Krankenhausreform:"Viele Punkte sind extrem schwierig"

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"Qualität ist ganz wichtig, aber man muss Regeln finden, die messbar und vergleichbar sind", sagt Stefan Huber, Geschäftsführer der Kreisklinik. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Stefan Huber, Geschäftsführer der Kreisklinik Ebersberg, befürchtet, dass die Krankenhausreform, die Anfang 2016 in Kraft tritt, die finanzielle Lage verschlechtert. Dass Abteilungen geschlossen werden müssen, erwartet er aber nicht.

Interview: Isabel Meixner, Ebersberg

Die Kreisklinik Ebersberg muss sparen: Die Gesamtsumme von 24 Millionen Euro für die Sanierung des Bettenbaus soll um drei bis fünf Millionen gesenkt werden, fordert Geschäftsführer Stefan Huber. Der Hintergrund: Die Klinik erhält vom Freistaat "nur" 15,9 Millionen Zuschuss. Für Huber ist das nicht die einzige Herausforderung: Die Krankenhausreform, die Anfang 2016 in Kraft treten soll, wird die Finanzierung der Kliniken weiter schwächen, fürchtet er.

SZ: Was macht die Krankenhausreform dieses Mal so schlimm?

Stefan Huber: Sie bringt eigentlich nur Nachteile. Eine Besserstellung der Finanzierung der Krankenhäuser ist überhaupt nicht gegeben, im Gegenteil. Der erste Gesetzesentwurf war für die Kliniken eine Beinamputation, bei den Änderungen, die die Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingebracht hat, sprechen wir nur noch von einem Beinbruch. Aber dass ich jubeln soll, dass das Bein nur noch gebrochen ist, fällt mir schwer. Es gibt genügend Punkte, die extrem schwierig sind.

Welche denn?

Die ambulante Leistungserbringung zum Beispiel deckt immer noch nicht die Kosten. Wir haben pro Fall einen Durchschnittserlös von zirka 35 Euro. Der Kostenaufwand liegt aber bei 120 Euro. Da ist man überhaupt nicht drauf eingegangen. Ich kenne gar kein Krankenhaus, in dem die Ambulanz kostendeckend arbeitet.

Welche Abteilungen in der Kreisklinik gleichen diesen Verlust aus?

Grundsätzlich kann man sagen: Operative Eingriffe sind lukrativ und bringen eher Gewinn ein als, sagen wir, die Palliativstation. Die Notaufnahme ist aber der absolut größte Verlustbringer in der Klinik.

Die Kreisklinik Ebersberg muss laut Satzung ihre laufenden Kosten selbst decken. Gelingt ihr das?

Wir sind in der Regel wirtschaftlich, hatten jetzt einmal ein Jahr, wo es uns nicht ganz gelungen ist. Uns fällt es schwer, eine schwarze Null zu schreiben, weil wir die Eigenanteile der Sanierungskosten zwar bisher aus Gewinnen und Rücklagen finanzieren konnten, aber künftig aus Darlehen finanzieren müssen. Wir müssen, um unsere Eigenbeteiligung zu bezahlen, unseren Gewinn in den Bau investieren. Wir müssen aber auch gleichzeitig in den Betrieb der Klinik investieren, in technische Geräte, medizinische Ausstattung, Schulungen für Mitarbeiter. Zins und Tilgung der Darlehen für die Baumaßnahmen belasten dann natürlich den laufenden Wirtschaftsbetrieb. Das macht es so schwierig, dass wir langfristig wirtschaftlich bleiben.

Kommen wir zur Krankenhausreform. Welche Punkte genau kritisieren Sie?

Nehmen wir den Versorgungszuschlag zum Beispiel. Bisher gibt es pauschal einen Versorgungszuschlag für alle 2000 deutschen Kliniken von 500 Millionen Euro. Dieser Zuschlag sollte in der ersten Variante ganz wegfallen, nach der Bund-Länder-Gruppe soll er in einen Pflegezuschlag umgewandelt werden. Wie dieser genau aussehen soll und wie diese 500 Millionen Euro verteilt werden sollen, weiß aber bis heute keiner. Das Geld stand bisher ja schon zur Verfügung. Das ist also keine Verbesserung, sondern ein Gleichstand.

