Ebersberg:Wie man die Welt erzählt

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Wie schön die Grille auf ihrer kleinen Geige spielt: Puppenspielerin Annika Pristl führt ihre Figuren liebevoll und lebensecht. (Foto: Hinz-Rosin)

Mit dem hinreißend gespielten Figurentheaterstück "Das Lied der Grille" wird das Oberbayerische Kindertheaterfestival eröffnet

Von Rita Baedeker, Ebersberg

Ein eigenwilliges Ding, dieses alte Klavier. Versucht man, den Deckel hochzuklappen, macht es verbissen dicht wie eine Auster und wirbelt die Notenblätter durch die Luft. Will man seine Ruhe haben, dröhnen die Tasten, was das Zeug hält; wünscht man sich hingegen ein wenig Musik, bleibt es stumm wie ein Fisch. Wie ein trotziges Kind verhält es sich, dieses Klavier. Doch Puppenspielerin Annika Pilstl kennt sein Geheimnis: "Das Klavier ist unglücklich, es möchte, dass man ihm zuhört". Denn es hat eine Menge zu erzählen, schließlich hat es schon hundert Jahre auf dem Kasten und steckt nicht nur voller Musik, sondern auch voller Geschichten, und es hat ein erstaunliches Innenleben.

Eine der Geschichten handelt vom Sommer, von blühenden Blumen, von Ameise, Eichhörnchen, Hamster und Grille und von zwei verschiedenen Lebensphilosophien: Mit dem Puppentheaterstück "Das Lied der Grille - Fiedeln oder Vorsorgen" vom Theater "Die Exen" wurde vergangenen Freitag im Alten Kino in Ebersberg das oberbayerische Kindertheaterfestival Lampenfieber eröffnet, das bis 13. März dauert. Regie führt Kristine Stahl, die hinreißenden Puppen hat Udo Schneeweiß gebaut, die Musik Andres Böhmer arrangiert. Heike Pilstl, Enrico Sobetzko und Andreas Pilstl sind für die magischen Tricks verantwortlich. Die Idee zu dem Stück hatte Puppenspielerin Annika Pilstl. Für sie ist das Klavier mehr als ein renitentes Instrument. Ihr dient es als Bühne und als Wundertüte, denn es lässt sich sowohl in eine vom Wind gepeitschte Schneelandschaft als auch in den kuschelig-warmen Bau eines Hamsters verwandeln. Und obwohl jeder im Zuschauerraum sehen kann, dass es bloß ein altes Klavier ist, dass da auf der Bühne des Alten Kinos steht, ist man gefangen von der Illusion, die Annika Pilstl mit ihren Puppen, mit Licht und Schatten und mit ihrer Stimme erschafft, mit der sie jeder Rolle unverwechselbaren Ausdruck und unwiderstehlichen Charme verleiht.

Die Ausstattung des Stücks ist so einfach wie liebevoll. Pilstl, ganz in Schwarz, mit aufgeschminkten Insektenaugen, weißem Rüschenhemd und Hut, bewegt die Handpuppen so präzise und dezent, dass die kleinen - und großen - Zuschauer sich ganz auf die Figuren und die Handlung konzentrieren können - auf den ruhebedürftigen Hamster, der sich wie ein Schneekönig über eine gefundene Erdbeere freut, auf das quirlige Eichhörnchen mit seinen ruckartigen flinken Bewegungen und auf die über die ewige Plackerei jammernde Ameise. Immer nur schaffe, schaffe, Nestle baue. Aber was hilft's? Der nächste Winter kommt bestimmt.

Doch da unterbricht eine betörende Melodie den Trott des Wiesenvolks. Die Grille streicht so lieblich auf ihrer winzigen Geige, dass der Hirschkäfer seine Bar öffnet, Herr Eichhorn im Nu einen Schwips hat, es den Hamster auf einmal nach Gesellschaft verlangt, und sogar die Ameise vergisst, emsig zu sein, und so falsch singt, dass der Hamster vermutlich Ohrensausen bekommt. Alle sind glücklich. Doch ein Sturm kommt auf, Blätter fallen: Bald hocken die Tiere in ihren Höhlen, freuen sich über die gut gefüllten Vorratskammern. Nur die Grille ist allein, hat sie doch den ganzen Sommer über nur gefiedelt, statt vorzusorgen, ist eben keine schwäbische Hausfrau, die Grille. Sie klopft an bei Ameise und Eichhorn und bittet um ein warmes Plätzchen und Essen, doch da hat sie Pech. Nun liegt sie da, starr vor Kälte unter einem Schneehaufen. Bis der Hamster sie beim "Schneeschaufeln" entdeckt und sich als wahrer Freund erweist. . .

Man könnte diese Geschichte, die im vergangenen Jahr auf der Münchner Kinder- Kultur-Börse mit dem 1. Preis ausgezeichnet wurde, auch mit erhobenem Zeigefinger erzählen. Doch das geschieht zum Glück nicht. Jedes der Tiere wird mit Liebe und Respekt dargestellt, Humor und Tragik halten sich die Waage. "Mit wenigen Mitteln, aber mit viel Gefühl und Fantasie die Welt erzählen, das sind für Annika Pilstl die Kriterien für gutes Kindertheater - dasselbe gilt übrigens auch fürs Erwachsenentheater. Und genau das gelingt ihr.

Am Ende nimmt sie ihren Hut ab, darunter kommen zwei Insektenfühler zum Vorschein. Ab und zu ein bisschen mehr Grille und weniger Ameise sein, das wäre schön. Offenbar finden das auch die kleinen und großen Zuschauer und klatschen begeistert Beifall.

© SZ vom 29.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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