach eine Dauerbeschäftigung." Schließlich kämen ja ständig neue Unterlagen aus der Verwaltung hinzu. Außerdem stellte er klar, dass zwölf Wochenstunden in seinen Augen das Minimum für solch eine Aufgabe sind.

Lob erntet die Marktgemeinde für diesen Beschluss von Bernhard Schäfer, der unter anderem Kreisarchivpfleger ist. "Das ist für so eine kleine Gemeinde schon ganz ordentlich", sagt er über den Umfang der neuen Stelle. Er selbst zum Beispiel sei für das Archiv der Stadt Grafing auch nur halbtags beschäftigt, die andere Hälfte seiner Zeit widme er sich dem Heimatmuseum. Außerdem kennt der Historiker aus dem Landkreis viele problematische Zustände: "Offiziell haben alle 21 Gemeinden einen Archivbetreuer, aber die Realität schaut oft ganz anders aus", berichtet Schäfer, Fachpersonal jedenfalls finde man höchst selten.

Darüber freut sich auch die Kulturbeauftragte Jutta Gräf. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Gerade in kleineren Kommunen gebe es häufig wenig befriedigende Lösungen. Oft sei es so, dass zum Beispiel ein Mitarbeiter der Verwaltung das Archiv zusätzlich zu seinen Hauptaufgaben mit übernehme - ihm dafür aber eigentlich die Zeit fehle. "Papier ist eben geduldiger als die Menschen, die im Rathaus stehen", sagt der Historiker. Vielerorts hätten aber auch Ehrenamtliche die Archivpflege übernommen - was Schäfer ebenfalls für "nicht ungefährlich" hält, selbst wenn es um die Identifikation mit der Ortsgeschichte in diesem Fall meist besser bestellt sei. "Erstens sind das oft Rentner, die der Sache möglicherweise nicht allzu lange dienen können, außerdem sollte eine gewisse finanzielle Entschädigung schon Voraussetzung für so eine Verantwortung sein." Schließlich handle es sich bei der Archivpflege nicht um "irgendeine Spaßveranstaltung", sondern um eine Pflichtaufgabe der Kommunen. Bei deren Ausgestaltung lasse die bayerische Gemeindeordnung zwar leider einigen Spielraum - doch grundsätzlich sei die geordnete Ablage Vorschrift, stellt Schäfer klar.

Für ihn und viele andere historisch interessierte Menschen sind die kommunalen Archive ohnehin wahre Schatzkammern, selbst wenn sie hauptsächlich Verwaltungsakten beherbergen. Man könne aus allem etwas Interessantes schöpfen, davon ist Schäfer überzeugt, und gerade so ein "Gedächtnis der Gemeinde" sei immens wichtig, um die Entwicklung eines Ortes im Laufe der Jahrzehnte nachvollziehen zu können. "Darin sind so viele wichtige Themen verborgen, so viele Entscheidungen, mit denen einmal Weichen gestellt wurden", sagt Schäfer. "Man muss die Vergangenheit verstehen, um die Zukunft planen zu können", sagt Jutta Gräf, die als Chefin des Glonner Kulturvereins auch für das Heimatmuseum in der Klosterschule zuständig ist.

Bislang war es im Keller des Rathauses untergebracht, nun steht ein Raum unter dem Dach zur Verfügung. (Foto: Christian Endt)

Insofern läge es sehr nahe, Gräf die Verantwortung für das Glonner Archiv zu übertragen, und das war 2014 auch der Plan, als unter dem Dach des Rathauses, im zweiten Stock, ein neuer Raum für die Lagerung der Dokumente eingerichtet wurde. Zuvor nämlich hatten die Unterlagen allesamt ein Schattendasein im Keller gefristet. Doch dann kamen plötzlich viele Asylbewerber nach Glonn - und Gräf wurde zu deren Ansprechpartnerin im Rathaus. "Seitdem ist mein Schreibtisch nur noch voll", sagt sie, so viel Organisatorisches sei mit der Integration verbunden. Das Archiv allerdings blieb daher drei weitere Jahre herrenlos.

Zwar wurde der neue Raum bereits mit Regalen und Schränken eingerichtet, auch ist ein Teil des Bestands nach oben gewandert - doch im Keller lagern immer noch meterweise ungesichtete Dokumente in Kisten und Ordnern. Diese Unterlagen sind nun alle zu prüfen: Was gehört in den Schredder - was in eine Mappe mit Signatur? Dabei sind einerseits gesetzliche Aufbewahrungsfristen zu beachten, andererseits aber auch historische Gesichtspunkte. "Wobei das eine auch Hinweise auf das andere geben kann", erklärt Schäfer: Akten, die verwaltungstechnisch bereits nach wenigen Jahren vernichtet werden könnten, seien meist auch für Chronisten nicht von allzu großem Belang.

Doch nicht nur das Entrümpeln gehört zu den Aufgaben eines Archivbetreuers, darüber hinaus muss er ein System entwickeln, anhand dessen thematische Suchen möglich werden. Es brauche eine Verschlagwortung über ein PC-Programm, Aktenpläne und so genannte Findbücher, erklärt Schäfer - der für die Aufarbeitung der Unterlagen in Glonn etwa fünf Jahre veranschlagt. Doch danach, da fange die Arbeit ja eigentlich erst an, richtig spannend zu werden, so Schäfer. "Nach der Ordnung kommt die Kür": nämlich aus interessanten Dokumenten historische Themen und Thesen zu entwickeln und diese, zum Beispiel in Vorträgen, den Bürgern zu vermitteln. "Nur so kann man Bewusstsein und Akzeptanz für das Archiv in der Bevölkerung schaffen. Dann wird es wirklich ein lebender, wachsender Organismus." Insofern sei die Glonner Entscheidung für einen hauptamtlichen Archivar "sehr erfreulich", sagt Schäfer.

So sieht das freilich auch Gräf, die zudem für das Glonner Heimatmuseum auf Impulse hofft und den neuen Betreuer gerne unterstützen wird. "Gerade Vergleiche von Früher und Heute sind immer interessant, auch für die vielen Neubürger", sagt sie. Außerdem weiß die Kulturvereins-Chefin, dass auch Ortschronist Hans Obermair die Zukunft des kommunalen Archivs sehr am Herzen liegt. "Er fragt immer wieder mal nach ..." Schließlich könne der 77-Jährige sich nur dann guten Gewissens irgendwann zur Ruhe setzen, wenn er Glonns Geschichte in guten Händen wisse.

© SZ vom 11.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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