Ein anderer Punkt ist der Qualitätszu- und -abschlag.

Das klingt erst einmal super. Aber was ist Qualität? Ein Beispiel: Sie haben einen Patient, der bekommt eine neue Hüfte. Er wird nach Hause entlassen, ihm geht es gut, kommt aber innerhalb der ersten 90 Tage nach der OP bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Das wird der Klinik negativ ausgewertet, weil man davon ausgeht, dass die Qualität der Operation nicht gut war, wenn der Patient innerhalb von 90 Tagen stirbt. Ob er tatsächlich an den Folgen der OP gestorben ist, spielt keine Rolle.

Wie kann das sein?

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen hatte noch keine bessere Idee, das zu werten. Ein weiteres Beispiel ist das Deutsche Herzzentrum, in Deutschland sicherlich eine der spezialisiertesten Einrichtungen, wenn es ums Thema Herz geht. Die bekommen die Fälle rein, bei denen andere Kliniken schon aufgegeben haben. Natürlich haben die, weil sie eben diese schweren Fälle haben, eine höhere Komplikationsrate bei Eingriffen. Natürlich sterben da mehr Menschen. Dadurch bekommen sie beim derzeitigen Qualitätsspiegel ein "Mangelhaft". Da sieht man, dass die derzeitige Bewertung nicht richtig sein kann.

Welche Bewertung hat die Kreisklinik?

Ein "Sehr gut". Das sind wir natürlich auch (lacht). Wir sind mit anderen Kliniken unserer Größenordnung vergleichbar, die die gleiche Fallstruktur haben, da brauchen wir uns absolut nicht zu verstecken. Aber wenn wir nur so hochkomplexe Fälle hätten wie das Deutsche Herzzentrum, dann hätten wir auch diese Komplikationsrate.

Sollte der Qualitätskatalog Ihrer Meinung nach abgeschafft werden?

Nein, abgeschafft nicht. Qualität ist ganz wichtig, aber man muss Regeln finden, die messbar und vergleichbar sind.

Zum Beispiel?

Wenn man längerfristig Patienten betreut und bewertet, wie sie sich nach einer Operation entwickeln. Eine Komplikationsquote ergibt durchaus Sinn, wenn etwa eine Nachblutung aufgrund eines Behandlungsfehler passiert. Dann könnte man Qualitätsabschläge machen. Nur: Wer bewertet Behandlungsfehler? Es ist wahnsinnig schwierig, das darzustellen. Das ist natürlich ein erheblicher Dokumentationsaufwand. Aber bis heute hat noch keiner die glorreiche Idee gehabt, wie Qualität wirklich gut messbar und vergleichbar ist.

Ziel der Reform ist auch, die Zahl der Kliniken und Abteilungen zu verringern. Gibt es zu viele Krankenhäuser in Deutschland?

Regional ja, man braucht nicht alle 15 Kilometer ein Krankenhaus. Man muss sich aber anschauen, in welchem Gebiet man ist. Versorgungslücken gibt es in Deutschland nirgendwo. Nehmen wir mal den Landkreis Starnberg oder die Stadt München. Dort hat man sicherlich die größte Krankenhausdichte in der Region. Die Grundregel ist: Alle 30 Kilometer im Umland ein Krankenhaus, und dann auch nicht eines, das alles vorhält, sondern neben der gehobenen Grundversorgung mit Spezialisierungen, wie wir sie haben.

Sind durch die Reform Abteilungen oder gar die ganze Kreisklinik in Ebersberg in Gefahr?

Nein. Wir sind kein kleines Krankenhaus, sondern mit unseren 330 Betten von der Größe und der Versorgungsstruktur ein durchschnittlich großes Krankenhaus und absolut bedarfsnotwendig.

