Ebersberg:Schwerbehindert seit Blinddarm-OP

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Während einer Standard-Operation erleidet eine Frau einen Kreislaufzusammenbruch. Die Reanimation übernimmt eine Ärztin ohne Facharztausbildung. Die Patientin sitzt seither im Rollstuhl und verklagt die Kreisklinik

Von Andreas Salch, Ebersberg

Eine Frau aus dem Landkreis hat die Kreisklinik Ebersberg vor dem Landgericht München II verklagt. Die 44-Jährige musste im Verlauf einer Blinddarm-Operation reanimiert werden. Dabei kam es zu einer Sauerstoffunterversorgung, die zu einer Hirnschädigung führte. Seither ist die Frau schwerbehindert. Sie sitzt in einem Rollstuhl und leidet zudem an Depressionen sowie Sprach- und Konzentrationsstörungen. Der Streitwert des Verfahrens beträgt 107 000 Euro. Die Vertreterin der Klägerin, Rechtsanwältin Claudia Thinesse-Wiehofsky wirft der Klinik unter anderem vor, dass die für die OP zuständige Anästhesistin noch keine Facharztprüfung abgelegt hatte, als es zu dem schwerwiegenden Zwischenfall während der OP kam.

Es war in den frühen Morgenstunden des 2. Septembers 2011, als die Klägerin in der Kreisklinik operiert wurde. Die Diagnose lautete: Blinddarmentzündung. Aus ärztlicher Sicht handelte es sich bei dem Eingriff, der gegen 1 Uhr stattfand, eigentlich um eine "Standard-OP", wie der damals verantwortliche Oberarzt der Anästhesie der Kreisklinik als Zeuge vor der Kammer für Heilberufe an diesem Mittwoch aussagte.

Der Oberarzt hatte damals Hintergrund-Dienst und schlief zu Hause in seinem Bett, als bei der OP Komplikationen eintraten. Die OP-Anästhesistin hatte seinerzeit Bereitschafts-Dienst. Da sie nach Meinung des damaligen Abteilungschefs der Klinik bereits hinreichend qualifiziert war, durfte sie trotz fehlender Facharztprüfung die Narkose einleiten.

Während des Eingriffs erlitt die Patientin jedoch plötzlich einen Kreislaufzusammenbruch und musste reanimiert werden. In dieser Situation hatte der Operateur den Oberarzt alarmiert. "Bitte dringend in den OP-Reanimation", lautete die Nachricht. Der Oberarzt wohnte nur wenige hundert Meter von der Kreisklinik entfernt. Gegen 1.15 Uhr kam er in den OP-Saal gerannt, nur eine Viertelstunde nach seiner Alarmierung. Um keine Zeit zu verlieren, hatte er sich nur schnell seinen grünen OP-Anzug angezogen und darauf verzichtet, einen Mundschutz anzulegen und sich eine OP-Haube überzustreifen.

Angesichts der bedrohlichen Situation, in der sich die 44-Jährige befand, übernahm er die Funktion seiner Kollegin. Die Patientin habe im narkotisierten Zustand auf dem OP-Tisch gelegen, sagte der Oberarzt bei seiner Vernehmung. Der Operateur habe ihm mitgeteilt, dass der Eingriff "zunächst unauffällig" verlaufen sei. Dann sei aber die CO₂-Kurve abgefallen. Dies deute darauf hin, dass die Lunge der Patientin nicht richtig durchblutet war, so der Oberarzt. Er habe deshalb angeordnet, der 44-Jährigen ein zusätzliches kreislaufstabilisierendes Medikament zu verabreichen.

Aufgrund dieser Maßnahme habe sich der Kreislauf wieder normalisiert. Die Operation sei daraufhin vom Operateur fortgesetzt worden. Nach dem Eingriff sei die 44-Jährige "in künstlich beatmeten Zustand" auf die Intensiv-Station der Kreisklinik gebracht worden, sagte der Oberarzt. Er befindet sich inzwischen im Ruhestand.

Was allerdings die Ursache für den dramatischen Zustand war, in den die 44-Jährige während der Operation geraten war, konnte sich der Oberarzt nicht erklären. Allerdings räumte er ein, dass die Frau vor dem Eingriff Bauchschmerzen gehabt habe und sich erbrechen musste. Dadurch könne es zu einem Flüssigkeitsmangel gekommen sein. Ebenso könne eine sogenannte "Gasembolie" Auslöser gewesen sein. Das heißt, dass das Gas, das für die Operation in den Oberkörper des Patienten gepumpt wird, austritt und in den Blutkreislauf gelangt. Ob das Gas aus dem Körper der 44-Jährige abgelassen wurde, ist in den Unterlagen der OP nicht dokumentiert. Erst dann kann eine Herzdruckmassage durchgeführt werden. Solange sich Gas im Oberkörper befindet, ist dies nicht möglich. Ansonsten würden die OP-Instrumente, die sich im Bauchraum befinden, Verletzungen verursachen, sagte der Oberarzt.

Die Anwältin der Klägerin geht davon aus, dass die Ärzte während der Reanimation das Gas aus der Bauchhöhle nicht abgelassen hätten und ihnen somit ein Behandlungsfehler unterlaufen sei. Außerdem kritisierte Rechtsanwältin Thinesse-Wiehofsky, dass heutzutage aus Kostengründen oftmals junge Mediziner, die noch keine Facharztprüfung abgelegt haben, Dienst am OP-Tisch machten.

Zu einer Einigung zwischen dem Vertreter der Klinik, Rechtsanwalt Christian Koller und der Vertreterin der Klägerin kam es nicht. Aus diesem Grund wird das Gericht Anfang November eine Entscheidung in der Sache verkünden.

© SZ vom 15.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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