Pigor & Eichhorn im Alten Kino:Unheimlich real

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Bissig und unverblümt: Das Kabarett- und Chanson-Duo Pigor & Eichhorn zelebriert im Alten Kino seinen ebenso beklemmenden wie intelligenten Salon-Slam.

Von Anna Weininger, Ebersberg

Für seine satirischen Lieder wurde das Kabarett- und Chanson-Duo "Pigor & Eichhorn" in diesem Jahr mit dem Bayerischen Kabarettpreis (Sparte Musikpreis) ausgezeichnet. Die Genialität der beiden Geschichtenerzähler durften nun die Ebersberger im Alten Kino zum achten Mal bejubeln - an diesem Abend unter dem Motto "Volumen 8. Salon Hip Hop".

Bissig und unverblümt - egal ob Politik oder Gesellschaft, die beiden Berliner Thomas Pigor und Benedikt Eichhorn halten der Realität in ihren Liedern einen fiesen Spiegel vor. Wenn Pigor mit krächzend unheilvoller Stimme einen virtuellen Mob heranschleichen lässt, und der Pianist Eichhorn dazu repetitiv im Rhythmus dieselben Akkorde klopft, dann schaudert es einen. "Ich bin der Abschaum - ich krieche über deinen Desktop. . . ich fordere Freiheit im Netz . . . Baby, sieh dich vor. . . Ich bin das Mobbingmonster". Immer lauter klingen die abgehackten Akkorde, immer wilder krächzt der Sprechgesang. Der Internet-Mob zieht den Saal in einen beklemmenden Bann, aus dem kein Entkommen mehr möglich zu sein scheint. Eine Gewalt, die nicht zu fassen, aber unheimlich real ist.

Das Geniale an der Musik von Pigor und Eichhorn ist die lässige Selbstverständlichkeit, mit der Chanson-Melodien und bissige Texte kombiniert werden. Und dabei schreckt das Duo vor keinem Thema zurück. Mal nehmen sie das Ewigkeitsprojekt des Flughafens Berlin Brandenburg auf die Schippe, mal das nicht vorhandene Sexleben bei Paaren, deren Zärtlichkeit durch Müdigkeit ausgebremst wird. Das rollende "R" und das beißende "S" in Pigors Sprechgesang geben der lieblichen Klaviermusik dabei immer einen leicht aggressiven Touch. Zwischen den Chansons erzählen Pigor & Eichhorn dreiminütige Geschichten, die sie selbst als "Salon-Slam" bezeichnen. "Im Salon-Slam liegt die Chance der Horizonterweiterung", erklärt Eichhorn süffisant. Da könne man in begrenzter Redezeit uninteressanteste Dinge erzählen, und alle hörten konzentriert zu. Ganz in der Poetry-, Science- oder Funky-Slam-Tradition.

Dabei schaffen Pigor und Eichhorn es immer wieder, Langweiliges zu adeln; etwa durch komische Zwiegespräche. Zum Beispiel Buchführung. Die beiden Berliner liefern sich auf der Bühne ein verbales Gefecht um die Frage, warum Haben nicht Soll und Soll nicht Haben heißen. Und überhaupt: Warum werden Verluste auf Erfolgskonten gebucht? "Wahrscheinlich, weil es erfolgt ist", erklärt Pigor sich die Sache. Von Finanzbuchhaltung über kompositorische Modulationstechnik bei Richard Wagner bis hin zur Einführung in die Grammatik der Verkehrssprache Esperanto - jeder Slam ist ein Vergnügen, egal wie langweilig das Thema zunächst klingen mag.

Einen Spiegel hält das Kabarett-Duo in ihren Liedern so manchen Paaren vor, wenn Pigor zu lieblicher Klaviermusik sarkastisch die maskuline Verzweiflung von Männern in der Rolle der "Hausschweine" zur Schau stellt. "Wir sind die Hausschweine. Wir essen immer alle angefressnen Kinderteller leer. Wir rennen mit vollen Tüten im Winderschlussverkauf den Entscheidungsträgerinnen hinterher." Und während der Sprechgesang zunehmend in ein verzweifeltes Mantra mündet, sieht man den ein oder anderen Zuschauer verschmitzt seine Frau anstupsen.

Pigor und Eichhorn wollen "intelligent unterhalten". Und das gelingt ihnen ausgezeichnet. Um so irritierter sind die Zuschauer, als sich Pigor plötzlich in einen Salon-Sessel fallen lässt und dem Publikum Anweisungen gibt. Jeder solle einfach mal nichts tun und in einem dreiminütigen "Power-Napping" entspannen, empfiehlt er. "Lehnen Sie sich zurück und schlafen Sie gut!" Dann gehen alle Lichter aus. Ratloses Murmeln und Kichern unter den Zuschauern. Drei Minuten können lang sein. Dann endlich klingelt der erlösende Wecker und Pigor blickt in die Runde. "Haben Sie das gehört?", fragt er. "Hier ist gerade ein akustisches Kunstwerk durch Reduktion des Bühnengeschehens entstanden. Wohl eine Parodie auf John Cage's komponierte Stille "4'33''. "Ich nenne dieses Kunstwerk mal Jugendfreizeit".

© SZ vom 23.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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