Gibt es zwischen der Kreisklinik Ebersberg und anderen Krankenhäusern jetzt schon Absprachen, welche Einrichtung sich auf was spezialisiert?

Dazu sind wir nicht verpflichtet, aber trotzdem inzwischen sehr gut mit anderen Kliniken vernetzt. Wir sind Mitglied in der Gesundheit Oberbayern, einem Zusammenschluss kommunaler Kliniken. Wir haben den Ehrenkodex und das Ziel, uns gegenseitig zu unterstützen und zu ergänzen.

Ein weiterer Ihrer Kritikpunkte ist, dass die Reform den Pflegeberuf nicht attraktiver macht.

Wenn Sie mich als Geschäftsführer fragen "Soll Klinikpersonal besser bezahlt werden", sage ich deutlich: Ja. Gleichzeitig frage ich: Wer zahlt's? Das muss jemand gegenfinanzieren. Die Reform sieht ein Pflegestellenförderprogramm für Neueinstellungen für drei Jahre vor. Heruntergerechnet bekommt jedes Krankenhaus 165 000 Euro, das entspricht in etwa drei examinierten Pflegekräften. Aber es werden nur 90 Prozent der Lohnkosten übernommen. Woher soll ich die restlichen zehn Prozent nehmen? Auf der anderen Seite gibt es keine Vorgaben, wie viel Pflege zur Verfügung gestellt wird. Wenn man gesetzliche Vorgaben hätte, wie viel Personal bei wie viel Patienten zur Verfügung zu stehen hat, müsste man sich daran halten.

Diese Vorgaben gibt es nicht?

Nein. Das ist Ermessenssache der jeweiligen Klinik, derjenigen, die das letztlich entscheiden. Da gibt es tatsächlich Unterschiede bei den verschiedenen Trägern. Ich kenne Kliniken, die schon versuchen, da einzusparen. Das ist bedenklich. Andererseits ist es auch nicht einfach, alle freien Stellen in der Pflege zu besetzen.

Was kritisieren Sie noch an dem Gesetz?

Das Hygieneförderprogramm ist auch so ein Fall: Das gibt es heute schon. Im ersten Entwurf hätte es herausfallen sollen, aber in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat man beschlossen, es weiterlaufen zu lassen. Heißt also wieder: Wir sind auf dem gleichen Level, es kommt nichts dazu. Und das wird jetzt als Verhandlungserfolg verkauft. Wenn ich über eine Nicht-Verschlechterung schon jubeln muss, frage ich mich, ob das Krankenhausstrukturgesetz nicht völlig an dem Ziel vorbeigeht, eine Besserstellung der Finanzierung von Krankenhäusern zu erreichen.

Wie sieht eine gute Krankenhausreform aus Ihrer Sicht aus?

Wer die Frage beantworten kann, wäre der richtige Bundesgesundheitsminister. Das ist verdammt schwierig. Wenn ich das nur aus Krankenhaussicht sehe, wäre eine Krankenhausstrukturreform dann die richtige, wenn man konkret sagt, welche Kliniken geschlossen werden sollen, und dann die Mittel neu verteilt. Man muss wesentlich mehr für die Pflege tun und viel mehr in die Entwicklung der Ausbildung investieren. Jedes Krankenhaus ist weltweit unterwegs, um Pflegekräfte zu akquirieren. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist das natürlich extrem schwierig, weil die reichen Länder den ärmeren die Fachkräfte wegziehen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht muss ich das aber natürlich tun.

Und bei der Finanzierung?

Da muss man kräftig das Rad drehen. Alle Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung in Deutschland sind in der Regel unterfinanziert. Wenn bei einem Bau von 24 Millionen Euro nur 15,9 Millionen gefördert werden, erwartet man von der Klinik, Millionengewinne zu erwirtschaften. Die Fallpauschalen decken aber nur die Kosten, die bei einem Eingriff entstehen. Sie sind nicht so kalkuliert, dass ein Gewinn zur Baufinanzierung bleibt.

© SZ vom 11.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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