Forstinning:Forscher und Erfinder

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Indem er die Naturgewalt fließender Massen auf Leinwand bannt, lässt Martin Weiand im Kopf des Betrachters neue Wirklichkeiten entstehen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Der Fotograf Martin Weiand stellt Wasserbilder in der Forstinninger Galerie im Tiermuseum aus

Von Peter Kees, Forstinning

Zwei gegensätzliche Thesen prägen den Blick auf die Fotografie der Gegenwart. Entweder wird sie für tot erklärt - oder als aktueller denn je. Schwer zu entscheiden, welche der beiden Sichtweisen der heutigen Bilderflut besser entspricht. Die Ausstellung von Martin Weiand in der Forstinninger Galerie im Tiermuseum indes beweist: Die Fotografie ist mitnichten tot, es gilt lediglich, sie mit dem richtigen Blick zu betreiben. "Fießkräfte" lautet der Titel der Schau, denn Weiand beschäftigt sich fotografisch seit Jahren mit dem Urelement Wasser, kurz H²O. Aber so schlicht wie diese Formel sind die Fotografien des Rosenheimers freilich nicht, vielmehr zeigen sie: Wasser hat Struktur, Kraft und entfesselt mitunter gewaltige Energie. Dieses Element hat den Menschen schon immer fasziniert, man denke nur an höfische Wasserspiele.

Neben großen und kleineren Bildern stellt Weiand Postkarten aus: bemerkenswerte 20 000 Stück ließ der Künstler einst drucken, darauf abgebildet sind "Normaltropfen", Momentaufnahmen von fallenden kleinen Wassermengen, im Bruchteil einer Sekunde festgehalten. Der Normaltropfen, so erklärt Weiand, betrage laut dem Arzneibuch 0,05 Milliliter Wasser. 20 000 Normaltropfen - und damit die Postkarten - ergeben also einen Liter.

Ein hübsches Spiel, das der Künstler da betreibt: Weiand nimmt ein Schälchen mit Wasser zur Hand, schüttet es aus und drückt im rechten Moment auf den Auslöser der Kamera. So hält er das der Schwerkraft folgende Nass in kürzesten Zeiteinheiten fest, es entstehen höchst ästhetische Gebilde. Weiand spricht von Wasserskulpturen, die nur für Sekunden existieren. Der fotografische Vorgang ist hier die Dokumentation eines Augenblicks, den man mit bloßem Auge nicht erhaschen könnte. Die Aufnahmen präsentiert der Fotograf im Kleinformat.

Größere Bilder, die ebensolche Momente festhalten, sind gleich im Eingangsbereich zu sehen, im Sepiaton gehalten. Doch dort ist es nicht des Künstlers Hand, die agiert, sondern die Natur selbst: Weiand hat technisch ausgefeilt bewegte Wassermassen gestochen scharf fixiert. Jeder Tropfen eines rauschenden Gewässers wird so sichtbar, die Bewegung des Stroms angehalten, scheinbar aufgelöst. Auch das könnte man so mit bloßem Auge nicht erkennen: Aus Unmengen an Wasser entstehen feine, filigrane Formen, das flüchtige Element wird zerlegt in Struktur. Das ist Dokumentarfotografie, die starke Bilder erzeugt, die von der Macht des Wassers und seiner Gewalt erzählen.

Und noch eine Serie ist in dieser Ausstellung zu sehen, eine Auseinandersetzung mit Malerei: Weiand hat fließende Wasseroberflächen mit einem Makroobjektiv abgelichtet, extreme Ausschnitte gewählt, und zugleich - im Gegensatz zu seinen Skulpturen - die Unschärfe dabei als Prinzip eingeführt. Sanfte Formen entstehen, Landschaften, malerische Bilder, die fast impressionistisch wirken. Ausdrucksstark sind diese Fotografien allemal, sinnlich, als ob der Macher einer inneren Suche folgt, persönlich wie emotional.

Weiand selbst bezeichnet sich als Wasserforscher. Ihn interessieren die Kräfte des Elements, seine Oberflächenspannung, die Schwerkraft, der es folgt, die Gewalt der fließenden Masse. Einerseits ist Weiand Skulpteuer, dann wieder Maler - oder doch nur Fotograf? Ach, und dann zeigt er noch ein Video eines Wellenspiels, das durch Bewegung und Lichtreflexionen ständig neue Formen und Strukturen annimmt. Wie in seinen fotografischen Arbeiten wird hier die Frage nach der Wahrheit in der Fotografie thematisiert: Wenn man das Video länger betrachtet, entstehen tatsächlich neue Wirklichkeiten im Kopf. Der Maler darf erfinden, warum also nicht auch der Fotograf? Der Galeristin Renate Block ist mit dieser fünften Ausstellung in ihrer erst vor einem Jahr eröffneten Galerie ein guter Wurf gelungen.

"Fließkräfte": Ausstellung vom Martin Weiand in der Galerie im Tiermuseum, Forstinning, zu sehen bis zum 16. November jeweils Freitag von 15 bis 18 Uhr sowie samstags von 10 bis 14 Uhr.

© SZ vom 27.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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