Ebersberg:Sisyphus im Schweinestall

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Waffenexporte, Ukrainekrise, Rentenlüge, Kapitalismus: In seinem Programm "Bis neulich" geißelt der Kabarettist Volker Pispers in Ebersberg mit heiligem Zorn die Missstände der Zeit

Von Rita Baedeker, Ebersberg

Volker Pispers hätte es nicht eigens erwähnen müssen, dass bei ihm von "Altersmilde" keine Rede sein kann. So wie er, einer der wenigen Vertreter des politischen Kabaretts, vom Leder zieht, ist es milde ausgedrückt Zorn, der ihn treibt. Zorn, gepaart mit Sarkasmus, Enttäuschung und einer Spur von Resignation - jedenfalls eine geballte Ladung, die da drei Stunden lang auf das Publikum im Alten Speicher Ebersberg niedergeht. "Bis neulich" heißt sein Programm, das kaum geschrieben und veröffentlicht schon wieder aktualisiert werden müsste. Dass in diesen Zeiten ein Kabarettist, der sein Metier ernst nimmt, da noch hinterher kommt, grenzt an Sisyphusarbeit. Doch Volker Pispers besitzt die Leidenschaft und den Scharfsinn, den ganzen Wahnsinn in ein kompaktes, ebenso verstörendes wie unterhaltsames Programm zu packen.

Und so durchmisst er, ganz in Schwarz gekleidet, den großen globalen Schweinestall. Dabei begnügt er sich nicht mit wohlfeilen Wortspielen, er hat für alle und alles Zahlen und Zitate parat, so gründlich recherchiert, dass einem flau im Magen werden kann. In Passagen gleicht sein Kabarett einem kapitalismuskritischen Seminar. Wenn er, anders als es die offizielle Arbeitslosenstatistik glauben macht, vorrechnet, dass zwar noch nie so viele Menschen in Deutschland Arbeit hatten, aber auch noch nie so viele davon nicht leben können. Oder dass von 2030 an die gesetzliche Rente nur noch vierzig Prozent des letzten Nettoeinkommens betragen werde, eine, so wie die Senkung des Spitzensteuersatzes und die Zulassung von Hedgefonds, von Rot-Grün verbrochene Reform, die ihn an die VW-Abgastests erinnere.

Keiner politischen Partei traut er über den Weg. "Die Steigerung von Arschloch? Sozialdemokratie!" Der Unterschied zwischen Cem Özdemir und Philipp Rösler? "Zwanzig Zentimeter". Von Wirtschaftsexperten sagt er: "Da haben Sie mehr intelligente Lebensformen auf Ihrem Duschvorhang." Im Falle der CSU, die verlauten ließ, "wer betrügt, der fliegt", fragt er sich, welches Land denn schon die CSU aufnehmen wolle. Und zu Joachim Gauck fällt ihm ein: "Er ist ein Präsident der Herzen, ich hätte so gerne einen fürs Hirn gehabt."

Über den Kapitalismus und seine menschenverachtenden Mechanismen zu sprechen, gleicht bei Pispers einer Teufelsaustreibung, der Glaube an Wachstum und Wettbewerb ist für ihn wie Religion. Entsprechend unpatriotisch auch sein Kommentar zum Tag der Deutschen Einheit: Dank der Mauer, sagt Pispers, sei Westdeutschland ein Hochlohnland mit Billigimporten gewesen, Billy-Regal, Waschmaschinen der Marke Privileg, alles von drüben. Unseren Wohlstand, den verdanken wir dem bescheidenen Leben der anderen. Gleichzeitig mache sogenannte Entwicklungshilfe, bei der Überschüsse in arme Länder exportiert würden, die Volkswirtschaften Afrikas kaputt. Finanz- und Schuldenkrise? Alles Manöver, um von der Tatsache abzulenken, dass die USA am Ende wären, sollte der Dollar seine Funktion als Leitwährung verlieren. Und so geht es fort und fort, von Waffenexporten zur Ukrainekrise, von den Banken zur Methode Schäuble. Und würde er alles sagen, was er in diesen drei Stunden Zeitgeschichte zu sagen wüsste, man säße am nächsten Morgen noch im Alten Speicher. Der Zug, in dem wir sitzen, er rast gen Abgrund. Der trage den Namen USA, und dort sei der Kapitalismus im Endstadium zu besichtigen. Pispers verteilt Ohrfeigen sackweise, denn damit, so ist er wohl überzeugt, trifft er keinen Falschen. Abgewatscht wird ein Land, in dem man für eine Politik, von der 70 Prozent der Bevölkerung profitierten, keine Mehrheiten bekomme; ein Land, in dem eine von Verlegerfamilien kontrollierte "Bonzenpresse" über wichtige Dinge wie Altersarmut, Pflegenotstand, über die ganze soziale Schieflage, nicht mehr informiere. In seinem gerechten Zorn sitzt Pispers, der so scharf analysiert, hier offenbar einer Verschwörungstheorie auf.

Gelacht wird während der drei Stunden auch. Sehr komisch sind die Merkelliaden, denn mit Scherzen über Blazer, Frisur und Raute hält Pispers sich nicht auf. Er dröselt sinnfreie Sätze auf und beschreibt mit wenigen prägnanten Beispielen die flexible Haltung der Kanzlerin, die nicht sage, was sie denke, sondern auf Kritik höchstens erwidere, das sei nicht ihr "Duktus". Man könne doch jemandem, der einen Duktus hat, nicht böse sein, witzelt Pispers. "Am Ende ist das so eine Frauensache."

Für den kabarettistischen Marathon gibt es trotz mancher Durststrecken frenetischen Applaus und am Ende den von Pispers privat geäußerten Wunsch, das Publikum möge doch auch mal Kollegen eine Chance geben, die nicht so oft im Fernsehen seien wie er. Recht hat er.

© SZ vom 05.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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