Ebersberg:Zauber der Tonsprachen

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Heidi Schmid an der Violine und Tatiana Chernichka am Klavier spielen in der Ebersberger Heilig-Geist-Kirche ein berührendes Sommerkonzert. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Heidi Schmid und Tatiana Chernichka spielen in Ebersberg kontrastreiche Werke von Barock bis Romantik und Neuzeit

Von Alexandra Leuthner, Ebersberg

Sage noch mal einer, es seien vor allem die Südeuropäer, die sich in ihrem Temperament und ihrer Sprache - in diesem Fall ihrer Musiksprache - von jenen unterscheiden, die der wohltemperierten Welt Mitteleuropas entstammen. Wer am Sonntagabend in der Ebersberger Heilig-Geist-Kirche den beiden jungen Musikerinnen Heidi Schmid an der Violine und Tatiana Chernichka am Klavier von Anfang bis Ende zugehört hat, der bekam nicht nur die ganze Diversität verschiedener Epochen, sondern auch unterschiedlicher Welt-Regionen serviert.

Weit gespannt jedenfalls war der Charakter der Tonsprachen vom Barockmusiker Bach des frühen 18. Jahrhunderts, geboren in der Lutherstadt Eisenach, der die längste Phase seines Lebens als Thomaskantor im protestantisch geprägten Leipzig verbrachte, über das österreichische Wunderkind, den lebenslustigen Wolfgang Amadeus Mozart, der der Wiener Klassik am ausgehenden 18. Jahrhundert zu Weltruhm verhalf. Bis hin schließlich zu Jean Sibelius, dem finnischen und damit nordeuropäischen Komponisten der Spätromantik, der mit seiner zugleich dissonanten wie konzertant-melodischen Tonsprache einen so ganz ungemäßigten, aufwühlenden Charakter zeigte.

Schmid und Chernichka starteten mit dem Violinkonzert in E-Dur von Johann Sebastian Bach, einem typischen Werk des damaligen Hofkapellmeisters. Ein streng gegliedertes und harmonisches Stück mit klar erkennbarer Dreiklangsmelodik, bei dem in den dichten, schnellen und schwierigen Laufpartien der Mittelstimmen des ersten Satzes (Allegro) Schmid noch die volle technische Brillanz vermissen ließ, was aber der erste und auch letzte Kritikpunkt an der Darbietung der beiden jungen Künstlerinnen sein muss, die seit sieben Jahren zusammen auf der Bühne stehen. Heidi Schmid wirkte selbst nicht ganz zufrieden, wobei sie die markanten Solostellen ihres Instruments im anschließenden Adagio wunderbar zur Geltung brachte.

Auf die Violinsonate Mozarts, die einzige von sechs die der junge Musiker in Moll schrieb, hatte sich das Duo offensichtlich sehr gefreut. Mozart hatte das Stück in Paris geschrieben. Dass er darin den frischen Verlust seiner Mutter betrauerte, die ihn auf seiner Reise durch die europäischen Städte begleitet hatte, ist schon im ersten, kraftvolleren Allegro-Satz zu spüren. Dem Klavier räumt Mozart weit mehr Gestaltungsfreiheit ein als es Bach zuvor getan hatte, und Tatiana Chernichka nahm die Einladung dankbar an. Im Allegretto der "Die Träne" genannten e-moll-Sonate dann, lässt Mozart seiner ganzen Trauer freien Lauf, kleidet sie in ein Frage-Antwort-Spiel zwischen Violine und Piano, das, bei aller Melancholie, der Freude am spielerischen Musizieren auch in der Molltonart Raum lässt. Vielleicht mag man sich einen Spaziergang über einen baumbestandenen Friedhof an einem späten Sommernachmittag vorstellen: Immer wieder blitzt das Sonnenlicht durch dichtes Blattwerk über die Gräber.

Ganz geerdet kommt dann Bachs Violinsonate G-Dur daher. Chernichka wählt für die eigentlich für Cembalo geschriebene Partie statt dem Klavier die Orgel, was dem Adagio-Satz eine angenehme Erdung verleiht, während die Orgelpfeifen im Vivace die Lebhaftigkeit der Violine mit überraschender Frische befeuern, um schließlich in angemessener Schwere das Largo zu untermalen.

Und dann der Kontrast: Wenn Zauber das Wort ist, das mit der Romantik am ehesten in Verbindung gebracht wird, dann entwirft der 1865 geborene Komponist Sibelius mit seinen drei Humoresques op. 89 Nr. 4 bis 6 eine ganze Zauberwelt. Aber keine flirrende, süßliche, sentimentale, wie man sie sicherlich bei Chopin finden mag, sondern eine wilde, brutale, in der Kobolde tanzen und Disharmonien in Nebelschwaden groteske Gestalt annehmen. Gestalten, die entfernt an Debussys Faune erinnern mögen, aber doch eine weitaus kantigere Silhouette zeigen. Sibelius Tonsprache erzählt von den Landschaften seiner Heimat, integriert dann und wann slawische Chromatik, aber auch tänzerisch-folkloristische - und durchaus mitteleuropäische - Elemente. Eine ganz andere Art musikalischen Humors, der Schmid und Chernichka so lustvoll huldigten, dass sie mit lang anhaltendem Applaus belohnt wurden - für den sie sich wiederum mit zwei Zugaben bedankten. Fritz Kreislers Liebesleid, gespielt mit allem Schmelz, den der Wiener Geiger und Komponist in seine Kaffeehausmusik zu legen vermochte, und einem Ave Maria für Orgel und Violine. Geschrieben wurde es ursprünglich von Sergej Tosin, einem zeitgenössischen sibirischen Komponisten für Tatiana Chernichkas Vater und sein Akkordeon - und seine Darbietung für ihre musikalische Partnerin am Klavier "eine Herzensangelegenheit", wie Geigerin Schmid dem begeisterten Publikum erklärte. Mit Halbtönen gespickt und fremdartig trotz des Dreivierteltaktes meinte man dann aber doch entfernt Anklänge an Schuberts bekanntes Ave Maria zu erahnen, ein bisschen auch an die berühmte Air aus der dritten D-Dur-Orchestersuite von Bach - womit sich der Kreis der musikalischen Reise schloss.

© SZ vom 19.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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