Forstinning:Ohne Schere im Kopf

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Wer sagt, wo's langgeht? Christophe Rude mit seiner Tochter Marlen. An diesem Donnerstag moderiert er das erste "Philosophische Café" in Forstinning. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Christophe Rude initiiert in der Forstinninger Zeitschmiede ein "Philosophisches Café"

Von Anja Blum, Forstinning

Was ist Zeit? Das, wovon wir alle immer viel zu wenig haben? Eine physikalische Größe, die der Wahrnehmung jedoch oft zuwiderläuft? Ein Konstrukt, das den Alltag synchronisiert? Sich mit Fragen wie diesen auseinanderzusetzen, ist Christophe Rudes Leidenschaft. Der Forstinninger hat die "Akademie Kinder philosophieren" mit aufgebaut, mittlerweile leitet er sie. Herzstück der Münchner Institution ist es, Pädagogen in einer besonderen Gesprächsführung zu schulen, sie anzuleiten, mit Kindern zu philosophieren.

Doch für Rude geht es dabei nicht nur um die Kleinen: Auch mit Jugendlichen und Erwachsenen lasse sich vortrefflich in diese Welt eintauchen - mit vielerlei positiven Folgen. "Philosophieren ist kein Allheilmittel, aber ein schöner Ansatz, bei dem man Mensch sein kann", sagt er in sanftem Ton, abends am Küchentisch seiner Familie sitzend. Neue Erkenntnisse in Bezug auf sich selbst und einen veränderten, besserer Umgang mit anderen - das alles gebe es dabei zu gewinnen.

Und weil Rude davon sehr überzeugt ist, möchte er die philosophische Gesprächskultur auch in seiner Heimat Forstinning etablieren: An diesem Donnerstag, 20. Juli, startet eine neue Reihe "Das philosophische Café", die der 39-Jährige moderiert. Passend zum Namen des Veranstaltungsortes, der Zeitschmiede, geht es an diesem ersten Abend um das Thema Zeit. "Vorkenntnisse sind nicht notwendig, nur Neugierde, Offenheit und Freude am Meinungsaustausch."

Doch wie funktioniert so ein philosophisches Gespräch überhaupt? "Es ist schon allein das Setting, das mich fasziniert", sagt Rude: Bis zu 15 Menschen sitzen in einem Kreis, der Moderator hält einen kleinen Ball in Händen, "den Wuschel". Er wird hin und her geworfen und zeigt so an, wer gerade das Wort hat. Am Anfang stehe immer eine philosophische Frage, erklärt Rude. Was ist Gerechtigkeit? Worin besteht das Glück? Wozu ist Streit gut? Was bedeutet Freundschaft? "Wichtig ist, dass es hier nicht um Argumente geht, mit denen man andere überzeugen will, sondern um ein Thema, zu dem es naturgemäß verschiedene Ansichten gibt - und geben darf."

Nach einer kleinen Einführung beginnen die Teilnehmer, ihre Gedanken zu äußern - bestenfalls "ohne Schere im Kopf", wie Rude es ausdrückt. Der Moderator fragt nach, ermuntert tiefer zu gehen, Argumente oder Beispiele zu suchen, achtet auf einen ausgewogenen Austausch. Keinesfalls sollte er: Antworten geben oder Aussagen bewerten. "Man muss Geduld haben und zuhören können. Schließlich sollen die Menschen angeregt werden, selbst zu denken, eigene Antworten zu suchen", so Rude. Ziel sei ein Gespräch auf Augenhöhe, gerade auch zwischen Lehrern und Schülern - und das funktioniere in den allermeisten Fällen sehr gut. "Jedesmal, wenn ich das wieder erleben darf, weiß ich, warum ich bei der Akademie arbeite."

Doch wozu das alles? Kinder sollen so lernen, die Welt mehr auf eigene Faust zu entdecken. Pädagogen zu aufmerksamen Begleitern werden. Mitarbeiter sich gegenseitig besser kennenlernen. Und Jugendliche? Für Gymnasiasten und Realschüler hat die Akademie Workshops zur "Lebensorientierung" entwickelt, von denen Rude, der sich bereits als 16-jähriger Tischtennisspieler in Forstinning für Jüngere engagiert hat, besonders begeistert ist. "Es ist so schön zu sehen, wie es in den Köpfen klick, klick, klick macht."

Für die Teilnehmer gehe es darum, zu erkennen, welche Entscheidungen konkret vor ihnen lägen. "Was ist mir wichtig? Karriere? Familie? Wo will ich hin?" Gerade weil alle Türen offen stünden und der Erwartungsdruck hoch sei, fühlten sich viele überfordert. "Die kommen aus der Schule wie aus einem Tunnel und wissen überhaupt nicht, wie's weitergeht." Was fehle, sei vor allem die Gelegenheit, in Ruhe eigene Gedanken zu formulieren. "Sie haben ja meist nur gelernt, Wissen zu reproduzieren." Wie schwierig es sein kann, den passenden Weg zu finden, weiß Rude aus eigener Erfahrung: Auch er hat es mit Politikwissenschaften, Philosophiestudium, Journalismus und Marketing probiert, bevor er beim Team der Akademie landete. Zu Hause mit seiner Frau, die Grundschullehrerin ist, und der fast vierjährigen Tochter philosophiert der Forstinninger indes nicht. "Ich glaube, das wäre zu viel", sagt er und lächelt. Zuhören und nachfragen aber, das tue er schon gerne. Als das Baby zu weinen beginnt, geht er nach oben.

"Das philosophische Café" in der Zeitschmiede Forstinning, Mühldorfer Straße 10, am Donnerstag, 20. Juli, um 19.30 Uhr. Anmeldung per Mail an info@cafe-zeitschmiede.de erwünscht, aber nicht notwendig.

© SZ vom 20.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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