Ebersberg:Sport für den Kopf

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Dr. Horst Bickel ist Leiter der Arbeitsgruppe "Psychiatrische Epidemiologie" am Klinikum Rechts der Isar. (Foto: privat)

An diesem Mittwoch informiert die Alzheimergesellschaft in Ebersberg darüber, wie Bewegung eine Demenz aufhalten oder sogar verhindern kann

Interview von Ina Berwanger, Ebersberg

"Jung und Alt bewegt Demenz" lautet das Motto des Welt-Alzheimertages an diesem Mittwoch, 21. September. "Das stimmt genau, denn jedermann, jede Familie kann eine Demenzerkrankung treffen", sagt der Neurologe Hans Gnahn, Vorsitzender der Alzheimer Gesellschaft Ebersberg. Die Mitglieder haben von 11 bis 16 Uhr an ihrem Infostand im Ebersberger Einkaufszentrum "E-EinZ" ein offenes Ohr für Betroffene und Angehörige. Alzheimer-Magazin, Flyer sowie Seniorenheim-Clown und Demenzhelfer Michael Lieb laden zu Austausch und Information ein. "Wir unterstützen sehr stark das Projekt von Katja Goudinoudis, Leiterin des Zentrums für Ambulante Hospiz- und Palliativversorgung München Land (ZAHPV), Stadtrand und Landkreis Ebersberg, zur Etablierung einer besseren Palliativversorgung in Pflegeheimen im Landkreis Ebersberg", so Gnahn. Er und Alters-Epidemiologe Dr. Horst Bickel sind Gründungsmitglieder des "Interventionsprojektes zerebrovaskuläre Erkrankungen und Demenz im Landkreis Ebersberg" (Invade). Bickel erläutert im Interview, warum die Sensibilisierung für Demenzerkrankte und ihre Palliativversorgung so wichtig ist.

Wie lautet die aktuelle Prognose zur Entwicklung der Krankenzahlen bei Demenzerkrankungen?

Horst Bickel: Die Krankenzahlen werden steil zunehmen. Wenn es im Lauf der nächsten Jahre nicht gelingt, der Entstehung von Demenzen wirksam vorzubeugen oder sie erfolgreich zu behandeln, dann wird in Deutschland die Zahl der Kranken von derzeit 1,6 Millionen bis zum Jahr 2050 auf rund drei Millionen ansteigen. Im Durchschnitt wird die Krankenzahl also in jedem Jahr um etwa 40 000 anwachsen.

Welchen prozentualen Anteil hat dabei die Alzheimer-Krankheit?

Es besteht Einigkeit darüber, dass die Alzheimer-Krankheit für die Mehrheit der Demenzerkrankungen verantwortlich ist. Die meisten Experten beziffern ihren Anteil auf 50 bis mehr als 80 Prozent aller Krankheitsfälle. Eine genauere Zahlenangabe fällt jedoch schwer, weil die ursächliche Diagnose zu Lebzeiten nicht mit absoluter Sicherheit gestellt werden kann. Untersuchungen der Gehirne von verstorbenen Menschen mit Demenz zeigen zwar, dass die typischen Alzheimerschen Veränderungen fast bei jedem Kranken nachweisbar sind. Allerdings findet man diese Veränderungen nicht selten auch bei Menschen, die zeitlebens noch nicht an einer Demenz gelitten hatten. Außerdem zeigen sich - besonders im hohen Alter - in vielen Fällen noch weitere krankhafte Hirnveränderungen, die ebenfalls zu einer Demenz führen können. Häufig hat man es also mit Mischformen von Krankheitsprozessen zu tun. Zudem weiß man nicht genau, ob sie in dieser Form bereits bei Beginn der Störungen bestanden haben oder ob sie erst später aufgetreten sind. Rückblickend kann der jeweilige Beitrag, den diese erst nach dem Tode feststellbaren Veränderungen zur Entstehung der Demenz geleistet haben, nicht mehr sehr verlässlich beurteilt werden. Es ist aus diesen Gründen auch verständlich, wenn im medizinischen Alltag meistens die Diagnose "nicht näher bezeichnete Demenz" anstelle einer ursächlichen Diagnose gewählt wird.

Inwiefern wirkt sich die demografische Entwicklung auf die Krankenzahlen aus?

Die demografische Entwicklung spielt die entscheidende Rolle. Wenn steigende Krankenzahlen vorhergesagt werden, dann liegt das nicht daran, dass ein wachsendes Erkrankungsrisiko zu befürchten wäre. Es liegt einzig und allein an der zunehmenden Zahl von älteren Menschen und besonders an der zunehmenden Zahl von hoch- und höchstbetagten Menschen, denn das Auftreten von Demenzen ist eng an das Alter gekoppelt. Bereits heute ist ein Fünftel der deutschen Bevölkerung im Alter von über 65 Jahren. Bis 2030 werden die geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und der 1960er Jahre, die so genannten Baby-Boomer, ins Alter vorrücken und nach Vorausberechnungen des Statistischen Bundesamtes die Zahl der älteren Menschen von derzeit gut 17 Millionen auf rund 22 Millionen ansteigen lassen. In den folgenden drei Jahrzehnten wird sich dann die Gesamtzahl der älteren Menschen zwar nicht mehr sehr stark erhöhen, es wird aber zu erheblichen Zuwächsen unter den über 80-Jährigen und über 90-Jährigen kommen, jenen Altersgruppen also, in denen die Demenz die meisten Opfer findet.

Warum sollten wir das diesjährige Motto des Weltalzheimertages durchaus auch wörtlich verstehen?

Die Bedeutung von körperlicher Bewegung kann im Zusammenhang mit Demenzen gar nicht überschätzt werden. Eine große Zahl von Studien an älteren Menschen hat gezeigt, dass regelmäßige sportliche Betätigung mit einem deutlich, im Durchschnitt um 40 Prozent verringerten Risiko für geistige Leistungseinbußen und für die Entstehung von Demenzen einher geht. Man beobachtete darüber hinaus Dosis-Wirkungs-Beziehungen, die vermuten lassen, dass höhere Aktivität auch einen größeren Schutzeffekt mit sich bringt. Körperliche Aktivität scheint zur Erhaltung der Hirngesundheit beizutragen, indem sie Hirndurchblutung, Sauerstoff- und Blutzuckeraufnahme erhöht und indem sie die Produktion von Wachstumsfaktoren anregt, die zur Neubildung von Nervenzellen und zum Wachstum von Blutgefäßen benötigt werden. Aber auch wenn sich bereits eine Demenz entwickelt hat, kann Bewegung einen günstigen Einfluss auf die Lebensqualität der Kranken nehmen. Im Vergleich mit Kontrollgruppen führten körperliche Aktivierungsprogramme bei Menschen mit Demenz zur Steigerung von Fitness und Alltagskompetenz, sie verringerten Verhaltensstörungen und sie verbesserten Schlaf und Gemütszustand.

© SZ vom 21.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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