Ebersberg:Schlägerphantom

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"Aber das ist doch bitte schön nichts Alltägliches": Ein Hotelier muss sich wegen Körperverletzung vor dem Amtsgericht verantworten. Doch keiner der Zeugen kann sich so recht an das Geschehen erinnern.

Von Anja Blum, Ebersberg

Ein bisschen wie der Hase bei seinem berühmten Wettrennen mit dem Igel muss sich Richterin Vera Hörauf gefühlt haben. Immer, wenn sie meinte, nun endlich die Nase vorn zu haben, tauchte wieder ein anderer Igel am Horizont auf. Allein welcher, das war nicht auszumachen.

Auf der Anklagebank des Ebersberger Amtsgerichts saß an diesem Nachmittag ein Hotelier aus dem nördlichen Landkreis, der gemeinsam mit seinem Bruder ein Hotel samt Restaurant und Club führt. Dort war es Anfang 2014 zu einer Schlägerei gekommen, bei der ein 22-jähriger Finsinger von drei Männern verprügelt worden war.

Das Ergebnis waren mehrere Prellungen samt Gehirnerschütterung. Die Polizei hatte im Nachhinein jedoch nur einen mutmaßlichen Täter identifizieren können, nämlich eben jenen Gastronom, und zeigte ihn wegen Körperverletzung an. Doch nicht einmal dieser eine Verdacht ließ sich trotz zahlreicher Zeugen erhärten, die zweistündige Prozedur endete mit einem Freispruch für den 42-Jährigen.

Das größte Problem dabei war, dass der Angeklagte seinem Bruder offensichtlich ziemlich ähnlich sieht. Jedenfalls konnte keiner der Zeugen eine verlässliche Beschreibung oder Unterscheidung abgeben. Mal hieß es, der Schläger sei ein bisschen dicker und kleiner gewesen als der Angeklagte, dann wieder, dass der Bruder deutlich dünner sei. Dass dieser vor Gericht nicht anwesend war und der Angeklagte sich weigerte, seinen Verwandten zu beschreiben, machte die Sache freilich nicht gerade einfacher.

Der beschuldigte Hotelier beteuerte jedenfalls schon zu Beginn, an der Schlägerei überhaupt nicht beteiligt gewesen zu sein. Er habe an diesem Tag im Erdgeschoss des Hotels seinen eigenen Geburtstag gefeiert und habe von dem Vorfall im Club, der sich im Keller befindet, gar nichts mitbekommen. "Ich bin erst runtergegangen, als die Polizei schon da war." Den Geschädigten habe er noch nie gesehen.

Das Opfer wiederum gab ebenfalls an, den Angeklagten nicht zu kennen. "Ich bin damals total neben mir gestanden." Überhaupt trugen die Zeugen nicht gerade dazu bei, den Vorfall aufzuklären. Drei junge Männer und eine junge Frau kamen zu Wort, allesamt Bekannte des Geschädigten und an jenem Abend mit von der Partie. Alle erklärten, dass es erst zu einem Streit innerhalb ihrer Gruppe gekommen sei, in den sich dann mehrere Angestellte des Clubs eingemischt hätten.

Doch eine klare Aussage, wer ihren Freund so zugerichtet hatte, oder sonst etwas Brauchbares konnten sie nicht zur Verhandlung beitragen. Der Hauptschläger sei etwas dicklich und kleiner gewesen, habe ein kariertes Hemd getragen und sei möglicherweise der Besitzer des Clubs - aber eben nicht jener auf der Anklagebank. Mehr bekam Richterin Hörauf nicht aus den Beteiligten heraus.

Man sei betrunken gewesen und alles so durcheinander an jenem Abend, außerdem liege der Vorfall ja bereits eineinhalb Jahre zurück, rechtfertigten die Zeugen ihren Gedächtnisverlust. "Aber das ist doch bitte schön nichts Alltägliches, dass ein Freund so zusammengeschlagen wird!", entfuhr es dem Staatsanwalt beim vierten Durchlauf. Doch es war nichts zu machen.

Selbst die Polizistin, die damals nach der Schlägerei zum Hotel gekommen war, konnte kein Licht ins Dunkel bringen, ganz im Gegenteil: Sie erklärte, dass beide Hoteliers an jenem Abend ungefähr das Gleiche angehabt hätten, Jeans und ein kariertes Hemd nämlich. Ihrer Erinnerung nach sei der Bruder allerdings schlanker als der Beschuldigte - eine Wahrnehmung, die allen anderen Aussagen von einem dicklichen Schläger aber widersprach. "Haben Sie denn nicht schon vor Ort einen Täter ausmachen können?", fragte der Staatsanwalt. "Nein, leider nicht, das war ein totales Durcheinander."

© SZ vom 02.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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