Ebersberg:Sternstunde des Jazz

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Erzählt dem Publikum im Alten Kino etwas von den guten alten Zeiten: Jesse Davis, der "Papa Jazz". (Foto: Peter HInz-Rosin)

Das Publikum erlebt mit dem Jesse-Davis-Quartett ein ebenso herausragendes wie familiäres Konzert

Von Claus Regnault, Ebersberg

Darf ein Kritiker auch Enthusiast sein? Er darf, ja, er muss, wenn ihm das Bedürfnis zum Jubeln die kritische Feder aus der Hand nimmt.

Ein Ereignis, das Anlass zum Jubeln bot, fand im Alten Kino Ebersberg statt, wo das Jesse-Davis-Quartett, bestehend aus ihm am Altsaxofon, dem schottischen Pianisten Paul Kirby, dem südkoreanischen Schlagzeuger Minchan Kim und Martin Zenker am Bass eine überwältigende Performance bot.

Das Publikum schien so etwas geahnt zu haben, denn das Alte Kino war bis zum letzten Platz brechend voll. Und schon nach dem ersten Stück geriet das Publikum in die der Darbietung gemäße Begeisterung. Was hier stattfand, hat Seltenheitswert, es war - wie es ein Hobbygitarrist formulierte - ein "Hochamt des Jazz". Eine andere Besucherin, Stefanie Haschler, charakterisierte die Stimmung des Abends als "hinreißend familiär".

Aber wenden wir uns den vier Protagonisten des Hochamts zu. Jesse Davis, schon von der rundlichen Gestalt und seiner humorigen Miene her ein in New Orleans geborener Jazzer von hohem Format, brachte auf seinem Altsaxofon seine großen Vorgänger Charlie Parker und Cannonball Adderley in Erinnerung, ohne darüber die persönliche Note seines Spiels vergessen zu machen. Er ist ein Improvisateur von ungemein beredter fantasievoller Sprache, ein echter (inzwischen um die 60 Jahre alt) "Papa Jazz". Die Mit-Musiker hingen im wahrsten Sinn des Wortes an seinen Lippen, ließen sich durch ihn mit inspirieren.

Der Pianist Kirby, ein eher zurückhaltender Mann, brachte seine Stimme ungemein lyrisch, zart und einfallsreich ins Geschehen; bewundernswert vor allem seine Intros, in denen er eine überaus farbige Fantasie zur Geltung brachte. Hinreißend, wie er die Bass-Solos von Zenker und das ganze musikalische Geschehen nicht nur akkordisch unterstützte, sondern neben der Improvisationslinie des Bassisten eine eigene, zart intonierte melodische Phrasierung beisteuerte. Natürlich spürt man auch bei ihm den Einfluss von Vorbildern, insbesondere den des lyrischen Meisters Billy Evans. Es gelang ihm sogar, das "Hammerklavier" des berühmten Soul-Boppers Bobby Timmons in dessen Titel "Dat Dere" in freundliche Girlanden aufzulösen.

Martin Zenker, der Weltreisende in Sachen Jazz, spielte Soli, die längst seine Anfänge in rasanten Auf- und Ab-Skalen verlassen hatten und seine Emotion wunderschön offenbarte. Hier hat hörbar eine Entwicklung ins Persönlich-Meisterhafte stattgefunden.

Rhythmische Stütze war selbstredend der Schlagzeuger Kim, der bezeichnenderweise mehr mit den Schlägeln als mit den Besen zugange war. Sein Spiel ist sehr perkussiv, kräftig akzentuiert, absolut Rhythmus- und swingsicher, aber manchmal ein bisschen dominant.

Natürlich standen Improvisation und die dazugehörigen Themen weitgehend unter dem Zeichen der klassischen Blues-Kadenz. Das brachte sie Musik an diesem Abend näher zum Menschen. Man hatte teilweise das Gefühl, insbesondere Davis wolle dem Publikum etwas von guten alten Zeiten erzählen. Er war übrigens sichtbar glücklich über das Ambiente im Alten Kino und den Zuspruch des Publikums, verglich es mit der Aura in einem amerikanischen Jazzclub.

Alles in allem war es ein herausragender Abend, glücklich machend und Gemeinsamkeit stiftend. Und um auf die familiäre Atmosphäre zurückzukommen: Am Ende des Konzerts trat Martin Zenkers Bruder Stefan auf und lieferte sich, sehr zum Vergnügen von Jesse Davis, mit diesem ein Saxofon-Duell.

© SZ vom 24.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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