Glonn:Das Leid der Apparatschiks

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Digitale Bedrohung: Bildhauer Bernd Schmidt-Pfeil neben seiner Christusfigur aus Aluminium im Hof der evangelischen Kirche in Glonn. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Christusfigur von Bernd Schmidt-Pfeil in Glonn ist Sinnbild der neuzeitlichen Passion

Von Rita Baedeker, Glonn

Mit einem schäbigen Mantel, der aus der Kleiderkammer einer Kaserne stammen könnte, ausgelatschten Turnschuhen und einer Dornenkrone aus Kabeln hat der gekreuzigte Jesus des Künstlers Bernd Schmidt-Pfeil auf den ersten Blick kaum etwas mit der Figur des ans Kreuz geschlagenen Christus zu tun. Die Attribute dieses in seiner verlotterten Anmut berührenden Heilands der Clochards gehören nicht zum ikonografischen Kanon, sondern sind Sinnbilder des 20. und 21. Jahrhunderts.

Dieser Christus ist gekleidet wie ein normaler Bürger, abgetragen wirken die Jeans, Mühsal und Leid spiegeln sich im Antlitz des Gekreuzigten, das sich Schmidt-Pfeil von dem 2013 verstorbenen Schauspieler Thomas Holtzmann "geborgt" hat. "Holtzmann hat mir gestattet, sein Gesicht abzuformen und für diese Skulptur zu verwenden", berichtet der Künstler, der auch in den Münchner Kammerspielen schon ausgestellt hat. Bernd Schmidt-Pfeil lebt in Haar und hat auf dem Reitsberger Hof in Vaterstetten sein Atelier. Zur Kirche in Glonn transportiert wurden die lebensgroßen Figuren auf einem von Georg Reitsberger zur Verfügung gestellten Traktor.

Der Christus und zwei weitere Figuren - die "Kunstbetrachterin" und die "Sternenfrau" - sind von Sonntag an vor und in der evangelischen Christuskirche in Glonn zu sehen. "Christus und das Leiden der digitalen Welt", heißt die Ausstellung, die bis 24. April dauert. "Die Figuren stellen in beeindruckender Weise die Abhängigkeit des Menschen von den Medien und die oft damit verbundenen Leiden dar", sagt Pfarrerin Ghita Lenz-Lemberg.

Der Künstler hat für seine Figuren ein besonderes und patentiertes Gussverfahren entwickelt. Die Hohlfigur wird komplett bekleidet drei Wochen lang bei 600 Grad zum Brennen gegeben. Dabei, so der Künstler, verbrenne die Kleidung, Hose, Hemd, Socken, Schuhe. Wo vorher der Stoff war, fließt das Aluminium hinein und nimmt die Struktur des Textils an. Schmidt-Pfeil bezeichnet die Figur als Werk des "visionären Realismus". Und liefert auch die Erklärung dazu. "Die Digitalisierung von allem", sagt er, "zwingt die Verschmelzung von technologischer und menschlicher Natur in eine Richtung - in die Welt der Apparatschiks." Wir seien alle Apparatschiks und fühlten uns auf falsche Weise wohl in unserer Haut. In der Rolle als Cyborgs, als Maschinenmenschen, seien wir zu nichts zu gebrauchen, aber zu allem fähig, sagt Schmidt-Pfeil. Der Mann am Kreuz, ohne Privilegien, lädiert und von den Verhältnissen mitgenommen, fordert zum Nachdenken und zum Mitleiden heraus. Seine Dornenkrone, ein Durcheinander von Kabeln, wie man es aus medizinischen Versuchsanordnungen etwa zur Messung von Gehirnströmen kennt, versinnbildlicht die Ambivalenz zwischen dem vertrauten Bild des Haupts voll Blut und Wunden und einer kalten Technikabhängigkeit.

Der Schmerzensmann hat ein kontrastreiches Gegenüber in Gestalt der "Kunstbetrachterin". Sie hat die Haare hochgesteckt, trägt ein Chanelkostüm, das dem Künstler von der Modefirma gestiftet wurde, einen elegant geknoteten Schal und Pumps. Alles in allem eine Dame der Gesellschaft. Leid scheint sie nicht zu kennen. "Die Handtasche fehlt noch", sagt der Künstler. "Die wird noch geliefert und ist nicht aus Metall, sondern echt."

Als Dritte im Bunde zieht die "Sternenfrau" im mit goldenen Sternen und Spitzenvolants besetzten Kleid in die Kirche ein. Ihr Name bezieht sich auf die "Mondsichelmadonna" in der Offenbarung des Johannes, an deren Ende die Neuerschaffung der Welt steht. "Die Kunstwerke sollen uns anregen, die Passionszeit und das Leiden Christi noch einmal ganz anders zu sehen", sagt Lenz-Lemberg.

Vernissage der Ausstellung "Christus und das Leiden der digitalen Welt" mit Skulpturen von Bernd Schmidt-Pfeil ist am Sonntag, 6. März, beim Gottesdienst um 10 Uhr in der evangelischen Christuskirche in Glonn. Bei der Geistlichen Abendmusik am Freitag, 18. März, um 20 Uhr liest Pfarrerin Ghita Lenz-Lemberg Texte von Dorothee Sölle und Anselm Grün. Thomas Pfeiffer spielt an der Orgel Werke von Hermann Schroeder, Alexander Ecklebe, Nadia Boulanger und Cécile Chaminade.

© SZ vom 05.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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